NSU-Prozess


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NSU-Prozess Ende der Verteidiger-Plädoyers verzögert sich weiter

Anja Sturm ist die letzte Anwältin, die im NSU-Prozess das Wort hat. Doch das Plädoyer von Zschäpes Verteidigerin dauert deutlich länger als eigentlich geplant. Dadurch dürfte sich das lang erwartete Urteil weiter verzögern.

Von: Thies Marsen

Stand: 19.06.2018 | Archiv

Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl, die Altverteidiger Beate Zschäpes | Bild: picture-alliance/dpa

Anja Sturm gehört zur Riege der drei sogenannten Alt-Verteidiger Zschäpes, mit denen sich die Hauptangeklagte vor knapp drei Jahren überworfen hat, wobei Sturm damals von Zschäpe besonders angefeindet wurde. Insofern ist es eine der vielen seltsamen Fügungen dieses Mammutverfahrens, dass nun ausgerechnet Sturm das – fast – letzte Wort hat. Erstaunlich auch, dass die Anwältin – wie schon zuvor ihre Kollegen Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer – nun so ausführlich plädiert, obwohl doch Beate Zschäpe von ihr und den beiden anderen Altverteidigern gar nicht mehr verteidigt werden will.

Zschäpe würdigt Sturm keines Blickes

So würdigte Zschäpe ihre Anwältin heute auch keines Blickes, sondern starrte unablässig auf den Bildschirm ihres Laptops, während Sturm wort- und detailreich versuchte, ihre Mandantin als weitgehend harmlose Mitläuferin darzustellen, um damit den Vorwurf der Bundesanwaltschaft zu entkräften, Zschäpe sei aktive Mittäterin der zehn Morde, drei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle gewesen, die dem NSU zur Last gelegt werden.

Ein Verfahren voller “systematischer Fehler“

Erneut warf Sturm dem Strafsenat des Oberlandesgericht, der Bundesanwaltschaft und den Ermittlern schwere Versäumnisse vor. Im NSU-Verfahren seien systematisch Fehler gemacht worden. Diese seine zwar nicht mehr "heilbar", sollten aber dringend korrigiert werden. So seien Zeugen gezielt dazu animiert worden, Zschäpe zu belasten, die Bundesanwälte hätten alles, was für die Unschuld ihrer Mandantin gesprochen habe, weitgehend unberücksichtigt gelassen und der vorsitzende Richter Manfred Götzl habe Suggestivfragen gestellt.

Bomberjacke und rechte Gesinnung

Höchst kleinteilig versuchte Sturm, einzelne Zeugenaussagen, die Zschäpe belasten, zu widerlegen. So stellte sie es etwa als unbewiesen dar, dass ihre Mandantin in den 1990er Jahren eine grüne Bomberjacke getragen habe, um ihre rechte Gesinnung zur Schau zu stellen. Auch sonst habe sie sich mit ihrer politischen Meinung eher zurückgehalten. Anderslautende Zeugenaussagen stellte die Verteidigerin kurzerhand als unglaubwürdig dar. Zschäpe sei zwar rechts gewesen, aber "in wesentlich differenzierter Weise" als von der Bundesanwaltschaft dargestellt.

"Systemkritische" Neonazis

Sturm machte sich bei ihren Ausführungen immer wieder die Wortwahl von Neonazizeugen zueigen bzw. zitierte sie kommentarlos, etwa wenn sie die rechte Szene Thüringens als nicht etwa nationalsozialistisch, sondern "systemkritisch" bezeichnete oder es so darstellte, als hätten Waffen und Gewalt innerhalb der Neonaziszene keine Rolle gespielt, bzw. wenn überhaupt, dann sei es nur um Notwehr gegen angebliche linke Übergriffe gegangen. Ausgerechnet Aussagen des einstigen Neonazikaders Thomas S., der mit Beate Zschäpe in den 1990ern zeitweise liiert war, zog Anwältin Sturm dazu heran, um zu belegen, dass Gewalt bei Zschäpe und den beiden späteren NSU-Killern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt keine Rolle gespielt habe. Zur Erinnerung: Thomas S. war es, der den dreien, noch bevor sie sich in den Untergrund absetzten, den ersten Sprengstoff besorgte.

Prozesstag vorzeitig abgebrochen

Auch heute wurde der Prozesstag vorzeitig abgebrochen, da Anja Sturm einmal mehr körperliches Unwohlsein geltend machte. Von den vier Teilen, in die ihr Plädoyer nach eigenen Angaben gegliedert ist, hat die Verteidigerin erst zwei beendet. Ab morgen soll es nun endlich um zwei Kernfragen der Anklage gehen: Um Zschäpes mutmaßliche Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung NSU und um die Frage, ob die Hauptangeklagte nach dem Ende ihrer regulären Haftzeit auch noch mit Sicherungsverwahrung zu rechnen hat, da sie – so sieht es die Bundesanwaltschaft – eine fortwährende Gefahr für die Gesellschaft darstellt.

Gegenüber dem BR erklärte Anja Sturm, sie halte es für unwahrscheinlich, dass sie ihr Plädoyer morgen beenden werde. Frühestens Donnerstag wäre demnach mit dem Ende des Verteidiger-Schlussvortrages zu rechnen. Danach haben abschließend die Angeklagten die Möglichkeit, sich noch einmal zu Wort zu melden, was vermutlich allerdings erst nächste Woche der Fall sein wird. Anschließend hat das Oberlandesgericht elf Tage Zeit, sein Urteil zu fällen.


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