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Ungenaues Blutzuckermessgerät Zu lasche Kontrolle von Medizinprodukten?

Ein Blutzuckermessgerät von Aldi Süd misst ungenau – lebensgefährlich für Patienten, sagen Ärzte. Trotzdem wollen weder der Discounter noch der Hersteller bisher das Gerät zurückrufen.

Von: Astrid Halder und Moritz Pompl, ARD report München

Stand: 12.07.2016

Hände mit Blut-Tropfen an einem Finger, Blutzuckermessgerät | Bild: dpa, BR; Montage: BR

Verlockend, wenn man im Discounter Schnäppchen jagen kann. Beim Blutzuckermessgerät CM Curamed, das es bis vor kurzem bei Aldi Süd gab,  sollte man vorsichtig sein. Es kommt  häufig zu ungenauen Messungen. Das stellten Patienten fest und auch das Ulmer Institut für Diabetestechnologie IDT. Bei dem Gerät von Aldi Süd liegt fast die Hälfte der getesteten Werte außerhalb des ISO-Norm-Bereichs.

Gefahren für Patienten

Fachärzte, wie die Diabetologin Annemarie Voll aus Traunstein, warnen vor Gefahren der Fehlmessungen für insulinpflichtige Diabetiker. Sie könnten dann schnell in den Unterzucker rutschen – während sie sich in trügerischer Sicherheit wiegen.

"Das wäre zum Beispiel ein Patient, der misst einem Zucker von 75 oder 80, und weiß, damit kann er gut Wandern. Tatsächlich wäre der Blutzucker aber 50, das heißt er hätte schon einen Unterzucker und bei körperlicher Aktivität würden die Blutzuckerwerte noch weiter runtergehen. Das kann bis zur Bewusstlosigkeit führen, dass man sich auch wirklich selber nicht mehr helfen kann."

Diabetologin Annemarie Voll

Bei der Deutschen Diabetesgesellschaft fordert man Konsequenzen.

"Unser Wunsch oder unsere Erwartung wäre zumindest gewesen, dass die betroffene Charge zumindest zurückgezogen worden wäre. Bis vielleicht auch weitere Ergebnisse vorliegen. Wir sehen da eine akute Gefährdung von Patienten."

Barbara Bitzer, Deutsche Diabetesgesellschaft

Zu lasche Kontrolle von Medizinprodukten?

Doch dazu kommt es nicht, obwohl die Deutsche Diabetes-Gesellschaft und das Prüfinstitut Aldi Süd und den Hersteller Medisana informierten. Stattdessen klagte der Hersteller sogar, das Ulmer Prüfinstitut dürfe die Studie nicht veröffentlichen. Vor Gericht scheiterte der Hersteller schließlich.

Eigentlich gibt es das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte  - es wurde über die mangelhafte Messleistung informiert. Gegenüber report München schreibt das Institut:

"Eine abschließende Risikobewertung kann erst nach Eingang der noch ausstehenden Studienergebnisse, deren Prüfung in Zusammenhang mit den bislang vorliegenden Daten sowie ggf. der Beantwortung weiterer sich aus Sicht des BfArM ergebender Fragen an den Hersteller erfolgen. Aufgrund der widersprüchlichen Studienergebnisse kann derzeit nur eine vorläufige Risikobewertung erfolgen, die jedoch derzeit nicht auf ein unvertretbares Risiko hinweist. Insofern kann derzeit auch keine Empfehlung für Anwender ausgesprochen werden."

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

Wir sprechen mit einem Insider, Harald Schweim. Er war jahrelang Leiter der Behörde, empfand sie aber oft selbst als „zahnlosen Tiger“.

"Das Medizinproduktegesetz ist in einer Zeit gemacht worden, als „Privatisierung über alles“ üblich war. Und man hat zu dem damaligen Zeitpunkt in das Medizinproduktegesetz eben lauter privatisierte Zulassungsentscheidungen, also die sogenannten benannten Stellen eingefügt. Und das halte ich für einen grundsätzlichen Systemfehler."

Harald Schweim

Möchte eine Firma ein Medizinprodukt wie ein Blutzuckermesssystem, auf den Markt bringen, kann sich die Firma heute an ein privates Institut wenden. Im Fall des Blutzuckermessgeräts von Medisana war es ein Institut in Stuttgart. Das wiederum zur Zulassung eine Studie aus Taiwan vorlegte, so Recherchen des ARD-Politmagazins report München.

Härtere Regeln in den USA

In den USA ist das anders. Hier hat die Bundesbehörde FDA die Kontrolle über Medizinprodukte. Die Untersuchungen sind einsehbar – transparent für Patienten und Ärzte. In Deutschland ist der Standard dagegen niedriger.

In Deutschland kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur eine Empfehlung zum Rückruf aussprechen. Doch selbst das hat die Behörde bisher nicht gemacht, sie wartet noch auf eine neue Studie des Herstellers.

Aldi Süd teilte uns vor ein paar Tagen mit, dass sie die Blutzucker-Messgeräte aus dem Sortiment genommen haben. Zurückgerufen wurden sie aber nicht. Die Firma Medisana teilt per Pressemitteilung mit: Der „Vertrieb der Teststreifencharge als auch des Blutzuckergeräts“ ist „eingestellt, obwohl es keinerlei Anhaltspunkte gibt, dass das Blutzuckermessgerät unrichtige Messwerte liefert.“


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