BR Fernsehen - EUROBLICK


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Europa-Reportage 4.11.2018 Die jungen Wilden aus dem Elsass - Biowein aus Überzeugung

Die Europa-Reportage begleitet unter anderem die 28-jährige Catherine Hirsinger während der rund sechswöchigen Weinernte, in der die gesamte Familie fast rund um die Uhr in den Reben oder im Weinkeller arbeitet.

Von: Birgit Muth

Stand: 04.11.2018 | Archiv

Picknick unter Gleichgesinnten: Bio-Winzerin trifft „Biobauern“. | Bild: BR/Birgit Muth

Pittoreske Dörfer mit Fachwerkhäusern, die den Besucher auf das lebensfrohe Elsass einstimmen. Auf rund 170 Kilometer Länge schlängelt sich die berühmte Elsässer Weinstraße durch die Winzerdörfer, die Tradition und Bodenständigkeit ausstrahlen. Doch gerade hier im Nordosten Frankreichs ist prozentual zur Rebfläche der Bio-Anbau besonders hoch, höher als die zertifizierten ökologischen Rebflächen in ganz Frankreich oder auch Deutschland. Wer sind sie die jungen Wilden, die sich "bio" auf die Fahne beziehungsweise aufs Etikett schreiben und was bewegt sie?
Mit der jungen Winzerin Catherine Hirsinger aus Ingersheim haben wir uns inmitten der Weinlese verabredet. Vor zwei Jahren hat sich die Winzerfamilien entschieden, einen anderen neuen Weg zu gehen. Catherines gesamte Familie samt Verlobtem Raffael und dessen Familie lebt und arbeitet für den Wein. Jeder hilft mit – über fünf Wochen, lang tag ein, tag aus.

Vor dem köstlichen Tropfen liegt eine Durstrecke: "Acht Stunden in den Reben und dann haben wir noch vier Stunden im Keller, bis ungefähr ein Uhr nachts."

Eine neue Winzergeneration

Catherine, ihr Verlobter und Bruder Daniel sind die neue Generation der jungen Winzer, auf denen die Hoffnung ihrer Eltern liegt. Wein so naturrein wie möglich anzubauen, möglichst ohne Chemie. Sie haben sich vor zwei Jahren selbstständig gemacht, sind aus der Winzergenossenschaft ausgetreten, um eine besonders nachhaltige Form der Weinwirtschaft, den biodynamischen Anbau im Einklang mit der Natur zu betreiben.

Die Winzerfamilie mit ihren 20 Hektar wirkt zu bodenständig, um sie in die Ecke der Esoteriker oder Dogmatiker zu rücken. Dabei ist der biodynamische Weinanbau nach den Regeln des Anthroposophen Rudolf Steiner noch strenger als das einfache "Bio-Siegel". Der Weinberg wird als lebendiger Organismus betrachtet und so kultiviert, dass er sich selbst am Leben erhält. Konventionelle Agrochemikalien und Düngemittel sind nicht erlaubt. Die beiden Familien und ihre Erntehelfer jedenfalls wollen Wein mit Verzicht auf Chemie anbauen, weniger Einsatz von Maschinen und mit mehr Handarbeit - wie frühere Generationen. Welches der vielen "Bio-Siegel" für diesen neuen Weg einer immer größer werdenden Zahl von Winzern nun verwendet wird, scheint dabei zweitrangig. Wichtiger ist wohl der revolutionäre Geist, der dahintersteht.

Für das erst junge Weingut hat Catherine denn auch den Namen "Envol", auf Deutsch "Flug", kreiert, weil ihre Unternehmung an den ersten kühnen Flug eines jungen Vogel aus der Geborgenheit des Nests erinnern soll.

