NSU-Prozess


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211. Verhandlungstag, 17.06.2015 Erstaunliches über den Verfassungsschutz

Welche Rolle spielte der hessische Verfassungsschutz bei der Tötung von Halit Yozgat, dem mutmaßlich neunten Opfer des NSU? Der heutige Prozesstag lieferte dazu keine neuen Erkenntnisse, gewährte aber doch ein paar erstaunliche Einblicke in die Welt der Behörde.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 17.06.2015 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

17 Juni

Mittwoch, 17. Juni 2015

Viele Nebenkläger glauben nicht wie die Bundesanwaltschaft, es sei Zufall, dass mit Andreas Temme ein Mitarbeiter des hessischen Dienstes genau zu dem Zeitpunkt am Tatort war, als Halit Yozgat am 6. April 2006 in seinem Internetcafe in Kassel erschossen wurde. Da sich der Verfassungsschützer als einziger Zeuge nicht meldete, geriet er schnell selbst in Verdacht. Tat er das wirklich nur, weil er hoffte, dass seine damals hochschwangere Frau nicht erfuhr, dass er in dem Internetcafe in einer Flirt-Hotline chattete?

Keine Hinweise auf Tatbeteiligung

Die Polizei wollte das anfangs nicht glauben, verhaftete Temme vorübergehend und zapfte auch sein Telefon an. Vier nach dem Mord geführte und mitgeschnittene Gespräche mit damaligen Kollegen wurden heute im Gerichtssaal vorgespielt. Anhaltspunkte, dass der Verfassungsschutz oder sein damaliger Mitarbeiter Temme an der Tat beteiligt waren oder zumindest davon wussten, lieferten diese Telefonate nicht.

Uninteressant waren sie und die dazugehörigen Befragungen dennoch nicht. Warum, so dachten nicht nur die Nebenkläger, sagte der damalige Vorgesetzte zu Temme, dass der "dienstlich keinen Mist gebaut" habe, sondern nur "privat". Überhaupt klingt das ganze Gespräch sehr freundschaftlich, er habe "für meinen Kollegen da sein wollen", betonte der pensionierte Verfassungsschützer.

Ein scheinbar ahnungsloser Zeuge

Der nächste Zeuge, ebenfalls Behördenmitarbeiter in Rente, war bereits vor einem Jahr beim NSU- Prozess im Zeugenstand. Um so überraschender seine eingangs gestellte Frage, wer denn eigentlich die Angeklagten seien.

Und als dann ein Telefonat des dritten Zeugen, der noch aktiver Verfassungsschützer ist, mit Temme vorgespielt wurde, wunderte ich mich noch mehr. Der Zeuge nannte die Polizei im Telefonat "Bullerei", die Erschießung von Yozgat umschrieb er damit, dass der "Typ im Café umgedaddelt" wurde. Wer arbeitet eigentlich beim Verfassungsschutz?


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