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RESPEKT Drei Schritte der Diskriminierung - Interview

Warum grenzen wir Menschen immer wieder aus, und was hat das für Folgen? Das fragte unsere Moderatorin Christina Wolf eine der bekanntesten Migrationsforscher:innen Deutschlands: die Soziologin Naika Foroutan.

Published at: 22-2-2021 3:00 nachm.

Prof. Dr. Naika Foroutan, Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung, Humboldt-Universität Berlin | Bild: Rasmus Tanck

"Andere" ausgrenzen: Wie funktioniert das?

Prof. Dr. Naika Foroutan: Man kann sich das eigentlich am besten in einem Drei-Schritt merken und diese drei Schritte kann man für sich benennen, nämlich: Kategorisierung, Hierarchisierung und Legitimierung. Wir fangen als Menschen immer unsere Welt auf, indem wir andere kategorisieren – als Frau, als Ostdeutsche, als Muslime oder als Migrant, als armer Mensch, als reicher Mensch. Das ist zunächst etwas, was wir brauchen, um uns zu orientieren. Wenn aber aus diesem Schritt ein nächster folgt, nämlich eine Hierarchisierung, dann passiert folgendes: Man gibt dem Menschen, den man zuerst einer Gruppe zugewiesen hat, bestimmte Eigenschaften, meistens negative.

"Die Ostdeutschen jammern nur", "die Muslimen sind aggressiv", "die Migranten wollen sich nicht anpassen", oder "die Frauen sind zu emotional", "Schwarze Menschen sind sehr sportlich". Sie sehen, das funktioniert in sehr viele unterschiedliche Richtungen. Diese Kategorien klingen im Kopf erst mal so, als würden sie etwas beschreiben; sie können aber auch zur Folge haben, dass man damit eine Gruppe hierarchisiert, das heißt, unter die eigene Gruppe platziert: Weil Schwarze Menschen so körperlich und angeblich an Sport und Tanzen interessiert sind, sieht man sie gar nicht auf der eigenen, hochplatzierten Gruppe, die sich eher mit Wissenschaft und Rationalität beschäftigt.

Also "Kopfmenschen sind weiß", das ist dann die Hierarchisierung?

Genau, das ist die Hierarchisierung. Genauso funktioniert das, wenn wir in einem Ost-West-Format denken: Da wird den Ostdeutschen diese Kunstfigur des "Jammer-Ossis" zugeschrieben: Sie wären nie zufrieden, würden sich nicht vom Extremismus befreien können, seien "nicht im heutigen Deutschland angekommen".

Der dritte Schritt ist die Legitimierung: Weil diese Gruppe so ist, ist sie auch nicht in allen gesellschaftlichen Positionen vertreten und das ist auch richtig so. Ich bringe mal das Beispiel, das viele kennen: Weil Frauen dieser emotionale Charakter zugeschrieben wird, wird damit begründet, dass sie nicht Chefin werden. Weil Ostdeutsche sich angeblich nicht mit der Demokratie anfreunden können, weil sie in der DDR keine Empathie gelernt haben, deswegen sind sie auch nicht in den Elitepositionen in Deutschland vertreten. Tatsächlich sind nur 10 Prozent Ostdeutsche in deutschen Spitzenpositionen vertreten, obwohl Ostdeutsche fast 25 Prozent der Gesellschaft ausmachen.

Und genauso haben wir das bei Musliminnen und Muslimen: Da wird gesagt, muslimische Familien seien nicht an Bildung interessiert. Das wiederum führt dazu, dass bei Schulnoten Diktate, die eingereicht werden, unter dem Namen "Max" oder unter dem Namen "Murat" - selbst bei identischen Fehlern - ungleich behandelt werden. Da bekommt "Max" immer die besseren Noten.

Wer profitiert denn davon, andere so abzuwerten, andere so auszugrenzen?

Das können natürlich nur diejenigen machen, die auch Machtpositionen innehaben, d.h., das ist ein Schritt, der meist von der sogenannten Dominanzgesellschaft erfolgt. Ich sage deshalb Dominanzgesellschaft und nicht Mehrheitsgesellschaft, weil es eben darum geht, wer den Zugang hat, Normalität zu bestimmen. Sie müssen sich überlegen: Jahrhundertelang war die Gesellschaft immer von 50 Prozent Frauen und 50 Prozent Männern geprägt, aber über Jahrhunderte hatten Männer die Macht, obwohl sie nummerisch, also zahlenmäßig, nicht mehr sind; sie waren nur dominanter und konnten bestimmen, wer an bestimmten Positionen sitzt und wer die Regeln wofür bestimmt.