Der Anstoß, aus der konventionellen Winzergenossenschaft auszusteigen und eigenen Bio-Wein anzubauen, kam von Catherines Eltern – eine Entscheidung des Herzens:

"Am Anfang in der Schule habe ich normale Arbeit gelernt, nicht bio – gar nicht, alle Spritzmittelbenutzung. Und unser Sohn Daniel und Raffael – die haben schon in der Schule die Umstellung gelernt. Bio, das ist jetzt schon normal in der Schule, dass man das lernt. Meine Generation? Das war ganz anders. Da muss man die Produktion machen, die Menge. Das bringt Geld und nicht die Umwelt zu schützen."

Bernard Hirsinger

Langer Atem notwendig

Nach einer Entscheidung für Bio braucht es langen Atem, eine genaue Planung, mehr Handarbeit, aber auch ein Quäntchen Glück: Tücken lauern überall: ob der Verzicht auf Konservierungsmittel oder auf stabilisierende Maßnahmen wie Schwefel – Naturweine brauchen viel Erfahrung.

All das wussten die Hirsingers und sie haben sich mit der ganzen Familie ohne Wenn und Aber für den Naturwein entschieden. Erst nach drei Jahren ist die Umstellung der Böden und der Reben von konventionellem auf biodynamischen Weinanbau vollzogen. Das ganze Jahr wird mit Naturdüngungen und Spritzungen auf die Erntezeit im Herbst hingearbeitet. Nie ist ein Jahr wie das andere. Dieses Jahr mit dem heißen trockenen langen Sommer hat alle Erwartungen übertroffen. Die Stöcke tragen weit mehr Trauben als die Jahre zuvor.
Um optimal auf die Gegebenheiten des jeweiligen Bodens eingehen zu können, bauen die Hirsingers in ihren Weinbergen die sechs typischen Rebsorten des Elsass an, nämlich Riesling, Sylvaner, Pinot Blanc, also Weißburgunder, Pinot Gris – Grauburgunder sowie Gewürztraminer, Muscat und als Rotwein den Pinot Noir. Für Catherine, die Weinbau studierte, gab es nie eine andere Überlegung, als die Familientradition weiterzuführen. Ja, aber – natürlich!

Nicht nur im Weinberg – auch im Keller heißt die Devise der Bio-Winzer möglichst Verzicht auf alles, was nicht Natur ist. Dabei sind die biodynamischen Weinproduzenten wie Catherine und ihr Verlobter Raffael im Weinberg und im Keller noch ein wenig strenger reguliert als die "Bio-Winzer". Und ganz nach dem Motto "Schon die alten Griechen…" maischen auch Catherine und Raffael die Trauben für ihren Pinot Noir mit den nackten Füßen.
Lohn der Mühe: Ein gleichmäßig vollfruchtiger und ausgewogener Wein. Durch das Füßetreten soll das Maximum an Frucht, Farbe und Gerbstoff ausgepresst werden.

Direkter Kundenkontakt

An die umliegende Gastronomie liefert Catherine ihren Wein persönlich aus. Im naheliegenden Colmar, der Stadt an der Elsässer Weinstraße, hat sie einige Restaurants als Kunden. Mitten in der Weinlese ist ein Ausflug nach Colmar zwar eine willkommene Abwechslung, angesichts der vielen Arbeit in den Reben fast Luxus. Die Hauptstadt des Elsässischen Weins ist eine quirlige und gleichzeitig gemütliche Stadt. An jeder Ecke lädt ein kleines Café, Restaurant oder eine Weinstube zum Verweilen ein.

Catherine hat ein breites Kunden-Spektrum vom einfachen Restaurant bis zur Sternegastronomie. Bio-Weine liegen zweifellos im Trend und werden von den Kunden vermehrt nachgefragt. Ein bisschen Fachsimpeln mit der jungen Wirtin Benedicte, ein bisschen neuesten Tratsch – die beiden jungen Frauen sind mit Herz und Seele Unternehmerinnen und Vertreterinnen einer Generation, die sich auch mal auf das Einfachere oder Natürlichere zurückbesinnt.

