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Reoil Wie aus Plastikmüll Öl werden kann

Aus Plastikmüll wieder Mineralöl gewinnen. Das klingt fantastisch. Ist aber in einer Pilotanlage im österreichischen Schwechat Wirklichkeit geworden. Das chemische Recycling hat aber auch ein paar Haken.

Stand: 04.05.2021 | Archiv

Plastikmüll | Bild: mauritius-images

Fast 19 Millionen Tonnen an Verpackungsabfall in Deutschland sprechen für sich (Stand: 2018). Von Vermeidung keine Spur. Trotz aller Initiativen. Ein Drittel mehr Plastikmüll über die vergangenen zehn Jahre und da sind die Folgen der Pandemie noch gar nicht eingerechnet. Ob in den Weltmeeren, auf Müllinseln der Malediven oder als Mikroplastik am Ufer des Starnberger Sees: Der zunehmende Plastikmüll schafft langfristig große Probleme.

Durch die Recyclingvorgaben im Verpackungsgesetz von 2019 (Verpackung G) steigt der Druck, die vorgegebenen Quoten zu erfüllen. Kunststoffverpackungen der Privathaushalte, die beispielsweise über die Gelbe Tonne/den Gelben Sack gesammelt werden, müssen derzeit im Jahresmittel zu 58,5 Prozent einer so genannten "werkstofflichen Verwertung" zugeführt werden. Ab 2022 liegt die Recyclingquote schon bei 63 Prozent (§16 Abs. 2 Satz 2f. VerpackG). Umso wunderbarer hört es sich an, dass man aus diesem herkömmlichen Plastikmüll tatsächlich wieder Öl machen kann! Da es das "Perpetuum mobile" aber nicht gibt, lohnt es sich auch genauer hinzuschauen.

ReOiling: Im Test in Österreich

ReOil-Anlage der OMV in Schwechat

Das Verfahren klingt eigentlich relativ einfach: Plastikmüll, zum Beispiel aus Polyethylen oder auch Polypropylen, wird durch Zufuhr von Hitze und Druck so aufbereitet, dass die polymeren Ketten der Kunststoffe aufgespalten und am Ende in synthetisches Rohöl umgewandelt werden können. Vor allem Thermoplaste - kennen wir bei normaler Temperatur eher als sprödes oder zähes, elastisches Plastik - lassen sich durch Erwärmen gut verwenden.

Die OMV (steht für Oesterreichische Mineralölverwaltung), eines der größten Industrieunternehmen Österreichs, hat für ihr ReOil-Verfahren eigens eine Anlage in Schwechat bei Wien gebaut. Bei der derzeitigen Pilotanlage, die seit 2018 in Betrieb ist, kann pro Stunde aus rund 100 Kilogramm Verpackungsmüll wiederum etwa 100 Liter Rohöl gewonnen werden. 450 Tonnen Plastik sind mittlerweile dort bereits verarbeitet worden, sagt Stefan Pirker, Leiter von Plastic2Oil der OMV in Schwechat, stolz: "Es ist eine sinnvolle und wichtige Ergänzung für die zukünftigen Recyclingquoten."

Cracken: So funktioniert’s

Die OMV hat für die Anlage einen eigens entwickelten und auch patentierten ReOil-Prozess eingebaut. Dort wird das Altplastik sozusagen aufgearbeitet und vorbereitet. "Dann wird es in einen Röhrenofen geschickt und bei ungefähr 380 bis 400 Grad gecrackt, also aufgespalten", erklärt Stefan Pirker vom OMV. "Wenn man in eine Pizzeria geht, dann hat man ungefähr diese Ofentemperatur, also eine relativ moderate Temperatur." Die thermoplastischen Kunststoffe haben die Eigenschaft, bei dieser Temperatur in kürzere Ketten zu zerfallen und diese können dann wiederum entsprechend in der Raffinerie weiterverarbeitet werden, so dass am Ende tatsächlich synthetisches Rohöl entsteht. Noch dazu schwefelfrei.

Chemisches Recycling ist nicht neu, galt aber bislang als zu teuer und nicht massentauglich. Die OMV ist allerdings gerade dabei bis 2025/2026 eine weit größere Anlage aufzubauen und in Betrieb zu nehmen. Dort könnten dann bis zu 200.000 Tonnen Altplastik pro Jahr verarbeitet werden. "Also es sind Verfahren, die durchaus ernst zu nehmen sind", sagt Thomas Probst vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE) in Bonn, "manche aus der Industrie sprechen von einer technischen Reife von fünf bis zehn Jahren. Aber ich glaube, da haben uns tatsächlich, die Anlagen, die in Betrieb gehen, schon überholt."

Auch der saudische Petrochemie-Konzern Sabic ist zusammen mit dem britischen Unternehmen Plastic Energy im ReOil-Geschäft und baut gerade im niederländischen Geleen eine Anlage für chemisches Recycling. Hier sollen ab der zweiten Jahreshälfte 2022 etwa 25.000 Tonnen Altplastik pro Jahr in synthetisches Rohöl verwandelt werden. 

ReOil-Verfahren bald auch in Bayern?

Die OMV ist über eine Mehrheitsbeteiligung am Kunststoffhersteller Borealis, einem der führenden Petrochemie-Unternehmen Europas, auch am oberbayrischen Standort Burghausen, im Landkreis Altötting, vertreten. "Und da haben wir uns natürlich vorgenommen, das mechanische Recycling, das die Borealis schon betreibt, mit dem chemischen gemeinsam weiterzuentwickeln", sagt Stefan Pirker vom OMV, "und dann auch eine Lebenszyklus-Analyse durchzuführen, damit man auch mal wirklich weiß, wie schaut’s gemeinsam aus." Bis Ende 2021 sollen die Ergebnisse vorliegen.

