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Angeborene Herzfehler Leben mit einem Einkammerherz

Jährlich kommen in Deutschland rund 8.000 Kinder mit einem Herzfehler zur Welt. Die Medizin rettet weit über 90 Prozent der kleinen Patienten heute das Leben. Darunter sind auch Menschen mit einem Einkammerherzen. Noch vor wenigen Jahrzehnten hatten Neugeborene mit solch einem komplexen Herzfehler keine Überlebenschance. Doch der Start ins Leben ist auch heute nicht leicht, die Perspektive zu Beginn oft ungewiss. Welche Krisen meistern diese Menschen - als Kinder, Jugendliche und Erwachsene? STOLPERSTEIN hat mehrere Familien besucht.

Von: Bernd Thomas

Stand: 04.01.2024

Julian, 21, liebt die Musik und hat inzwischen seine eigene Band: Die Limited Edition.
Marieke, knappe drei, hat einen ausgeprägtem Willen und erforscht mit Begeisterung ihre Umgebung.
Moritz Erichsen ist Ende dreißig und inzwischen Familienvater.
Konstantin ist 13 und zählt in der Schule zu den Könnern am Kicker.
Die vier kennen sich nicht, aber sie verbindet das gleiche Schicksal. Sie kamen mit einem komplexen Herzfehler zur Welt, einem Einkammerherzen. Um leben zu können, mussten alle mehrfach operiert werden.

"Ich weiß über meinen Herzfehler, als ich geboren bin, sah mein Körper so lila aus, so blaues und rotes Blut waren gemischt. Mit drei Operationen wurde das dann verändert. Das ist der Herzfehler, der die meisten Operationen, drei Operationen braucht. Aber ich merke sonst eigentlich keinen großen Unterschied zu anderen. Außer, dass ich jeden Abend Medikamente nehme und halt wöchentlich, oder wenn es mir nicht gut geht, so Blutentnahmen machen und die Blutgerinnung kontrollieren muss. Das kann ich aber zu Hause machen."

Konstantin  

Komplexer, angeborener Herzfehler: hypoplastisches Links- oder Rechtsherzsyndrom

Franziska und Godeke Harrack haben zwei Töchter, Jannike und Marieke. Die kleine Marieke hat einen ähnlichen Herzfehler wie Konstantin, nur ist bei ihr nicht die linke, sondern die rechte Herzkammer betroffen. Viele angeborene Herzfehler können schon während der Schwangerschaft erkannt werden, auch besonders komplexe, wie die Einkammer- oder medizinisch univentrikulären Herzen.

"In der zwanzigsten Schwangerschaftswoche war ich zum normalen Ultraschalltermin bei meiner Frauenärztin. Und die hat festgestellt, dass etwas mit dem Herzen nicht stimmt, konnte aber nicht genau sagen was und hat mich dann weiter zum Spezialisten geschickt. Dort hat uns die Ärztin auch wirklich genau gesagt, was es ist, und was gemacht werden muss, damit Marieke, ja, leben kann."

Franziska Harrack

Welche Herzfehler gibt es?

Das Herz

Unser Herz besteht aus zwei Vorhöfen und den Herzkammern.

TGA und Stenosen

Manchmal sind die großen Gefäße vertauscht (TGA) oder haben Engstellen, so genannte Stenosen.

Fehlfunktonen der Klappen, Löcher

Andere Herzfehler betreffen die Klappen, Löcher zwischen den Kammern oder den Vorhöfen. Außerdem gibt es immer wieder auch Kombinationen unterschiedlicher Fehlfunktionen.

Zyanotische und nicht zyanotische Herzfehler

Unterschieden werden grundsätzlich so genannte nicht zyanostische und zyanotische Herzfehler, also solche, die mit einer Blaufärbung einhergehen. Denn wenn sich venöses und arterielles Blut mischen, gibt es Probleme mit der Sauerstoffversorgung.