Seelenverwandte

In Linthal ist sie mit ihrem guten Freund, Seelenverwandten und Ziegenbauer Mathis verabredet. Beide haben sich während eines Praktikums für ökologischen Anbau kennengelernt. Zusammen mit seinen Eltern, seinem Bruder und einigen Helfern bewirtschaftet Mathis den biodynamischen Hof – mit Ziegen, Kühen, Schweinen, Hühnern, Katzen und Hunden – Bilder wie aus einem Heimatfilm. Dabei ist der 27-jährige Mathis mit seinem Lebensstil nicht aus der Zeit gefallen. Er hat sich bewusst für dieses Leben jenseits von verklärter Landromantik entschieden – mit allen Konsequenzen. Und das verbindet die Bio-Winzerin mit dem Bio-Bauern: beide nehmen die harte und viele Arbeit ohne Klagen an, weil sie sich bewusst dazu entschieden haben, diesen Weg einzuschlagen und nah und mit der Natur zu leben. Die Mutter von Mathis, Renate Baumann, zog mit 25 Jahren wegen der Liebe, ihrem heutigen Mann Franz, ins Elsass und ist inzwischen mehr als doppelt so lange hier beheimatet.

Masse statt Klasse

Auf uns warten schon Jean-Pierre Frick und sein Freund Jean-Francois Ginglinger, beides Produzenten von Naturweinen. Klasse statt Masse ist ihre Devise – sie produzieren weniger Wein als sie verkaufen könnten. Geschmacksprobe des edlen Rebensafts – das Jahr 2018 hat nicht nur an Menge, sondern auch an Qualität die Erwartungen übertroffen.
Im alten Weinkeller dürfen sich die noch jungen Bio-Winzer Catherine und ihr Verlobter Raffael noch einige Geheimtipps von Jean-Pierre erhoffen. Er ist eine Art Mentor und steht mit Rat und Tat zu Seite. Er hat sich über Jahre einen Namen in der Welt der Naturweine erarbeitet. Er selbst hat sich seit 1981 dem noch strenger reglementierten biodynamischen Anbau verschrieben: Bereits sein Vater baute in den 1970er Jahren biologisch an und wurde damals so etwas wie ein spleeniger Außenseiter im Elsass betrachtet. 300 Bio- von rund 3700 Winzern insgesamt im Elsass:

"Wir sind die Kulturträger. Die anderen – wir haben Respekt für diese Leute – ja, die machen schöne Arbeit. Aber das ist eine industrielle Weinbereitung in den Reben wie im Keller. Und wir sind Kulturträger. Wenn ihr zu Jean-Francois geht oder zu Raffael – jedes Jahr ist der Wein ein wenig anders. Und die Leute kommen wieder, wenn sie sagen: dein Silvaner ist dieses Jahr nicht wie letztes Jahr."

Jean-Pierre Frick

Der Boden macht den Wein, so die Devise der biodynamischen Winzer. Trotz des heißen trockenen Sommers hatten die Böden noch genügend Feuchtigkeit, waren die Trauben saftig und versprechen eine hohe Qualität.

Auch in einem der Nachbardörfer von Catherine Hirsinger in Ammerschwihr lebt ein großer Teil des Dorfes vom Weinanbau. Umso stolzer ist Catherine Hirsinger, dass sie als Newcomerin aus Ingersheim ihren biodynamischen Wein an ein Restaurant der Spitzengastronomie ausliefern kann. Inzwischen haben die Bioweine auch nicht mehr den Beigeschmack, geschmacklich nicht mithalten zu können.

Und der Winzer-Nachwuchs presst inzwischen die selbst geernteten Trauben – zum unvergorenen Traubensaft freilich nur. Und der ein oder andere findet daran sichtlich Geschmack – wohl auch an einem künftigen Winzerleben. Und vielleicht gehören bio, naturnah und grün dann zum Standard - in der Küche und auf den Feldern.


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Herr Rüdiger Westphal, Sonntag, 04.November 2018, 17:00 Uhr

1. Toll

Sehr schöne und informative Reportage. Ein Besuch im Elsass wird geplant.