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Interview Mariss Jansons

"Es liegt an uns, unseren Kindern den Wert von Musik zu vermitteln!"

Stand: 04.08.2008 | Archiv

Mariss Jansons | Bild: Matthias Schrader

Herr Jansons, woran liegt Ihrer Meinung nach die Überalterung des Konzertpublikums? Warum gehen nicht mehr junge Leute ins Konzert?

Ja, das ist ein globales Problem. Ich kann nur vermuten, woran es liegt: Zum einen, denke ich, gehört die musikalische Förderung nicht mehr selbstverständlich zur Ausbildung der Jugendlichen dazu, wie es bei der älteren Generation noch üblich war. In den Familien herrschen heute eher andere Werte vor wie zum Beispiel ein sicherer Arbeitsplatz und ein hohes Einkommen. Es liegt aber an uns, unseren Kindern auch den Wert von Musik zu vermitteln und ihnen zu zeigen, wie wichtig und wertvoll Musik sein kann.

Zum anderen bekommen die jungen Leute auch über die Schule oder die Medien zu wenig Informationen über Kunst, über Musik vermittelt. Die junge Generation weiß ja oftmals gar nicht, dass Musik von Komponisten wie Beethoven und Mozart existiert, dass es in ihrem Leben so etwas Schönes geben könnte, was so einen großen geistigen Wert hat. Wenn man ihnen diese Informationen vorenthält, darf man nicht erwarten, dass die Jugend von selber an diese Musik herantritt.


Liegt dies möglicherweise auch an der traditionellen Konzertform mit ihren recht strengen "Ritualen", die den Besuch der Konzerte für junge Leute eher unattraktiv macht?

Die Jugendlichen wählen meist lieber den vertrauten und leichteren Weg und gehen beispielsweise ins Popkonzert, weil sie da genau wissen, was sie erwartet. Über das klassische Konzert haben sie meist nur wenige Informationen. Sie glauben, dass dort etwas sehr Kompliziertes stattfindet, das nur schwer verstehbar ist. Sie sind unsicher, was sie anziehen sollen, welche Leute sie dort treffen werden usw. Deswegen ist es die Aufgabe der Eltern und der Schulen, ihnen die Angst und Unsicherheit vor einem klassischen Konzert zu nehmen, ihnen zu sagen: "Du kannst auch in Jeans kommen, aber das Wichtigste ist, dass du die Musik genießt."


Die Kürzung und zum Teil radikale Streichung des Musikunterrichts an allgemeinbildenden Schulen bringt es mit sich, dass Schüler über den normalen Bildungsweg kaum noch Zugang zur klassischen Musik erhalten. Inwieweit kann und soll ein Orchester als öffentlicher Kulturträger diesen Mangel an musikalischer Bildung durch seine Jugendarbeit auffangen?

Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Durch unsere Aktivitäten für Jugendliche wollen wir die Schulen in dieser Richtung unterstützen. Ganz übernehmen können wir die musikalische Ausbildung natürlich nicht; dies sollte immer noch zum großen Teil in den Händen der Schulen und Kindergärten liegen. Auch die Familie und die einflussreichen Medien spielen hier eine ganz große Rolle. Mit unserem Angebot wollen wir also ergänzend wirken, und je regelmäßiger wir das machen und je mehr Orchester sich gezielt dem jungen Publikum annehmen, desto besser.


Um die Musik und die Arbeit des Orchesters gezielt einem jungen Publikum zugänglich zu machen, öffnen Sie Ihre Generalproben für Jugendliche und Studenten. Wie wichtig ist dabei die Vorbereitung auf die Musik im Vorfeld, sei es in der Schule oder durch eine Einführung in Form einer Moderation vor Ort?

Natürlich ist es wünschenswert, dass die Schüler vorbereitet sind. Jede Art von Vorbereitung im Vorfeld - und sei es nur eine kleine - ist für die Schüler hilfreich. Aber auch wenn sie spontan oder zum ersten Mal zu uns kommen, kann das Orchester beeindrucken.

Die Moderation ist bei den Öffentlichen Generalproben meiner Meinung nach ein sehr wichtiges Element, vorausgesetzt sie wird interessant und mit Charisma ausgeführt. Auf keinen Fall darf sie eine langweilige Lektion sein, die nur Daten aus irgendwelchen Büchern zitiert. Die Moderation sollte persönliche, aber auch emotionale Bezüge zur Musik herstellen. Sie sollte den jungen Leuten zeigen, wie sie diese Musik hören und was sie darin erleben können.


Wie wichtig schätzen Sie es ein, Kinder ein Instrument erlernen zu lassen?

Das ist sehr wichtig. Früher gehörte das Erlernen eines Instruments meist zur allgemeinen Ausbildung dazu. Es war in den Familien Tradition, gemeinsam zu singen oder Kammermusik zu machen. Heutzutage ist dies leider nicht mehr so selbstverständlich im Bewusstsein der Eltern verankert. Oft lassen die Eltern ihre Kinder nur dann ein Instrument erlernen, wenn sie wollen, dass ihr Kind irgendwann mal eine Musikerkarriere einschlägt.

Es wäre wünschenswert, dass der instrumentalen Ausbildung in der Gesellschaft wieder ein höherer Stellenwert eingeräumt wird, damit einem großen Teil der Kinder das Recht auf musikalische Bildung nicht länger vorenthalten wird.


Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wann haben Sie selber begonnen, sich für klassische Musik zu interessieren? Gab es da in Ihrer Kindheit Schlüsselerlebnisse?

Ich bin in einer Musikerfamilie aufgewachsen, mein Vater war Dirigent, meine Mutter Sängerin. Weil sie keinen Babysitter hatten, haben sie mich schon als Dreijährigen immer in die Oper mitgenommen, wo sie beide arbeiteten. So wurde die Oper zu meinem eigentlichen Zuhause. Ich fand es dort immer sehr spannend, habe alles ganz genau beobachtet und nachgeahmt. Bald schon kannte ich alle Ballette auswendig. Ich bin in die Welt der klassischen Musik also ganz natürlich und spielerisch hineingewachsen. Das war der Beginn meines musikalischen Weges.


Herr Jansons, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Mareike Roosen.


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