NSU-Prozess


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314. Verhandlungstag, 06.10.2016 V-Mann "Primus" kein Fall mehr für Prozess

Keine geladenen Zeugen und doch ein voller Verhandlungstag: Das Münchner Oberverwaltungsgericht hat sich heute erneut mit zahlreichen Beweisanträgen und Stellungnahmen beschäftigt.

Von: Thies Marsen

Stand: 06.10.2016

Symbolbild: V-Mann | Bild: pa/dpa/Arne Dedert

So lehnte der Strafsenat unter anderem mehrere Anträge der Wohlleben-Verteidigung ab und machte damit auch endgültig klar: Die Affäre um den V-Mann und Neonazi Ralph Marschner, dessen engen Kontakte zum NSU die ARD vor einigen Monaten enthüllt hat, wird im Münchner Verfahren nicht aufgearbeitet. Zugleich könnte ein neuer Beweisantrag die Hauptangeklagte Beate Zschäpe in die Bredouille bringen.

Die Rolle eines Berliner Polizisten

Nebenklage-Anwalt Yavuz Narin, der Angehörige des Münchner NSU-Opfers Theodorus Boularides vertritt, will erreichen, dass ein Berliner Polizist demnächst in München vernommen wird. Der Beamte war im Jahr 2000 im Objektschutz der Berliner Synagoge an der Rykestraße eingesetzt und will Anfang Mai 2000 eine Gruppe von mehreren Personen in unmittelbarer Nähe der Synagoge beobachtet haben, die dort mit Kartenmaterial zugange war und sich auffällig verhielt.

Laut Narin hat der Polizist dabei Beate Zschäpe und Uwe Mundlos erkannt und dies auch beim Berliner LKA angezeigt. Bei einer Vernehmung einen Tag später habe er die beiden NSU-Mitglieder auf Lichtbildern eindeutig identifiziert. Narin geht davon aus, dass Zschäpe und Mundlos, die in Begleitung von zwei weiteren Personen gewesen sein sollen, damals die Synagoge und den nahen jüdischen Friedhof als mögliches Anschlagsziel ausspioniert haben.

Der Vorfall ereignete sich rund vier Monate vor dem ersten NSU-Mord und belege, dass Beate Zschäpe durchaus von Anschlagsplänen des NSU gewusst habe und dass die Aktionen der Terrorgruppe "von Anfang an auch unter ihrer aktiven Mitwirkung erfolgten und von dieser mitgetragen wurden". Beate Zschäpe hatte dagegen bisher stets betont, sie habe von Anschlägen und Morden des NSU wenn überhaupt erst hinterher erfahren.

Das Musiknetzwerk "Blood and Honour"

Ob das Gericht dem Beweisantrag stattgeben wird, muss sich zeigen. Heute lehnte es mehrere andere Anträge ab, insbesondere von den Verteidigern des mutmaßlichen NSU-Waffenlieferanten Ralf Wohlleben. Damit machte der Senat auch endgültig deutlich, dass es sich mit einigen durchaus interessanten Aspekten der Affäre nicht mehr befassen will, etwa der Frage, inwieweit das NSU-Kerntrio Gelder und Waffen aus dem Neonazi-Musiknetzwerk "Blood and Honour" erhalten hat.

Auch die Rolle des Neonazis und Verfassungsschutzspitzels Ralph Marschner alias "Primus" will das Oberlandesgericht nicht näher beleuchten. Die ARD hatte vor einigen Monaten enthüllt, dass Marschner den untergetauchten NSU-Terroristen Uwe Mundlos unter falschem Namen in einer seiner Firmen beschäftigt hatte – in einer Zeit, da Marschner für den Bundesverfassungsschutz spitzelte und die Terrorgruppe bereits ihre ersten Morde verübte. Doch der Senat hat nun entschieden, Marschner, der mittlerweile in der Schweiz lebt, nicht vorzuladen.

Außerdem werden Mitschriften der Telekommunikationsüberwachung von Marschner und dem sächsischen Neonazi-Führer Jan Werner nicht in die Hauptverhandlung eingebracht. Werner soll laut eines Spitzels des Brandenburger Verfassungsschutzes versucht haben, Waffen für den NSU zu besorgen – auch das wird im Münchner Prozess nun voraussichtlich keine Rolle mehr spielen. Dies sei "zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich", so der Senat bzw. "für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung".


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