Hypoplastische Links- oder Rechtsherzsyndrom

Zu den zyanotischen Herzfehlern und den komplexesten überhaupt gehören das hypoplastische Links- oder Rechtsherzsyndrom. Bei ihnen ist nur eine Herzkammer voll entwickelt, die andere zu klein oder kaum vorhanden. Beim hypoplastischen Linksherzsyndrom ist die linke Herzkammer nicht ausgebildet, ...

... beim Rechtsherzsyndrom die rechte.

Geheilt werden können besonders komplexe Herzfehler wie Einkammerherzen nicht. Damit Patienten trotzdem damit leben können, müssen sie schon wenige Tage nach der Geburt zum ersten Mal operiert werden. Notwendig sind meist drei Operationen am offenen Herzen.

Im Deutschen Herzzentrum München werden pro Jahr rund 25 bis 30 Kinder mit einem hypoplastischen Links- oder Rechtsherzsyndrom operiert. Bei drei notwendigen Operationen sind das bis zu 90 OPs, jede davon eine große Herausforderung für Herzchirurginnen wie Julie Cleuziou.

"Die komplizierteste und die risikoreichste ist auf jeden Fall die erste Operation, weil im Neugeborenenalter stattfindet, wenn das Kind erst ein paar Tage alt ist. Das Gewebe ist da noch sehr zerreißlich. Das heißt, wir müssen noch vorsichtiger arbeiten als sonst. Es ist außerdem die größte Veränderung für den Kreislauf. Das ist ein Verfahren, das sehr komplex ist. Aber es funktioniert gut."

Prof. Dr. med. Julie Cleuziou, MBA, Herzchirurgin, Deutsches Herzzentrum München

Umbau des Herzens: Trennung der Blutkreisläufe

Bei einem hypoplastischen Herzsyndrom ist nur eine der beiden großen Herzkammern entwickelt. Venöses und arterielles Blut mischen sich, ein Überleben ohne OP ist nicht möglich. Beim hypoplastischen Links-Herzsyndrom ist die linke Kammer zu klein, beim Rechtsherzsyndrom die rechte. In den ersten zwei Lebensjahren wird in drei großen OPs das Herz regelrecht umgebaut.

OPs bei einem hypoplastischen Herzsyndrom

"Unser Ziel ist es, dass diese Kinder alle erwachsen werden und ein schönes Leben haben. Aber wir wissen natürlich, dass es nicht immer ein einfaches, unbedingt gutes Leben wird. Aber wir sehen immer wieder die Patienten, die kommen. Und wenn sie 20 sind und uns erzählen von ihrem Leben und man denkt, es ist so wie ein anderer junger Mensch, dann freuen wir uns sehr. Dann wissen wir, dass das das Richtige ist, was wir machen jeden Tag."

Prof. Dr. med. Julie Cleuziou, MBA, Herzchirurgin, Deutsches Herzzentrum München

Leben mit einem hypoplastischen Herzsyndrom

Julian ist heute 21 und lebt, wie seine jüngere Schwester, noch zu Hause bei seiner Mutter und deren Lebensgefährten. Auch er kam mit einem hypoplastischen Linksherzsyndrom zur Welt und wurde als Neugeborener und Kleinkind insgesamt dreimal operiert.

"Ich habe immer gesagt, wenn Julian 21 wird, machen wir eine große Party. Einfach weil es ja immer kritische Momente gab, auch mal einen Moment, wo ich Freunde angerufen und gesagt habe, wir müssen uns von Julian verabschieden. Ich habe noch nicht ums Leben ringen müssen. Aber Julian hat das von Anfang an."

Gilah Buchner, Mutter von Julian

"Es gibt schon Situationen oder einfach Ängste generell, die man schon mit solchen Erfahrungen verbinden kann. Ja, das definitiv. Aber ich lebe ganz normal, ich kann alles machen und meine Grundstimmung ist positiv, definitiv!"

Julian

Schon länger schreibt Julian eigene Songs.

"Musik begleitet mein Leben immer schon, in guten wie in schlechten Zeiten, Musik ist immer dabei. Und eigene Songs zu schreiben, ist eine coole Sache. Es bedeutet, sich ausdrücken zu können, sage ich jetzt mal. Ich schreibe über Erlebnisse, die mir passiert sind, um sie auch ein Stück weit zu verarbeiten."