Das ändert sich natürlich gerade: Im Moment gehen wir davon aus, dass wir 26 Prozent Personen mit Migrationshintergrund in diesem Land haben, bei unter 18-Jährigen 40 Prozent. Das heißt, die Zusammenstellung in diesem Land ändert sich und diese Menschen sind nicht mehr bereit zu akzeptieren, dass sie sich erst mal hintenanstellen müssen. Viele sind in Deutschland geboren, sind also schon immer hier gewesen, sie sind Teil dieser Gesellschaft. Diese Positionen werden gerade neu ausgehandelt, und das führt zu großen Konflikten.

Wenn wir jetzt Ostdeutsche dazu nehmen, und Ostdeutsche genauso zählen wie Personen mit Migrationshintergrund, dann würden sie zusammen mehr als 50 Prozent dieser Gesellschaft ausmachen. Da ist es nicht mehr legitim, dass alle Positionen von Westdeutschen besetzt werden.

Wie ordnen Sie denn diese Frage ein, wenn man Menschen ins Gesicht fragt: Wo kommst du eigentlich her?

Die Jugendlichen oder die Menschen, die nicht mehr gefragt werden wollen, da geht es nicht darum, dass man nicht neugierig sein darf; es geht ihnen darum, ein Zeichen zu setzen, dass sie von hier sind. Das ist im Grunde genommen ein Signal, dass man sich von dieser Frage gestört fühlt, wenn dahintersteht: "Du kannst ja eigentlich nicht aus Deutschland stammen." Wenn die Menschen spüren: Dahinter steht einfach eine Neugierde, genauso wie bei "Wo hast du deinen Pullover gekauft?" oder bei "Aus welcher anderen Stadt bist du hier nach Berlin gezogen?" Dann kann man darauf antworten "Mein Vater kommt aus der Türkei, meine Mutter kommt aus Istanbul", aber sobald damit die Zugehörigkeit entzogen wird, erzeugt diese Frage Aggression.

Wie demokratisch ist das noch?

Es geht in einer Demokratie nicht nur um die Rechte der Etablierten. Demokratie hat ein großes Versprechen und das heißt: Gleiches Recht für alle. Das heißt nicht: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Oder: Wer immer schon da war, hat mehr Rechte als solche, die später dazugekommen sind.

Das Versprechen der Gleichheit ist ein ganz fundamentales Versprechen in Demokratien. Das bringt die Gesellschaft dazu, an die Demokratie zu glauben. Wenn man nicht mehr an dieses System glaubt, weil man merkt, auch wenn man Abitur hat, ist man überdurchschnittlich stark von Armut betroffen - so ist es nämlich bei Menschen mit Migrationshintergrund – dann funktioniert diese Erzählung nicht mehr: Aufstieg durch Bildung. Wenn diese zentralen Erzählungen von Gesellschaft nicht mehr funktionieren, dann fangen Menschen an, an der Kraft von Demokratie zu zweifeln und dieses Gefühl haben wir im Moment sehr stark, dass Demokratie angegriffen wird.

Das heißt, diese ausgrenzenden Mechanismen sind im Kern demokratiegefährdend?

Ja, sie sind massiv demokratiegefährdend. Was wir derzeit sehen ist, dass dadurch, dass Menschen sich in ihren Privilegien angegriffen fühlen und der Kampf um neue Positionen, Sichtbarkeiten und Repräsentationen entsteht, dass diese Menschen die Ausgrenzungsmechanismen hochfahren. Wir sehen derzeit so hohe antimuslimische Einstellung, wir sehen so viel Ärger und Wut, wenn man über Rassismus spricht.

Vielen herzlichen Dank. Wir haben viel dazu gelernt. Einen schönen Tag nach Berlin!

Über Prof. Dr. Naika Foroutan

Naika Foroutan ist Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung, Humboldt-Universität Berlin


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