NSU-Prozess


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Tagebuch der Gerichtsreporter Ein bisschen Fairness reicht nicht

Die Kritik der Opferanwälte im NSU-Prozess ist scharf: Sie halten die neuen Befangenheitsanträge von Beate Zschäpe für einen Verfahrenstrick, der auf dem Rücken der Angehörigen und Zeugen ausgeübt wird. Doch ein faires Verfahren verlangt auch einen fairen Umgang mit den Verteidigern.

Von: ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt, tagesschau.de

Stand: 17.09.2013 | Archiv

ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt | Bild: SWR/Holger Schmidt

17 September

Dienstag, 17. September 2013

Ich kann die Aufregung über die Befangenheitsanträge von Beate Zschäpe nicht verstehen: Ist ein Antrag schon deshalb falsch, weil er von einer mutmaßlichen Neonazi-Mörderin kommt und und weil die Verteidigung ihre Positionen wenig feinfühlig, sondern stattdessen nüchtern bis aggressiv vorträgt?

Ich habe mit einigen Nebenklägeranwälten über die Befangenheitsanträge gesprochen: Fast alle stimmen den Anwälten von Zschäpe an einem Punkt zu: 5.000 Euro für mehr als ein Jahr Ermittlungsverfahren sind für ein solches Mandat drastisch zu wenig Geld. Ganz egal, mit welchen Ansprüchen man lebt, ob man einen Fiat oder einen Porsche fährt. Von diesem Geld kann ein Anwalt nicht leben, will er seine Arbeit anständig machen.

Es ist nicht verständlich, dass der Kostenrichter einen Betrag festsetzt, von dem anerkannte Juristen sagen, ein Mindestlohn sei unter dem Strich höher. Aber es ist ebenso wenig verständlich, dass die Rechtsanwälte, die Opfer vertreten, die Zustimmung zu dieser Kritik nicht öffentlich äußern. Auch die Nebenkläger wollen doch ein faires Verfahren. Aber es ist offenbar nicht opportun, für ein höheres Honorar der Zschäpe-Verteidiger zu sein.

Erst Schampusparty, dann Geldnöte

Das hat mehrere Gründe - und an einigen sind die Anwälte selbst schuld: Wer einen gewissen Lebensstil offensiv zur Schau stellt, das Gericht mehr als notwendig als Bühne begreift und das erste Hotel am Platze wählt, darf sich über eine Neiddebatte nicht wundern. Tatsächlich muss es auf Angehörige der Toten bizarr wirken, wenn sie erst lesen, dass die Verteidiger der mutmaßlichen Mörderin ihres Mannes, Vaters oder Bruders eben noch an einer Gratis-Schampusparty teilgenommen haben und dann hören, dass eben diese Verteidiger kurz darauf für fünfstellige Vorschüsse kämpfen.

Andererseits hat es eben auch mit den Taten an sich zu tun: Weil Beate Zschäpe eine Neonazi-Terroristin sein soll, scheuen sich viele Juristen, die zu geringe Bezahlung deutlich zu kritisieren. Und hier beginnt dann tatsächlich eine gefährliche Schieflage: Wenn Fehlentwicklungen nicht beim Namen genannt werden, weil man Gesinnung bestrafen will. Das mag menschlich verständlich sein, ist aber eben nicht rechtsstaatlich.

Höchst unglückliche Begründungen

Man mag einwerfen, die Anwälte hätten das Risiko und die Vergütungsregeln gekannt. Doch das stimmt nur teilweise. Der aktuell gewährte Vorschuss ist für vergleichbare Verfahren bedenklich niedrig. Und die inhaltliche Begründung des Kostenrichters, in dem das missverständliche Wort Tatnachweis gleich zweimal vorkommt - wobei es doch einem Richter nicht um den Nachweis einer Tat, sondern um eine ergebnisoffene Prüfung gehen sollte -, ist mehr als unglücklich. In der Gesamtschau hat sich der Richter damit tatsächlich angreifbar gemacht. All das ohne Not.

Das NSU-Verfahren schien vor der Sommerpause eine Arbeitsebene gefunden zu haben. Die steht nun sehr in Frage. Daran sind allerdings auch die Verteidiger von Zschäpe mit ihrem illustren Auftreten schuld. Und es leiden die besonders, die von Anfang an die Verlierer waren: Die Angehörigen der Opfer, wie die Frau von Mehmet Kubasik, die am Mittwoch als Zeugin hätte aussagen sollen und sich seit Wochen gedanklich auf diesen Termin einstellt. Wann ihre Aussage nachgeholt wird, ist völlig offen. Wie soll man dieser Frau erklären, dass all das der Rechtsstaat ist?


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