Julian

Hypoplastisches Herzsyndrom: ungewisser Start ins Leben

Alle Menschen mit komplexen Herzfehlern werden regelmäßig untersucht. Auch Marieke geht regelmäßig zu ihrem Kinderkradiologen.

"Bei ihr sieht es gut aus. Ohne den eigenen Willen geht nichts. Und sie hat einen starken Willen. Das, was sie mitgemacht hat, war ja ziemlich schwierig, aber sie hat alles gepackt. Es gibt Kinder, die haben den Lebenswillen und die ziehen es auch durch."

Prof. Dr. med. Manfred Vogt, Kinderkardiologe, München

Marieke wurde neun Tage nach ihrer Geburt zum ersten Mal operiert. Zuerst schien alles im Rahmen.

"Dann kam es zu einer Situation, wo sie reanimationspflichtig wurde, weil die Sättigung so abgefallen war. Und dann wurde sie reanimiert, was auch nicht erfolgreich war. Und dann wurde die ECMO eingebaut. Also die Ärzte haben dann wirklich alles getan, um ihr Leben zu retten und drei Tage später konnte die ECMO auch wieder ausgebaut werden. Und dann hat sie sich Schritt für Schritt wieder zurückgekämpft. Da haben wir dann gelernt, dass es auf dem Weg ins Leben viele Höhen und Tiefen gibt, viele Steine, die einen da immer wieder in den Weg rollen - mal größere, mal kleinere."

Franziska Harrack, Mutter von Marieke

Denn auch wenn alles glatt läuft, Garantien gibt es in der Medizin nicht, meint Prof. Julie Cleuziou, es könne immer etwas passieren. Patienten mit komplexen Herzfehlern haben statistsich gesehen geringere Überlebenschancen als Patienten mit weniger komplexen, einfacheren Herzfehlern. Doch manche meistern den schwierigen Start ins Leben und haben auch als Erwachsene eine gute Lebensqualität.

Moritz Erichsen ist 38 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Auch er kam mit einem hypoplastischen Rechtsherzsyndrom auf die Welt. Er ist einer der Pioniere mit diesem komplexen Herzfehler. Als er Mitte der 80-ger Jahre geboren wurde, hatten Kinder wie er in Deutschland so gut wie keine Überlebenschance.
Dass er lebt, verdankt er dem Einsatz seiner Eltern.

Nach seiner Geburt kam er als Notfall per Hubschrauber nach München. Doch die Ärzte konnten nicht helfen. Es sei nur möglich, sein Leben etwas zu verlängern, so ihre einhellige Einschätzung. Seine Eltern wollten ihm deshalb Operationen und unnötige Schmerzen ersparen und entschlossen sich, nichts zu unternehmen.

"Aber Moritz, der blieb und blieb und blieb, während andere leider auch verstarben.
Er hat einfach den Lebenswillen gehabt. Und dann haben wir gesagt: Klar, wir müssen was machen, wir müssen ihn operieren lassen."

Ruth und Axel Erichsen, Eltern von Moritz Erichsen

Seine Etern entschließen sich zur OP. Das Problem: Die Eingriffe sichern sein Überleben maximal für die ersten zwei, drei Jahre, mehr war damals in Europa nicht möglich. Axel Erichsen ist damals selbst Chirurg, er und seine Frau geben nicht auf und recherchieren auf eigene Faust - in Zeiten ohne Internet und Email kein leichtes Unterfangen. Durch Zufall bekommen sie einen Hinweis, dass es in einer Klinik in Boston einen Kinderherzchirurgen, Professor Castaneda gäbe, der große Erfahrung mit OPs von Herzfehlern habe. Sie schreiben ihm und schicken, was sie an Unterlagen haben. Vierzehn Tage später kommt tatsächlich ein Telegramm. Sie sollen mit ihrem Sohn in die USA kommen. Dort könne er operiert werden. Allerdings ist die Methode neu, riskant und gefährlich. Die Überlebenschancen für Moritz Erichsen liegen bei 40 zu 60 Prozent.

