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15 Jahre Bergsteigerdörfer Alpine Authentizität und neue Nachhaltigkeit zwischen Triglav, Watzmann und Monviso

Was haben Crissolo im Piemont, Ginzling im Zillertal, Jezersko in Slowenien, Johnsbach im Gesäuse, Lungiarü in Südtirol, Sankt Antönien in Graubünden und Ramsau im Berchtesgadener Land gemeinsam? Sie alle sind Bergsteigerdörfer. 33 gibt es mittlerweile in den Alpen. In "Fernweh" unternehmen wir einen Streifzug durch einige dieser sehr speziellen Orte.

Von: Andrea Zinnecker

Stand: 14.08.2023

Seit 1991 gibt es Wanderdörfer in Österreich, seit 2006 Alpine Pearls, also Urlaubsorte mit Mobilitätsgarantie - und seit 2008, also seit 15 Jahren, Bergsteigerdörfer. Sie sind ein Gegenmodell zur eventmäßigen Inszenierung und Möblierung der Alpen. Es geht um alpine Authentizität und Nachhaltigkeit, um Entschleunigung, sanften Tourismus ohne Bettenburgen, Nähe ohne Respektlosigkeit und Bewegung aus eigener Kraft ohne Aufstiegshilfen – sozusagen eine neue alpine Bescheidenheit, die umwelt- und klimaverträglich ist.

Die Idee zu dem länder- und kulturübergreifenden Projekt der Bergsteigerdörfer hatte vor 15 Jahren das damalige Ministerium für ein lebenswertes Österreich zusammen mit dem Österreichischen Alpenverein. Im Juli 2008 beschlossen in Ginzling im Zillertal 16 Gemeinden und Dörfer, eine alternative und naturnahe Tourismus-Entwicklung auf Basis der Alpenkonvention zu pflegen. Dank des strengen Kriterien-Katalogs wurde das Prädikat Bergsteigerdorf inzwischen zu einem begehrten alpinen Qualitätssiegel und auch zu einer europäischen Idee. Inzwischen haben sich die Bergsteigerdörfer über den gesamten Alpenbogen verteilt, vom ligurischen Triora ganz im Westen bis zum slowenischen Luce ganz im Osten. Wer sich allerdings nicht an die Auflagen hält, dem wird das Prädikat auch aberkannt, wie zum Beispiel Kals am Großglockner.

Ramsau wurde das erste deutsche Bergsteigerdorf

Ein Höhepunkt in der Ramsau ist der Zauberwald am Hintersee und ein Besuch der Schärtenalm am Hochkalter.

2015 hat der Deutsche Alpenverein diese Initiative auch nach Bayern geholt. Ramsau bei Berchtesgaden wurde das erste deutsche Bergsteigerdorf. Die Bewahrung der örtlichen Kultur und Tradition ist das eine, die sanfte Mobilität das andere. Der aktive Natur- und Landschaftsschutz spiegelt sich nicht nur im hochalpinen Wegenetz, sondern auch ein paar Etagen tiefer. Ein Höhepunkt in der Ramsau ist zum Beispiel der Zauberwald am Hintersee, ebenso ein Besuch der Schärtenalm am Hochkalter. Und es ist kein Wunder, dass sich rund ums Bergsteigerdorf Ramsau auch die Bartgeier wohl fühlen. Bereits zum dritten Mal wurden heuer zwei Jungvögel im Klausbachtal ausgewildert – eine Erfolgsgeschichte wie auch das Schwarze Alpenschwein, das vom Aussterben bedroht war und hier nach über hundert Jahren wieder gezüchtet wird.

Südtirol ist auch mit von der Partie

Blick aus dem Matscher Tal zum Ortler

Auch der Alpenverein Südtirol hat die Idee der Bergsteigerdörfer aufgegriffen. Matsch im Oberen Vinschgau wurde 2017 das erste Südtiroler Bergsteigerdorf, 1.580 Meter hoch gelegen, eine Kirche, ein Gasthaus, ein Kaufhaus, knapp 500 Einwohner, Berglandwirtschaft und Almen, keine Lifte und Seilbahnen, dafür aber unzählige Tourenmöglichkeiten von der gemütlichen Waalweg-Wanderung bis zur anspruchsvollen Hochtour auf die Weißkugel, die „heimliche Königin“ der Ötztaler Alpen.

Das Zentrum von Lungiarü mit Blick zu Zwölferkofel, Kapuziner und Doleda

In den Dolomiten, im Gadertal, ist 2018 das erste ladinische Bergsteigerdorf entstanden: Lungiarü – Campill, so der deutsche Name. Seit 2018 ist das Val di Zoldo in den Belluneser Dolomiten das dritte italienische Bergsteigerdorf. Es ist geprägt von der Kultur der Eisen-Verarbeitung und der Eis-Herstellung. Die weltbesten Eismacher - Gelatieri - kommen aus diesem fast vergessenen Tal zwischen Civetta, Monte Pelmo und der Bosconero-Gruppe, in dem venezianisches Ladin gesprochen wird.

Österreich als Hochburg der Bergsteigerdörfer

Schallerwirt Josef Schnedlitz im Steirischen Krakau

Die meisten Bergsteigerdörfer gibt es in Österreich. Die Steirische Krakau mit rund 1.300 Einwohnern ist seit 2010 Bergsteigerdorf und setzt unter anderem auch auf Landschaftswahrnehmung und Jodeln, um sich für Stimmungen und Schwingungen in der alpinen Natur zu öffnen. Obertilliach in Osttirol ist nicht nur ein Bergsteigerdorf, sondern auch ein Nachtwächterdorf, in dem diese alte Tradition weitergeführt wird. Obertilliach, Untertilliach und Kartitsch bilden das Bergsteigerdorf Tiroler Gailtal zwischen den Lienzer Dolomiten und den Karnischen Alpen. Nicht weit davon entfernt liegt ein weiteres Bergsteigerdorf: das Lesachtal mit St. Lorenzen als Hauptort.

Nachholbedarf in Bayern

Sachrang im Priental unter dem Spitzstein

Ein weißer Fleck auf der Karte der Bergsteigerdörfer ist noch das Allgäu. Hinterstein im Ostrachtal sollte eigentlich das erste deutsche Bergsteigerdorf werden. Ein nicht naturverträgliches Wasserkraftprojekt hat das allerdings verhindert. In Bayern gibt es nach Ramsau noch das Bergsteigerdorf Kreuth, wobei hier nur der südliche Teil der Gemeinde zählt, sowie das Doppel-Bergsteigerdorf Sachrang und Schleching mit dem Naturschutzgebiet Geigelstein als Markenzeichen. Hand in Hand arbeiten hier das Bergbauernmodell Sachrang und das Ökomodell Achental zusammen, auch die länderübergreifende Vernetzung ist ein Kennzeichen der Bergsteigerdörfer. Aber in Sachrang und Schleching fehlt immer noch die lang versprochene Ringbuslinie, die das Priental mit dem Achental verbinden soll, denn Kommunen, Landkreis und Freistaat sind sich uneins und viele Einwohner von der Politik enttäuscht.

In puncto öffentliche Mobilität sind die österreichischen Bergsteigerdörfer deutlich besser aufgestellt, auch Göriach im Salzburger Lungau, erst seit 2021 Bergsteigerdorf und somit eines der jüngeren. Alles in allem aber ist aus der Idee der Bergsteigerdörfer nach 15 Jahren eine Erfolgsgeschichte im Alpenraum geworden.

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