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Vererbung von Traumata vieler Holocaust-Überlebender Dokumentarfilm "Liebe Angst"

Die Eltern haben den Holocaust überlebt - die Kinder das Trauma geerbt. Über das Generationsübergreifende Trauma hat die Regisseurin Sandra Prechtel einen intensiven Dokumentarfilm gedreht: "Liebe Angst". Im Mittelpunkt ist Lore, die mit sechs Jahren erleben musste, wie ihre Mutter von den Nazis geholt und ins Konzentrationslager Auschwitz geschickt wurde. Kim, Lores Tochter, bekam den Schmerz der Mutter schon als Kind ungefiltert mit - als Erwachsene ist sie selbst daran zerbrochen. Im Dokumentarfilm "Liebe Angst", der in die Kinos kommt, geht es um die Annäherung von Mutter und Tochter.

Von: Andreas Krieger

Stand: 27.02.2023

Kim arbeitet die Geschichte ihrer Mutter Lore auf. Konfrontiert Lore mit Fakten, um ihren eigenen Schmerz in den Griff zu bekommen. Lore musste mit sechs Jahren erleben, wie ihre Mutter von den Nazis geholt und ins Konzentrationslager geschickt wurde. "Dieses Schweigen, das ist auch, was Kim sagt: 'Dieses alles spüren, aber nichts wissen, das ist das, was am schlimmsten für uns Kinder war'", sagt die Regisseurin Sandra Prechtel. "Eine Kindheit mit einer Mutter, die morgens müde am Tisch sitzt, weil sie die ganze Nacht nicht geschlafen hat, die Angstzustände hat, die im Kreis rennt und sagt: nicht sterben. Eine Mutter, die Todesängste hat, aber diese nicht artikulieren kann."

Der Krieg geht in den Menschen weiter

Kim leidet unter dem Trauma ihrer Mutter. Ihr ganzes Leben ist davon geprägt. Die Berliner Regisseurin und Autorin Sandra Prechtel lernte Kim kennen, als diese nach einer Lesung auf sie zukam. Sie entdeckte tiefe Wunden bei Kim, ließ sich auf sie ein, erkannte aber auch das Exemplarische dieser Nachkriegsgeschichte.

"Das war der Ausgangspunkt für mich, den Film zu machen, dass ich einer Frau begegnet bin, die meine Generation ist. Unsere Mütter sind ungefähr gleich alt und auf den ersten Blick führen wir ähnliche Leben. Sie ist freie Künstlerin, ich auch. Und dann stellt sich ganz schnell heraus: Sie führt ein komplett anderes Leben. Und ich würde so weit gehen zu sagen, dass es eigentlich Tag für Tag eine Last ist, die sie bewältigen muss. Das heißt, der Krieg geht sozusagen weiter, der Krieg geht in den Menschen weiter."

Regisseurin Sandra Prechtel

Der Dokumentarfilm "Liebe Angst" zeigt, wie es sich auf die Nachfahren von Holocaust-Überlenden auswirkt, wenn diese nichts erzählen. Lange wurden die Auswirkungen von generationsübergreifenden Traumata unterschätzt.

Schweigen bis in die Gegenwart

"Es gab in der bundesdeutschen Gesellschaft eigentlich dafür keinen Raum. Und das Schweigen von Lore gegenüber ihren Kindern war sozusagen ein gesellschaftliches Schweigen. So war es nicht nur in dieser einen Familie. Es gibt immer noch diese Familien, in denen diese Tabus und diese weißen Flecken, in denen dieses Schweigen wirklich alles zudeckt. Und in denen die Kinder immer noch kommen und fragen müssen, obwohl sie inzwischen keine Kinder mehr sind, sondern selber wieder erwachsene Frauen, die auch schon wieder Kinder haben könnten. Die immer noch etwas aufzuarbeiten haben, weil sich dieses Schweigen bis in die Gegenwart erstreckt."

 Regisseurin Sandra Prechtel

Lore erstickt ihren Schmerz, auch den Selbstmord ihres Sohnes, mit Ruhelosigkeit, entwickelt ein nur für sie verständliches Ordnungssystem. Kim aber findet keinen Halt. "Die Tatsache, dass es 80 Jahre nach Kriegsende, in der dritten Generation immer noch ein Nichtdazugehören gibt, das ist das, was mich am meisten erschüttert hat", sagt Prechtel.

"Liebe Angst" ist ein sehr persönlicher Film und von großer Allgemeingültigkeit.

Der Schmerz wandert weiter. Von Generation zu Generation.

Film

"Liebe Angst"
ab 23. März 2023 im Kino


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