"Trotzdem war das für uns eine so klare und überzeugende Aussage und hat so viel Sicherheit uns gegeben und das war dann für uns auch nachträglich noch einmal so die Bestätigung, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben."

Ruth und Axel Erichsen, Eltern von Moritz Erichsen

Die Operation gelingt, Moritz Erichsen überlebt. Als einer der ersten Patienten hat er die Chance auf Leben.

"Ich bin einfach megastolz auf meine Eltern! Und für das, was sozusagen passiert ist, für das, was ich hatte und habe, führe ich ein gutes Leben. Es ist zwar kein ganz normales Leben, das muss man ehrlicherweise sagen. Als Kind geht man da relativ normal mit um, also als Kleinkind oder kleines Schulkind. Je älter man dann wird, merkt man dann schon so ein bisschen auch seine Limitation, die man hat im Vergleich zur gleichen Altersgruppe. Aber ich kann damit mittlerweile sehr gut umgehen und führe ein tolles Leben: Ich habe eine Familie, einen tollen Beruf und die besten Eltern, die man haben kann."

Dr. Moritz Erichsen

Angeborene Herzfehler: Langzeitfolgen und gesundheitliche Risiken

Heute ist die Methode weltweit etabliert. Moritz Erichsen ist Patient der Klinik für angeborene Herzfehler des Deutschen Herzzentrums München. Inzwischen weiß man: Menschen mit angeborenen Herzfehlern sind chronisch krank, egal ob die Fehler korrigiert, ob sie leicht oder hochkomplex sind. Für Menschen wie Moritz Erichsen ist besonders wichtig, von Ärzten behandelt zu werden, die Spezialisten für Menschen mit angeborenen Herzfehlern sind. In großen Zentren wie dem Deutschen Herzzentrum München liegen deshalb Kleinkinder, Kinder, Erwachsene und auch ältere Menschen mit angeborenen Herzfehlern mitunter auf ein und derselben Station.

"Es für uns natürlich eine erfreuliche Entwicklung, dass diese Patienten inzwischen gut behandelt werden können. Auf der anderen Seite aber auch eine echte Herausforderung."

Prof. Dr. Dr. med. H. Kaemmerer, Kardiologe, Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie, Deutsches Herzzentrum München

Denn es gibt gesundheitliche Risiken und Langzeitfolgen, deren Behandlung auch erfahrene Mediziner vor große Herausforderung stellt. Prof. Peter Ewert, Direktor der Klinik für angeborene Herzfehler des Deutschen Herzzentrums München sieht die positive Entwicklung als großes Experiment mit bisher erfreulichem Verlauf. Moritz Erichsen sind die gesundheitlichen Risiken seiner Erkrankung bewusst, er ist heute selbst Arzt. Aufmerksam verfolgt er die medizinischen Entwicklungen und Fortschritte.

"Es gibt natürlich immer die Risiken Rhythmusstörungen und solche Sachen, wie zum Beispiel Probleme mit der Leber bis hin zu langfristigen Leberveränderungen. Klar, über so was macht man sich dann schon auch immer mehr Gedanken. Meine Familie bedeutet natürlich alles für mich. Das ist dann nochmal eine ganz andere Dimension. Wenn man Kinder hat, da fragt man sich natürlich, wie die Zukunft sein wird. Aber letzten Endes wird das mittlerweile auch alles erst herausgefunden. Ich bin eben einer der Patienten, die jetzt so lange schon leben. Und für viele Ärzte ist es so, die kennen auch noch nicht alle Langzeitfolgen."

