NSU-Prozess


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238. Verhandlungstag, 20.10.2015 Das bisschen Technik

Antragsfluten von Verteidigern, maulfaule Zeugen - Verzögerungen gab es im NSU-Mammutprozess ohnehin schon haufenweise. Heute kamen noch technische Probleme mit Videobeamern hinzu.

Von: Mira Barthelmann

Stand: 20.10.2015 | Archiv

Mira Barthelmann | Bild: BR

20 Oktober

Dienstag, 20. Oktober 2015

Der heutige Prozesstag begann erst einmal gar nicht. Die Gerichtsschreiberin gab gegen 9.40 Uhr an die Anwesenden im Saal per Lautsprecher durch, dass sich aufgrund von technischen Problemen der Start des 238. Prozesstages um insgesamt 35 Minuten verspäte und läutete damit eine kleine, unfreiwillige Frühstückspause ein.

In der vorab verschickten Terminbekanntgabe der geladenen Zeugen war zu lesen, dass heute die Auswertung von Videodateien auf dem Programm stand. Was kann da im Hintergrund, in jenen Räumen zu denen die Öffentlichkeit keinen Zutritt hat, schief gelaufen sein? Sind die Dateien nicht in München angekommen? Wurden sie etwa gelöscht? Oder lassen sie sich auf den Gerichts-PCs schlicht nicht öffnen?

Fast wie im Kino

Der Schwurgerichtssaal 101 wurde vor dem Prozess eigens mit Kameras und insgesamt drei Videobeamern ausgestattet. Auf einem der drei ist meist die Saaltotale auf die Wand hinter dem Richtertisch projiziert. Die anderen beiden Geräte kommen nur zum Einsatz, wenn Beweismittel am Richtertisch in Augenschein genommen werden. Dann werden Nahaufnahmen groß auf die Wände hinter den Verteidigern und der Bundesanwaltschaft geworfen. Und sie werden benutzt um Videomaterial vorzuführen. So war das auch heute geplant.

Was ist mit den Videodateien?

Der Vorsitzende Richter begann um 10.05 Uhr schließlich mit der Hauptverhandlung - allerdings wiederholte er den Hinweis, dass es wegen technischer Abläufe zu Verzögerungen komme und der geladene Zeuge deshalb weiter auf seine Befragung warten müsse. Was also passierte hinter den Wänden des Gerichtssaals? Wurde die Poststelle auf den Kopf gestellt, um die Dateien ausfindig zu machen? Oder mussten erst entsprechende Sichtungsprogramme gefunden und installiert werden? Wir werden es nie erfahren. Just eine halbe Stunde später konnte der Zeuge, ein Kriminalbeamter des BKA Wiesbaden, mit seinen Ausführungen beginnen. Er hatte die Aufnahmen von vier Kameras, die das mutmaßliche NSU-Trio in ihrem letzten Versteck in der Zwickauer Frühlingsstraße installiert hatte, gesichtet und ausgewertet. Dann kam der große Augenblick. Würde die Technik jetzt mitspielen? Tatsächlich wurde ein viergeteiltes Standbild an die Wände projektziert - in Farbe. Beim Abspielen der Videosequenz ging ein leises, verwundertes Raunen und flüsternde Kommentare wie "Das ist die Zschäpe" durch den Saal.

Rekonstruktion rückwärts

Doch irgendwie wirkten die Bewegungen der weiblichen Person im Jahr 2011 an der Wohnungstür merkwürdig. Denn: Das Video lief rückwärts und in hochbeschleunigtem Tempo ab. Ein Fehler der Münchner Gerichtstechnik? Nein. Der Zeuge erklärt: "Diese Sequenz war durch den Brand in der Frühlingsstraße und die anschließenden Löscharbeiten stark beschädigt worden." Die zuständige Kriminaltechnik konnte die Datei offenbar nur rückwärts und in hohem Tempo rekonstruieren. Aha. Wäre ein einfaches, semiprofessionelles Schnittprogramm zum Einsatz gekommen, hätte man diese Probleme in wenigen Minuten vorab beheben können.

Ein bisschen Tempo!

Die anderen Videos wurden dann zwar in der richtigen Reihenfolge wiedergegeben, doch es folgten viele, viele Minuten in denen sich auf den Aufnahmen gar nichts rührte. Auch hier hätte man mit einem einfachen Schnittprogramm die irrelevanten Stellen herausschneiden und das Prozedere vor mehr als 100 wartenden Prozessbeteiligten abkürzen können. Der Vorsitzende Richter forderte den Saaltechniker mehrmals auf: "Können Sie das nicht schneller laufen lassen?" Da klingt doch der in letzter Zeit mehrfach von Manfred Götzl verlautbarte Satz noch nach: "Wir müssen hier im Prozess vorankommen." Ja. Aber nur, wenn die Technik und die Menschen, die sie bedienen, mitspielen!


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