Konkurrenzkampf um wertvolles Plastik

In Deutschland steht in Sachen Müll an erster Stelle die Vermeidung, auch wenn die jährlichen Abfallbilanzen etwas anderes vermuten lassen. Die folgende Hierarchie ist auch im Kreislaufwirtschafts- sowie dem Verpackungsgesetz klar vorgegeben: Nach der Aufbereitung von Abfällen zur Wiederverwendung kommt dann das eigentliche Recycling, bei Plastik also die mechanische Aufbereitung von gebrauchten Kunststoffen. Erst danach ergeben sich andere Verfahren, wie eben auch das chemische Recycling und am Ende bleibt die thermische Verwertung bzw. Müllverbrennung.

Was das Altplastik, bestenfalls aus dem Gelben Sack/der Gelben Tonne, angeht, sieht Chemiker Thomas Probst vom BVSE die chemischen Verfahren allerdings in fragwürdiger Konkurrenz zum werkstofflichen Recycling: "Genau das ist das Problem, diese chemischen Verfahren oder auch Crack-Verfahren nehmen bisher nur die besten und saubersten Kunststoffe, für die auch seit vielen Jahren werkstoffliche Verwertungsmöglichkeiten entwickelt worden sind. Stefan Pirker, von PLastic2Oil der OMV in Schwechat, sieht seine Pilotanlage da schon einen Schritt weiter. Gerade, wenn es um verunreinigte Kunststoffe geht: "Viele Dinge sind nicht mechanisch rezyklierbar. Und leider Gottes hat man bis heute nur wenige Verfahren, um das wirklich zu recyceln. Und dazu gehört jetzt das aufstrebende, chemische Recycling, das wir betreiben."

Tatsächlich hat chemisches Recycling am Ende einen entscheidenden Vorteil: Das synthetische Rohöl ist sozusagen jungfräulich und kann für jede Form der Aufbereitung verwendet werden. "Man kann daraus auch wieder Lebensmittelverpackungen machen oder Kunststoff für die Medizintechnik herstellen", so Stefan Pirker. Dem upcycelten Material aus dem Gelben Sack wird dagegen immer noch die Tauglichkeit zur Lebensmittelverpackung abgesprochen, auch wenn sich technologisch vieles verbessert hat. Zu groß ist die Angst der Hersteller vor Produkthaftung, falls Verunreinigungen festgestellt würden. "Ein chemisches Recycling wird dann eine Zukunft haben, wenn wir europaweit beschließen, wir wollen einen bestimmten Anteil an Rezyklaten auch in unseren Lebensmittelverpackungen haben", prophezeit Thomas Obermeier, Abfallexperte und Ehrenpräsident der Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft (DGAW).

Derzeit wird im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) in Berlin eine großangelegte Untersuchung aufgesetzt, die verschiedene chemische Recyclingarten bilanzieren und am Ende auch mit der werkstofflichen Verwertung sowie dem Verbrennen von Müll vergleichen soll. Bis 2023 wird dort das ReOil-Verfahren in der Praxis unter die Lupe genommen. Daraus sollen sich dann auch konkrete Handlungsempfehlungen ableiten lassen, wie chemisches Recycling im Ranking der unterschiedlichen Verfahren zu bewerten ist. Wird das synthetische Öl aus Altplastik in Deutschland beispielsweise wieder als Treibstoff eingesetzt, gilt das übrigens nicht als Recycling, sondern fällt in den Bereich "thermische Verwertung".

Nicht unumstritten: Chemisches Recycling

"Es ist derzeit nicht so, dass wir hier die Inhalte aus dem Gelben Sack einfach so da reinschmeißen können, in einen Reaktor - und dann, oh Wunder, Öl bekommen! Es ist eben keine Alchemie", sagt Abfallexperte Thomas Obermeier. Immerhin, rechnet man beim OMV vor, spart ein Liter synthetisches Rohöl 45 Prozent CO2 und ein Fünftel Energie ein im Vergleich zur herkömmlichen Gewinnung von Erdöl. Für Thomas Obermeier ist das aber eher Äpfel mit Birnen vergleichen: "Wenn man sich die Massenbilanzen ansieht, auch die, die das österreichische Umweltministerium herausgegeben hat, werden ja nur 40 Prozent der Produkte wirklich wieder recycelt. Der Rest wird verbrannt, als Antriebsmaterial zum Beispiel. Da wird natürlich auch wieder CO2 frei. Also dann, wenn man ehrlich ist, muss man schon einen geschlossenen Kreislauf betrachten.

Tatsächlich wird die Ökobilanz für das ReOiling teils völlig unterschiedlich bewertet. Von "sehr negativ", seitens einer Untersuchung vom Naturschutzbund Deutschland, bis hin zu "sehr positiv" auf der niederländischen Innovations-Plattform TNO. "Wir können verschiedene Bilanzen durchziehen. CO2-Bilanzen. Energiebilanzen", sagt Thomas Probst vom BVSE, "und Sie werden feststellen, dass das echte Recycling als werkstoffliche Verwertung immer noch viel besser ist als alle danach kommenden Verfahren - sei es chemisches Recycling oder Müllverbrennung."

Quellen und weiterführende Links:

Podcast "Besser leben. Nachhaltig im Alltag mit dem Umweltkommissar"

Alle Episoden zum Nachhören oder auch den Podcast im Abo gibt's jederzeit und kostenlos im BR-Podcast Center, bei iTunes, Spotify und der ARD Audiothek.
Alle Folgen zum Nachlesen finden Sie auf der Übersichtsseite "Besser leben. Nachhaltig im Alltag mit dem Umweltkommissar".

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