„Eine für Alle“ Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung
Es wurde protestiert, gefordert und gekämpft rund um das neue Bundesteilhabegesetz. Eine wichtige Forderung war die Einführung von unabhängigen Beratungsstellen von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung. Inzwischen ist der Startschuss gefallen – und Sehen statt Hören sieht sich das Angebot genauer an.
„Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung“ – kurz EUTB – so nennt sich das neue Angebot. Satte 58 Millionen Euro stehen dafür pro Jahr zur Verfügung. Klingt äußerst vielversprechend. Doch kann die Beratung auch halten, was sie verspricht? Getestet wird das von Wille Felix Zante, freier Autor, Rebecca Maskos, freie Journalistin und Eberhard Dietrich, Chefredakteur beim Privatradio.
Zahlen und Fakten
400 EUTB-Stellen sollen deutschlandweit eingerichtet werden
Themen in der Beratung könnten sein: Hilfsmittel, Teilhabeplan, Assistenz, Familie, Freunde, Freizeit
Etwa 270.000 Euro gibt es maximal pro Fachstelle.
Alle EUTB-Stellen müssen für Menschen mit Behinderung barrierefrei sein.
Nach dem Prinzip „Eine für alle“ muss jede EUTB-Stelle alle Ratsuchenden – egal welche Beeinträchtigung sie haben – beraten.
In Deutschland gibt es inzwischen 15 EUTB-Stellen mit gehörlosen Beratern und Gebärdensprache.
An den Bedürfnissen vorbei
Der Erfahrungsaustausch unter den drei Journalisten zeigt, dass die bisherige Beratung von nichtbehinderten Menschen ihre Grenzen schnell erreicht hat. Informationen über Gesetze oder Antragsstellung wurden zwar zuverlässig beantwortet, doch spätestens wenn es um den Lebensalltag ging, fehlte den Beratern das Vorstellungsvermögen: Sie wussten schlichtweg nicht, welche Bedürfnisse Menschen mit Behinderung haben. Und so taten sich Wissenslücken in der Beratung auf. Teilweise große Lücken.
Eine für Alle?
Nach dem Leitsatz „Eine für Alle“ ist für die Fachstellen das Ziel, Anlaufstellen für alle Menschen anzubieten. Egal ob ein Mensch eine Seheinschränkung oder eine Hörbehinderung hat oder ob er auf den Rollstuhl angewiesen ist – die Beratung muss für jeden Einzelnen ohne Einschränkung durchgeführt werden. Und das kann am besten ein anderer Mensch mit Behinderung. Doch kann das nicht nur dann funktionieren, wenn Berater und Ratsuchender eine ähnliche Behinderung haben?
"Wie soll mich ein Blinder sehen, wenn ich in Gebärdensprache kommuniziere? Aber – klar - mit Einsatz eines Dolmetschers wäre dieser Punkt erledigt. Wichtig wäre mir die Erfahrung des Beraters. Dass er weiß, wie und wo ein Antrag auf Zuschuss zu stellen ist, dass er meine Bedürfnisse einschätzen kann und weiß, was Gehörlose brauchen. Das kann er so wenig wie ich mir seine Situation vorstellen kann."
Wille Felix Zante
"Ich kann mir das sehr gut vorstellen, von einer Person mit einer ganz anderen Behinderungen als ich sie habe, beraten zu werden. Denn für mich ist erst mal wichtig, dass eine Gemeinsamkeit besteht bei gleichen Erlebnissen, die man mit Ämtern hat, auch Erlebnisse mit Diskriminierung und Ausgrenzung. Ich glaube, das ist ja auch erst einmal die Idee des Peer Counseling - dass man da eine Gemeinsamkeit hat und die unterschiedlichen Beeinträchtigungen erst mal egal sind."
Rebecca Maskos
Test 1 – der Online-Auftritt
Der Praxistest soll es nun zeigen – wie funktionieren die EUTB-Stellen heute? Doch schon auf den Internetseiten gibt es Probleme: die Gebärdensprachvideos werden nicht gefunden, genauso wenig wie Texte in Leichter Sprache. Zudem tun sich unsere Tester mit dem Aufbau der Seiten schwer. Laut Ministerium soll sich das alles noch verbessern – man stecke noch in den Kinderschuhen.
Test 2 – die Praxis
Auch Sehen statt Hören-Moderator Thomas Zander hat Fragen und sucht daher eine EUTB-Stelle in München persönlich auf. Ute Fröhlich ist hier Beauftragte für Teilhabeberatung. Sie hatte im Vorfeld viele Schulungen durchlaufen, um für alle Behinderungsarten Beratung anbieten zu können.
Und wie fielen die Praxistests der Tester aus? Mal so, mal so. Die Antworten auf die Anfragen kamen nicht immer schnell, teilweise wollte die Fachstelle den benötigten Dolmetscher nicht bezahlen. Die Beratung war dann aber sehr kompetent, die Barrierefreiheit in den besuchten Einrichtungen war gegeben.
Mit den Infos zum Antrag
Wie geht es nach der EUTB-Stelle für den Ratsuchenden weiter? Mit den hier erhaltenen Informationen können dann die Anträge bei den Leistungsträgern, wie Renten-, Krankenkasse, Integrationsamt oder der Agentur für Arbeit gestellt werden. Eine weiterer positiver Nebeneffekt: Die EUTB-Stellen schaffen Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung.
"Wir als Behindertenverband haben die Entwicklung des Bundesteilhabegesetzes in den letzten 3 Jahren mitverfolgt. Die wichtige Teilhabeberatung steht nun im Gesetz und es gibt Mittel für den Aufbau der Stellen. Für Menschen mit Behinderung und Ratsuchenden ist das ein Gewinn."
Helmut Vogel, DGB-Präsident