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Zum 150. Geburtstag von Wilhelm Paulcke Der erste deutsche Lawinenforscher

„Der Wind ist der Baumeister der Lawinen“ - wohl kaum ein Bergsteiger, Skitourengeher, Wetter- und Lawinenexperte, der diesen Satz nicht kennt. Denjenigen aber, der das gesagt hat, kennt heute kaum noch einer: Wilhelm Paulcke. Geologe, Lawinenforscher, Visionär des alpinen Skilaufs, Pionier des militärischen Skibergsteigens – und eine fast vergessene alpine Größe. Am 8. April 1873, also heute vor 150 Jahren kam Wilhelm Paulcke in Leipzig zur Welt.

Von: Andrea Zinnecker

Stand: 08.04.2023 | Archiv

Zum 150. Geburtstag von Wilhelm Paulcke | Bild: DAV

Auch wenn der Name Paulcke vom Winde verweht ist – dem Meteorologen und alpinen Sicherheitsexperten Karl Gabl ist er noch ein Begriff.

Karl Gabl

Schon 1898 hat Paulcke eine erste Publikation zum Thema Skilaufen veröffentlicht und sich zur norwegischen Methode des Skifahrens mit zwei Stöcken bekannt. Damals stritten sich die Skipädagogen Georg Bilgeri und Matthias Zdarsky über die Ein- bzw. Zweistockmethode und wollten sich sogar duellieren. Am Arlberg hat Wilhelm Paulcke schon 1902, also 12 Jahre vor Hannes Schneider, den ersten Skikurs gegeben – und er war nicht nur ein früher Ski-Visionär, sondern auch ein hervorragender Skibergsteiger. 1898 hat er den Oberalpstock mit Skiern bestiegen, 1902 gelang ihm die zweite Ski-Besteigung der Valluga. Und für seine legendäre Winter-Durchquerung des Berner Oberlands hat Paulcke eine spezielle Skibindung konstruiert und dazu 180 Vorläufermodelle entwickelt und getestet.

Die alpine Sicherheit war Paulcke stets oberstes Gebot. Zusammen mit dem Münchner Nanga-Parbat-Expeditionsbergsteiger Willo Welzenbach hat er 1928 den weltweit ersten Lehrfilm über Lawinen gedreht, der auf einer Tagung in Toronto gezeigt wurde. Paulcke war auch der Doktorvater von Welzenbach, der über Lawinen promoviert hat. 1938 hat Paulcke ein populärwissenschaftliches Werk über Schnee und Lawinenkunde geschrieben – damals das Standardwerk schlechthin. Karl Gabl sieht in Wilhelm Paulcke den Begründer der wissenschaftlich fundierten Lawinenforschung.

1930 wollte Paulcke ein Lawinenforschungsinstitut gründen und war mit dieser Idee Vorreiter der 1931 gegründeten Forschungsstelle auf dem Jungfraujoch. Sie wurde dann vom Jungfraujoch ans Weißfluhjoch nach Davos verlegt und ist heute als Schweizer Lawinenforschungsinstitut weltbekannt ist.

Wilhelm Paulcke war ein kränklicher Junge, weshalb die Familie von Leipzig, wo der Vater eine Apotheke hatte, nach Davos zog. Von seiner norwegischen Erzieherin bekam Paulcke zum zehnten Geburtstag ein Paar Eschenholzskier mit Meerrohr-Bindung geschenkt. Seitdem ließ ihn die Leidenschaft fürs Skifahren nicht mehr los. Unermüdlich setzte er sich dafür ein, den Ski im Alpenraum zum sportlichen Fortbewegungsmittel zu machen. Später hat er dann die Geister, die er rief, speziell des Skizirkus am Arlberg so kommentiert: „Rauf, runter, rauf, runter – der Abfahrtshimmel feiert Orgien. Die Masse wimmelt um die Hotels herum in fabelhaft chicen Kostümen und neben dem Skiwachs sind Rouge und Lippenstift unentbehrliche Winterausrüstungsgegenstände. Haare strohblond – Wasserstoffperoxid – Lippen knallrot à la Clown. Wenn sie wüssten, wie sie ausschauen, die Holden! Aber die Männer sind ja soooo dumm!“

Wilhelm Paulcke

Seit den 1930er-Jahren war Wilhelm Paulcke eine internationale Ski-Kapazität, auch wenn ihm die Rivalität zum Skipädagogen Matthias Zdarsky ein wenig den Ruf ruiniert hat, ebenso die Tatsache, dass er der nationalsozialistischen Rassenlehre nahestand. Schon bald nach 1900 hatte sich Paulcke für die Ausbildung von Militär-Skiläufern eingesetzt und als Hauptmann im Ersten Weltkrieg Schneeschuh-Jägerbataillone geführt. Als Major hat er das türkische Heer im Skilaufen unterrichtet und wurde zum Vater des Skilaufs im Osmanischen Reich. Außerdem ist Paulcke einer der Gründerväter des Deutschen und des Österreichischen Skiverbands, die beide 1905 zeitgleich im Münchner Augustinerkeller etabliert wurden. Auch dass Paulcke eine künstlerische Ader hatte und in seiner Zeit ein durchaus erfolgreicher Alpenmaler war, ist in Vergessenheit geraten.

Wegweisend war Paulckes Engagement für alpine Sicherheit. Der Wiener Bergsteiger und Arzt Emil Zsigmondy war der erste, der sich damit beschäftigt und 1884 das erste Lehrbuch über alpine Gefahren verfasst hat. Nach Zsigmondys Tod wurde es von Ludwig Purtscheller, dem Erstbesteiger des Kilimandscharos, weitergeführt und in der vierten Auflage ab 1912 von Paulcke betreut und immer dem neuesten Kenntnisstand angepasst. Im Lehrbuch über die „Gefahren der Alpen“ prägt er auch erstmals die Begriffe objektive und subjektive Gefahr. Auch der Begriff des „Engadiner Fensters“ stammt von Wilhelm Paulcke, der Professor für Geologie und Mineralogie an der Hochschule in Karlsruhe war und schon während seiner Studienzeit an der Uni Freiburg den Schwarzwald für sich entdeckt und ihn als erster mit Skiern durchquert hatte.

Ebenfalls wenig bekannt ist, dass Paulcke kurz nach 1900 am Matterhorn die erste Solo-Begehung des Hörnligrats und des Zmuttgrats gelungen ist – beides großartige alpinistische Leistungen damals wie auch zahlreiche Erstbegehungen zum Beispiel am Großen Litzner und Stankelhorn in der Silvretta. So wundert es nicht, dass einige Berge nach Paulcke benannt sind: Da gibt es den Paulcke-Turm in der Silvretta und Paulcke-Türme im Klettergebiet am Battert bei Baden-Baden. Sogar in der Antarktis wurde ein Berg nach ihm benannt, obwohl er niemals dort war. Auch in den Himalaya hat es Paulcke angesichts der vielfältigen beruflichen Herausforderungen nicht geschafft. 1949 ist Wilhelm Paulcke gestorben – nicht in einer Lawine, sondern daheim in seiner Bibliothek durch einen Sturz.


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