Dr. Moritz Erichsen

Komplexe Herzfehler: Herausforderung Alltag

Aufgewachsen ist Moritz Erischsen als zweites von vier Geschwistern, ganz normal. Lassen sie ihn machen, was er will, hatte sein behandelnder Kardiologe seinen Eltern geraten. Wozu hätte er denn sonst alle Operationen und Behandlungen durchgemacht? Ein Rat, an den sich Ruth und Axel Erichsen trotz manch risikanter Unternehmungen ihres Sohnes über die Jahre gehalten haben. Und darauf sind sie mit Recht im Rückblick stolz.
Das inzwischen gewonnene, medizinische Wissen kommt Familien von heute zugute. Vor wenigen Monaten hatte Marieke ihre letzte Operation. Wie viele Familien wurde und wird Familie Harrack auch nach dem letzten Klinikaufenthalt durch das Zentrum univentrikuläres Herz und andere komplexe Herzfehler des Deutschen Herzzentrums München zu Hause weiterbetreut. Gerade in den ersten Monaten eine besonders wertvolle Hilfe.

"Die Familien lernen unterschiedlich schnell, mit den unterschiedlichen Herausforderungen zu leben. Wir sind auch nach dem Aufenthalt in der Klinik immer wieder im Kontakt. Gerade in der Winterzeit haben viele Kinder Fieber. Und die Eltern sind dann oft in Sorge und fragen sich, ob und was sie machen sollen oder müssen."

Birgit Beckmann, Zentrum univentrikuläres Herz, Deutsches Herzzentrum München

"Es sind weit über 300 Familien, die wir begleitet haben. Und es sind immer um die 30 Familien, die wir gleichzeitig im Monitoring begleiten."

Dr. med. Julia Lemmer, Zentrum univentrikuläres Herz, Deutsches Herzzentrum München

Schwere Entscheidung vor der Geburt

Tiffany Kogler ist selbst promovierte Ärztin und erwartet ihr zweites Kind. Alles sei in bester Ordnung, hatte ihre Frauenärztin gemeint. Doch sie bestand trotzdem auf einer weiteren Ultraschall-Untersuchung und einer zweiten Meinung.

"Es war die ganze Schwangerschaft schon immer so ein Gefühl, dass ich gesagt habe, irgendetwas ist nicht wie beim ersten Mal. Und dann kommt der Arzt, schaut im Ultraschall und sagt, da haben wir ein Problem. Es ist ein großer Schock. Also es zieht einem wirklich so ein bisschen den Boden einfach unter den Füßen weg."

Dr. Tiffany Kogler

Ihr zweites Kind hat ein hypoplastisches Linksherzsyndrom. Das kann mit einem entsprechend hochauflösendem Ultraschall schon ab der zwölften Schwangerschaftswoche erkannt werden; voraussgesetzt, der oder die Untersuchende kennt sich mit angeborenen Herzfehlern aus.
Bestätigt sich die Diagnose eines Herzfehlers, werden Eltern von Expertinnen wie Prof. Renate Oberhoffer-Fritz von der Präventiven Pädiatrie der TU München untersucht und beraten. Die gute Nachricht dabei ist: Auch Kinder mit einem solch komplexen Herzfehler wie einem hypoplastischen Herzsyndrom entwickeln sich im Mutterleib vollkommen normal.

"Solange das Kind im Mutterleib ist, geht es ihm hervorragend, weil es diverse Querverbindungen des rechten und linken Kreislaufs zueinander gibt, die das Überleben ermöglichen. Erst nach der Geburt, wenn sich diese Verbindungen schließen, gibt es mehr oder weniger schnell ein Problem."

Prof. Dr. med. Renate Oberhoffer-Fritz, Präventive Pädiatrie, TU München

Für Ärztinnen wie Prof. Renate Oberhoffer-Fritz, die Familien in der schwierigen Zeit zwischen Diagnose und der Geburt begleitet, ist die Aufklärung der werdenden Eltern keine leichte Aufgabe. Denn die Perspektiven nach der Geburt sind oft ungewiss. Manche Frauen und Familien entscheiden sich für einen Schwangerschaftabbruch.

