NSU-Prozess


6

NSU-Prozess: 211. Verhandlungstag "Das brauchen Sie nicht zu wissen"

Der hessische Verfassungsschutz und der Mordfall Yozgat stehen im Mittelpunkt eines Verhandlungstages, der Innenansichten eines Geheimdienstes bietet.

Von: Tim Aßmann

Stand: 17.06.2015 | Archiv

Die Angeklagte Beate Zschäpe betritt den Saal des Oberlandesgerichts in München | Bild: picture-alliance/dpa

Versuchte der hessische Verfassungsschutz die Ermittlungen zum Mordfall Yozgat in Kassel zu beeinflussen oder zu steuern? Diese Frage schwebte über den Zeugenvernehmungen am 211. Verhandlungstag.  Als Zeugen geladen: Drei ehemalige oder aktive Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Alle drei telefonierten 2006 mit ihrem damaligen Kollegen Andreas Temme. Der war im April 2006 am Tatort als der Kasseler Internetcafe-Betreiber Halit Yozgat in seinem Geschäft erschossen wurde. Mittlerweile wird die Tat dem NSU zugerechnet. Kurz nach dem Mord geriet allerdings Andreas Temme als Verdächtiger ins Visier der Ermittler, weil er sich nach der Tat nicht bei ihnen gemeldet hatte.

Keine konkreten Erinnerungen

Die Angeklagte Beate Zschäpe betritt zum Prozessauftakt am 06.05.2013 den Gerichtssaal in München | Bild: picture-alliance/dpa zur Übersicht NSU-Prozess: Überblick Das Geschehen im Gerichtssaal

Am 6. Mai 2013 hat der NSU-Prozess begonnen. Was genau ist seither geschehen? Ein Überblick über ausgewählte Verhandlungstage und deren Zeugenaussagen - jeweils mit Saalprotokoll, Reportertagebuch und Tageszusammenfassung. [mehr]

Die Ermittlungen gegen Temme waren auch der Grund warum alle Kollegen, die nun als Zeugen befragt wurden, damals mit ihm telefonierten. In den Telefonaten fragten zwei der Zeugen dann aber so gut wie gar nicht nach dem Mord und Temmes Rolle, sondern erkundigten sich nur danach, wie es ihm und seiner schwangeren Frau so gehe. Konkretes sei ihm zu der ganzen Angelegenheit nicht mehr in Erinnerung, erklärte Temmes ehemaliger Abteilungsleiter jetzt im Zeugenstand. Einem verblüfften Anwalt der Familie Yozgat sagte der Zeuge auch, er habe nicht einen einzigen schriftlichen Vermerk in der Sache gemacht und das obwohl ein Mitarbeiter von ihm in eine Mordermittlung verwickelt war. Ein anderer ehemaliger Kollege von Andreas Temme weigerte sich Fragen einer Opferanwältin nach einem rechtsextremen V-Mann zu beantworten und erklärte wörtlich: Das brauchen sie nicht zu wissen.

Eiszeit auf der Anklagebank

Am Rande des Prozesses wurde erneut das zerrüttete Verhältnis zwischen Beate Zschäpe und ihren drei Plichtverteidigern deutlich. Als Zschäpe kurz vor Prozessbeginn in den Gerichtssaal geführt wurde, begrüßte sie nur einen ihrer drei Anwälte – den Kölner Juristen Wolfgang Heer – und auch den nur schmallippig. Verteidiger Wolfgang Stahl las demonstrativ Zeitung als Zschäpe direkt neben ihm Platz nahm und Anja Sturm, die Dritte im Bunde der Zschäpe-Verteidiger,  schaute in ihren Laptop, würdigte ihre Mandantin keines Blickes.  Nach dem Willen Zschäpes soll Anja Sturm das Pflichtverteidigertrio verlassen. Schlecht vorbereitet, herrisch und nicht verschwiegen genug – so sieht Zschäpe mittlerweile ihre Anwältin Sturm. Das geht aus dem vierseitigen, handschriftlichen Entpflichtungsantrag hervor, den Zschäpe dem Gericht übergeben hat und der dem BR vorliegt.

Zschäpes Vorwürfe wohl nicht konkret genug

Anwältin Sturm hat die Vorwürfe zurück gewiesen und Rückendeckung von ihren Mit-Verteidigern Heer und Stahl bekommen. Das Gericht hat Zschäpe nun eine weitere Frist – bis morgen um elf -  gesetzt, um diese Forderung inhaltlich besser als bisher zu begründen. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag fällt das Gericht – voraussichtlich aber nicht mehr in dieser Woche. Dass der Senat Zschäpes Wunsch nachkommt und die Pflichtverteidigerin Sturm vom Mandat entbindet ist gegenwärtig eher unwahrscheinlich. Dass Zschäpe sich von Sturm trennen möchte um Platz für einen neuen Pflichtverteidiger zu schaffen, ist Spekulation. In den vergangenen Monaten bekam Zschäpe in der Haft mehrfach Besuch von einem Münchner Strafverteidiger, der ihr im vergangenen Jahr bei dem Antrag half, mit dem sie damals versuchte, sich von allen drei Pflichtverteidigern zu trennen. Das Gericht lehnte diesen Wunsch allerdings ab.

Überraschender Beweisantrag

Zum Ende des Verhandlungstages stellte Opferanwalt Hardy Langer einen Beweisantrag,  mit dem belegt werden soll, dass der Angeklagte André E. im Oktober 2011, kurz vor dem Auffliegen des NSU, noch Kontakt zur Terrorzelle hatte. André E. lag damals nach einem Dachsturz mit schweren Verletzungen im Uniklinikum Leipzig, erklärte Anwalt Langer. Im Krankenhaus soll E. Besuch vom gesamten NSU oder von einzelnen Mitgliedern bekommen haben.  Zu diesem Schluss kommt Langer, weil im Schutt der Zwickauer Frühlingsstraße ein Parkschein gefunden wurde, der zu einem Parkautomaten vor der Leipziger Klinik passen könnte. Der Anwalt hat nun Zeugenvernehmungen beantragt, um den Sachverhalt zu klären.


6