NSU-Prozess


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175. Tag im NSU-Prozess Kölner Opfer schildern ihr Leid

Es war ein schwerer Gang: Anwohner der Kölner Keupstraße mussten noch einmal über den Nagelbomben-Anschlag von 2004 sprechen, der ihr Leben nachhaltig verändert hat. Heute sollen weitere Zeugen gehört werden. Von Tim Aßmann

Von: Tim Aßmann

Stand: 21.01.2015 | Archiv

Demonstranten vor dem Oberlandesgericht in München | Bild: dpa-Bildfunk

Vier Männer, die damals verletzt wurden, sagten heute aus. Alle vier leiden bis heute unter gesundheitlichen Folgen des Anschlags. Alle vier kamen auch beruflich so aus dem Tritt, dass mehrere von Ihnen bis heute arbeitslos sind. Den Auftakt machte Sandro D. Der 34-Jährige ging damals mit seinem Freund Melih K. genau in dem Moment an dem Friseursalon in der Keupstraße vorbei, als die davor platzierte Bombe explodierte. Beide Männer erlitten schwere Verletzungen, wie Verbrennungen, Brüche und Schnittwunden. Manche Wunden sind verheilt, andere werden wohl für immer bleiben.

"Insbesondere sind natürlich die seelischen Narben noch nicht verheilt. Es gab lange Jahre, in denen er sich nicht entängstigen konnte, weil er eben nicht wusste, wer ihm diese Verletzungen zugefügt hat."

Tobias Westkamp, Anwalt von Sandro D.

Auch der vierte Zeuge des Tages beschrieb die persönlichen Folgen der Tat. Im Interview am Rande des Prozesses bat er darum seinen Namen nicht zu nennen.

"Die Keupstrasse ist ein Wendepunkt in meinem Leben gewesen. Danach habe ich psychologische Hilfe gebraucht. Ich bin nach dem Ereignis ein anderer Mensch geworden. Die Keupstraße hat mir das Beste und Schönste genommen."

Der vierte Zeuge des Tages

Die Zeugen Sandro D. und Melih K. schilderten dem Gericht auch wie sie unter den Ermittlungen litten. Als beide schwerverletzt im Krankenhaus lagen, ließen die Fahnder sie zunächst nicht miteinander sprechen, weil man sie verdächtigte die Bombe selbst gelegt zu haben. Dabei drängte sich doch gerade zu auf, dass der Anschlag in der von Migranten bewohnten Keupstraße einen fremdenfeindlichen Hintergrund hatte, sagt Opferanwalt Westkamp.

"Und dann ausgerechnet die Personen zu verdächtigen, die am Schwersten verletzt wurden - das ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht zwingend naheliegend."

Opferanwalt Tobias Westkamp

Er habe die Polizei noch im Krankenhaus darauf hingewiesen, dass Neonazis die Bombe gelegt haben könnten, sagte Zeuge Melih K. Die Ermittler konzentrierten sich aber nicht auf einen rechtsextremistischen, sondern auf einen kriminellen Hintergrund der Tat. Auch als eine Querverbindung zum Mord an dem türkischen Imbissbetreiber Ismail Yasar in Nürnberg auftauchte, änderte sich nichts an der Stoßrichtung der Ermittlungen. Opferanwalt Alexander Hoffmann vermutet politische Einflussnahme.

„Das ist ja bisher nicht bewiesen. Ich bezweifle auch, dass wir es hier beweisen können, aber es ist natürlich so: Polizeiarbeit wird immer von oben gelenkt und hier ist so drastisch zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Richtung eines rassistischen Tatmotivs ermittelt worden, dass das von oben kommen muss.“ Opferanwalt Alexander Hoffmann

Kurz nach dem Anschlag in der Keupstraße hatte der damalige Bundesinnenminister Schily erklärt, die Hinweise deuteten nicht auf einen terroristischen Hintergrund. In den Reihen der Nebenklage wird nun offenbar erwogen im NSU-Prozess die Zeugenladung von Otto Schily zu beantragen. In den nächsten Tagen und in der kommenden Woche werden weitere Opfer des Anschlags als Zeugen befragt. Insgesamt wird die Beweisaufnahme zur Keupstraße das Gericht wohl mehrere Monate beschäftigen.

Brisanter Fall Keupstraße

Die Opfer treiben bis heute viele Fragen um: Warum konzentrierte sich die Polizei auf einen kriminellen und nicht auf einen terroristischen Hintergrund? Handelte der NSU alleine oder gab es in Köln lokale Unterstützer? Die Beweisaufnahme zum Fall Keupstraße wird das Gericht voraussichtlich mehrere Monate beschäftigen.

"Wie kommen junge Menschen aus Zwickau darauf, ausgerechnet diese Straße zum Ziel eines Anschlags zu machen. Das deutet auf lokale Helfershelfer hin. Das sind Fragen, die wichtig sind und die gestellt werden müssen. Aber wir müssen auch realistisch bleiben. Nach all den Jahren, die vergangen sind, nach all den Zeugen, die es nicht mehr gibt, nach all den Akten, die verschwunden sind, muss man sagen, wird es schwierig, die Wahrheit im vollen Umfang zu erfahren."

Opferanwalt Mehmet Daimagüler

Wie bei anderen Taten, die mittlerweile dem NSU zugerechnet werden, gingen die Ermittler auch im Fall Keupstraße lange nicht von einem fremdenfeindlichen, sondern von einem kriminellen Hintergrund aus.

Kundgebung vor dem Gericht

Zum Prozess sind nun viele der Opfer und zahlreiche Unterstützer angereist. Die Initiative "Keupstraße ist überall" hat parallel zu den ersten Opferaussagen im Prozess den ganzen Tag über mit einer Dauerkundgebung vor dem Gerichtsgebäude und später auch mit einem Demonstrationszug durch die Münchner Innenstadt auf den Fall aufmerksam gemacht.


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