"Wir können leider nicht im Detail vorhersagen, welches Kind wird ein Problem bekommen und welches entwickelt sich optimal. Ich muss versuchen, die ganze Bandbreite des Möglichen aufzuklären und darzustellen, damit die Familien allumfassend wissen, was auf sie zukommen kann. Und damit sie sich ein Bild machen können, was sie schaffen, was sie tragen können und wollen.
Manche Familien sagen, das schaffen wir nicht. Dann muss ich die andere Richtung auch entsprechend darstellen. Da muss die psychosoziale Beratung hinzu. Also der psychologische Zustand der Mutter, das ist ja der Hauptgrund für den Schwangerschaftsabbruch, nicht die Fehlbildung an sich. Da hat sich das Recht in Deutschland geändert. Und es muss natürlich Kollegen geben, die so einen Abbruch dann auch machen. Das ist dann auch abhängig vom Zeitpunkt. Kommen die Frauen wirklich in dem Moment, wo das Kind, würde es zur Welt kommen, nicht mehr lebensfähig ist, oder ist die Grenze schon überschritten? Das ist manchmal eine sehr schwierige und sehr diffizile Situation.
Aber alle Familien brauchen Hilfe. Denn egal, ob sie sich gegen oder für das Kind entscheiden, kein Weg ist leicht."

Prof. Dr. med. Renate Oberhoffer-Fritz, Präventive Pädiatrie, TU München

Tiffany Kogler kann als Ärztin einschätzen, was auf sie und ihre Familie zukommt. Sie und ihr Mann haben inzwischen eine gemeinsame Entscheiung getroffen. Zuvor hatten sie, vermittelt durch Julia Lemmer und Birgit Beckmann vom Zentrum für univentrikuläres Herz des Deutschen Herzzentrums München, auch Kontakt zu anderen Familien aufgenommen.

"Wir haben uns wirklich viele Gedanken gemacht. Das brauchte tatsächlich Zeit, bis wir uns dann - ich will nicht sagen durchgerungen, das ist ein falsches Wort - aber bis wir einfach für uns festgestellt haben: Ja, wir wollen diesem Kind die Chance geben, egal, wie schwer das für alle anderen wird. Ich will dieses Kind haben. Ich freue mich schon darauf, ihn zu sehen, das erste Mal auf den Arm nehmen zu können. Ihm einfach auch selber sagen zu können, wie lieb ich ihn habe, wie stolz ich darauf bin, dass er das bisher so gut alles mitgemacht hat. Ich würde für mein erstes Kind kämpfen. Und ich werde auch für mein zweites Kind kämpfen."

Dr. Tiffany Kogler

Selbsthilfe: Mehr als wertvoller Austausch

Zwar weiß man heute, dass genetische Faktoren eine Rolle für die Entstehung komplexer angeborener Herzfehler spielen, aber wann und warum es zu Fehlentwicklungen kommt, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. Für die Familien spielt das keine große Rolle, denn sie leben mit der Erkrankung ihren Alltag. Konkrete Informationen und andere wertvolle Angebote bieten Selbsthilfegruppen wie der Verein Junge Herzen Bayern. Eltern und Kinder nutzen gerne die Möglichkeit, sich auf Freizeiten mit anderen austauschen zu können, die ähnliche Herausforderungen meistern. Das vermittelt Eltern und Kindern mit komplexen angeborenen Herzfehlern Sicherheit und Selbstvertrauen.

Moritz Erichsen ist zuversichtlich, dass sein gesundheitlich stabiler Zustand noch viele Jahre anhält. Konstantin sagt, er führt ein Leben, das sich nicht wesentlich von dem seiner Altersgenossen unterscheidet. Er spielt nicht nur Tischtennis. Auch in 20 Aufführungen der Passionsspiele Waal stand er mit auf der Bühne. Marieke besucht inzwischen die Kita in ihrem Wohnviertel. Die Eingewöhnungsphase verlief ohne Probleme und auch ihre Mutter freut sich darüber, wieder ihrem Beruf nachgehen zu können. Und Julian hat inzwischen eine Ausbildung als Erzieher begonnen.

"Es wäre schon ziemlich schade, wenn ich nicht da wäre! Das Wichtigste ist, glaube ich, dass man zufrieden ist, dass man das machen kann, worauf man Lust hat. Dass man schöne Erlebnisse hat. Ich habe natürlich ganz viel Lust auf Musik."

Julian


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