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Journalist Hermann Gilbhard Über Kurt Eisners Mörder und die Rolle der Thule-Gesellschaft

Ein Geheimbund unter dem Hakenkreuz: Der Germanenorden und die in München gegründete Thule-Gesellschaft waren Vorgängerorganisationen der NSDAP. In den Jahren der bayerischen Revolution von 1918 und 1919 haben sie eine verhängnisvolle Rolle gespielt.

Von: Matthias Leitner

Stand: 20.12.2018 | Archiv

Hermann Gilbhard | Bild: privat

Die Thule-Gesellschaft wird als Geheimbund, oft als politische Kraft der Gegenrevolution und auch als Vorgängerin der NSDAP bezeichnet. Was ist denn die Thule-Gesellschaft genau?

Hermann Gilbhard: Die Gesellschaft wurde 1918 in München gegründet und war eine Vorläuferorganisation der nationalsozialistischen Bewegung. Die Thule-Gesellschaft hat sich aus dem völkisch-antisemitischen Germanenorden heraus gegründet und hatte die Aufgabe, Mitglieder anzuwerben und die Aktivitäten des geheimbündlerisch organisierten Germanenordens zu decken. "Thule", das Wort, das man gewählt hatte, stammt aus der nordischen Mythologie und stand für ein sagenhaftes Land im hohen Norden.

Wer steckte hinter der Gesellschaft, die gemeinsam mit dem Germanenorden mitten in der Münchner Innenstadt, im Hotel "Vier Jahreszeiten", residierte?

Vita Hermann Gilbhard

Hermann Gilbhard, geboren in Graz, wohnt seit Mitte der 60er Jahre in München. Sein Studium an der Hochschule für Politik schloss er mit einer Diplomarbeit über die Thule-Gesellschaft ab. Von 1979 bis Ende 2017 war er als freier Journalist für den Bayerischen Rundfunk tätig.

Die Gesellschaft wurde von einem Mann namens Rudolf von Sebottendorf gegründet. In Wirklichkeit hieß er Rudolf Glauer und wurde am 9. November 1875 in Hoyerswerda geboren. Nach einer abgebrochenen Ausbildung zum Ingenieur fährt er zur See und hält sich dann einige Jahre in der Türkei auf, wo er sich der Esoterik und dem Okkultismus widmet und die Landessprache lernt. 1913 kehrt er dann nach Deutschland zurück. Der Geburtseintrag von ihm in Hoyerswerda enthält keinerlei Hinweis oder Vermerk auf eine Adoption und er hat später auch eingeräumt, dass sein selbstgegebener Adelstitel nicht echt ist.

Auf welcher ideologischer Grundlage hat Sebottendorf die Thule-Gesellschaft aufgebaut?

Die Thule-Gesellschaft propagiert einen rassistisch motivierten Antisemitismus, der sich in Deutschland und Österreich um die Jahrhundertwende etabliert hatte. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs treten mehr als 20 deutsch-völkische Organisationen auf – darunter der "Reichshammerbund", der auf seiner Gründungsversammlung im Jahre 1912 auch den "Germanenorden" aus der Taufe hob, der als lose aufgebauter Geheimbund die Schaffung einer Kommandozentrale für die gesamte völkische Bewegung in die Wege leiten sollte. Für Südbayern übernimmt Rudolf von Sebottendorf diese Aufgabe. Die Thule-Gesellschaft wandte sich an die Eliten im Land. Rund ein Drittel seiner Mitglieder waren Akademiker. Man war also erst einmal nicht auf eine Massenorganisation aus.

Wie reagiert die Thule-Gesellschaft auf die Revolution in München am 7./8. November 1918?

Der Freistaat Bayern ist noch keine zwei Tage alt, als ihm Sebottendorf den Kampf ansagt. Vor seinen Gesinnungsgenossen erklärt er: "An Stelle unserer blutsverwandten Fürsten herrscht unser Todfeind Juda!" Schon am 10. November 1918 wird der Kampfbund Thule gegründet, mit der Zielsetzung einer militärischen Organisation, die die Niederwerfung der Revolution mit Waffengewalt zum Ziel hat und vom Oberleutnant Heinz Kurz geführt wird. In den Vordergrund rücken nun Akteure in der Thule-Gesellschaft, die für paramilitärische Aktivitäten verantwortlich sind, wie Offiziere und Studenten. Im Kampf gegen die Räterepublik im April 1919 erreichen deren Aktivitäten ihren Höhepunkt.

Buch "Die Thule-Gesellschaft"

In seinem Buch "Die Thule-Gesellschaft. Vom okkulten Mummenschanz zum Hakenkreuz" zeigt Hermann Gildbhard auf, welche Rolle der Geheimbund zu Zeiten der Revolution in Bayern gespielt hat und wie er den Weg vorbereitet hat für die Gründung der NSDAP.

Das Buch erschien im April 2015 in der 2. Auflage beim Clemens Kiessling Verlag.

Die Thule-Gesellschaft spielte auch eine Hauptrolle bei der sogenannten "Bürgerwehraffäre" im Dezember 1918?

Genau. Thule bereitete einen Staatsstreich vor. Hauptinitiator der sogenannten "Bürgerwehr" ist der Landtagsbibliothekar Dr. Rudolf Buttmann, der dann später Karriere in der NSDAP macht. Buttmann deklariert seinen Verschwörerkreis als Bürgerwehr. Die SPD-Minister Erhard Auer und Johannes Timm unterschreiben schließlich den Aufruf zur Gründung der Bürgerwehr, die mit entgegengesetzter Zielrichtung bereits existiert. Die Aussagen eines eingeschleusten und loyal zur Regierung Eisner stehenden Leutnants führen am 28. Dezember 1918 zur Verhaftung zahlreicher Personen im Hotel "Vier Jahreszeiten", wo gerade ein Offizier den taktischen Plan für den Putsch vorträgt. Einen Tag später ziehen die SPD-Minister Auer und Timm ihre Unterschriften zurück und überstehen die Aufdeckung der Verschwörung ohne Schaden. Auch die Verhafteten müssen nicht lange sitzen: Sie werden bald wieder freigelassen, denn es gibt in Polizei- und Justizkreisen viele Unterstützer.

Welche Rolle spielt die Thule-Gesellschaft bei der Ermordung von Kurt Eisner am 21. Februar durch Graf von Arco?

Ob der Leutnant Graf von Arco als Einzelgänger oder im Auftrag einer konspirativen Organisation den Ministerpräsidenten am 21. Februar 1919 ermordet hat, ist bis heute eine umstrittene Geschichte. Fest steht jedenfalls, dass Arco in den Kreisen der Thule-Gesellschaft verkehrte, die auf einen gewaltsamen Sturz der Regierung hingearbeitet hat. Sebottendorf hat zwar immer wieder behauptet, Arco sei ja nicht Mitglied in der Thule-Gesellschaft geworden, da seine Mutter Jüdin und Arco damit Halbjude gewesen sei. Dennoch war Arco in diesen Kreisen bestens vernetzt.

Vielen Dank für das Gespräch.


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