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Wilderer heute Romantische Rebellen und kopflose Kadaver

Wilderer: Das waren sagenhafte Gestalten wie Jennerwein und Kneissl - frei, gerissen und gerecht. Was wenige wissen: In Bayern wird weiter gewildert - oft just for fun, mit SUV und Schneemobil.

Von: Michael Kubitza

Stand: 12.12.2011 | Archiv

Illustration: Jäger, Hirsche und Fadenkreuz vor einer Landschaft | Bild: colourbox.com, BR

Abendstille über Bergeshöhen. Ein Schatten huscht: Das Büchslein kracht, der Wildschütz lacht, und zur Nacht dampft auf dem Herd ein Kessel Rehragout. So ungefähr stellt man sich das vor - Wildern. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Flachland statt Gipfel, brummende Geländewagen und High-End-Scheinwerfer, die durch den Wald schneiden, um das Wild aufzuschrecken. Dumpfes Knallen.

"Die Wilderer heute schießen mit schallgedämpften Kleinkalibergewehren oder nicht zugelassenen Erbstücken. Und natürlich muss es schnell gehen. Wenn sie nicht richtig treffen, haben die Hobbywilderer keine Zeit, dem Wild nachzustellen. Das Tier schleppt sich waidwund weiter, stirbt einen qualvollen Tod."

Ludwig Waldinger, Landeskriminalamt München

Beim LKA betrachtet man Jagdfrevel nicht als Brauchtum, sondern als Straftat. Es geht um Jagdrecht, aber auch um Tierschutz und Gefährdung von Passanten. Knapp 200 Fälle von Wilderei kommen jedes Jahr zur Anzeige, in Oberbayern, Niederbayern, Franken - praktisch überall, wo es Wald gibt, vereinzelt sogar in städtischen Parks.

Jennerwein bis heute: Gestern und heute: Eine Topographie des Wilderns

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Jennerwein bis heute: Gestern und heute: Eine Topographie des Wilderns

Kalorien und Adrenalin

"In den 70er-Jahren war das Wildern weit verbreitet. Dann sind die Zahlen runter gegangen. Aus Hunger wildert kaum noch jemand - wenn es ums Fleisch geht, dann um illegalen Handel", sagt Waldinger. Im Raum Bad Tölz flog vor zwei Jahren eine Bande auf, die im großen Stil Wildbret an Lebensmittelkontrollen und der Steuer vorbei an Gaststätten der Region verhökerte. Den meisten aber, weiß Waldinger, geht es um Nervenkitzel und Trophäen. Die Nachtseite majestätischer Geweihe im Wohnzimmer aber sind die kopflosen Kadaver eilig zersägter Hirsche im Wald.

Die Blutspur führt über die Grenze

Ein Trendsport ist die Wilderei zwar noch nicht - in Mode kommt sie aber wieder. Wenn die Zahlen in den vergangenen Jahren relativ konstant geblieben sind, liegt das daran, dass immer mehr Bayern jenseits der Grenze jagen: in Österreich, wo die Forstpolitik größere Wildbestände erlaubt; seit der Grenzöffnung auch in Böhmen. "An der tschechischen Grenze ist Beamten kürzlich ein Geländewagen aufgefallen, bei dem Blut aus dem Kofferraum lief. Da lagen zwei tote Wildsauen drin. Die Täter fahren über die Grenze, jagen - neuerdings auch mit Schneemobilen - und sind in derselben Nacht wieder daheim." Mit dem Leben des Jennerwein haben solche Feierabendtötungen wenig zu tun.

Interview: Die wilde Geschichte der "Schwarzgeher"

Martin Knoll, geboren in Kempten, ist Historiker an der Universität Darmstadt und Experte für Jagd und Wilderei in Bayern.

Seit wann gibt es eigentlich Wilderer?

Das ist eine ganz alte Entwicklung. Sobald es Regeln und Beschränkungen gibt, ist immer jemand da, der dagegen verstößt. In Bayern geht das zurück ins frühe Mittelalter, als sich eine Adelsschicht herausbildete, die exklusiv beanspruchte, was vorher jeder durfte: In den Wald gehen und Wild erlegen. Dagegen regte sich schnell Widerstand.

Wer waren denn die Wilderer? Outlaws? Hungerleider?

Auch Hungerleider - vor allem im Alpenraum. Das ging aber quer durch alle Bevölkerungsschichten, besonders da, wo man legal oder illegal im Besitz von Waffen war. Da gab es den Jäger, der sein Salär durch ein schwarz geschossenes Zubrot aufbesserte, den Soldaten, der auf seinen Kriegsbeutezügen keinen Unterschied zwischen Dorf, Wald und Feld machte. Auf der anderen Seite waren die Bauern, die sich dagegen zur Wehr setzten, dass das Wild ihre Ernte zerstörte. Und es gab zu allen Zeiten eine Art bürgerliche Freizeitwilderei: In der Landshuter Gegend etwa vergnügte sich im 17. Jahrhundert die Oberschicht im Wald, und in Neuburg beschwerte man sich mehr als einmal über die Jagdausflüge der Ingolstädter Studenten.

Die Vorstellung vom romantischen Rebellen der Wälder trifft also nicht unbedingt zu?

Oft fühlten sich die Wilderer wohl schon als Freiheitshelden, besonders zur napoleonischen Zeit. Oft aber waren die Banden nichts anderes als eine Spiegelung der Jagdgesellschaft ins Illegale: Da ging der Großbauer in den Wald, die Knechte mussten mit, und natürlich bekam der Herr das beste Stück.

Und wie steht es mit mythischen Gestalten wie dem "bayerischen Hiasl" Klostermayr?

Der war sicher eine Art Robin Hood - und gleichzeitig Psychopath: Nur mithilfe von Sympathisanten hätte der nicht so lang überlebt, da brauchte es auch Terror. Es gibt ein Verhörprotokoll, in dem beschrieben ist, wie der Klostermayr in das Haus des Mesners eindringt und mit der schwangeren Ehefrau eine Art Scheinhinrichtung veranstaltet.

Apropos Frau: Gab es auch die Wilderin, wie sie im Heimatfilm "Der Förster vom Silberwald" zu sehen ist?

Wildernde Frauen waren zu allen Zeiten die Ausnahme von der Regel. Und die Regel sagt: Wo es nicht ums blanke Überleben geht, sind Jagdgemeinschaften, legale wie illegale, Männergesellschaften. Offenbar übt die Trophäenjagd, die Lust am Töten, das komplexe System der Waidgebräuche auf Männer einen größeren Reiz aus als auf Frauen. Komplizierter wird es, wenn man den ganzen Prozess betrachtet, der mit der Wilderei zu tun hatte: Transport des Wildbrets, Verarbeitung und Verkauf, Verstecken von Menschen und Waffen und so weiter, da haben wir sicher ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. 1671 wanderte mal eine Köchin ins Gefängnis, weil sie zu Unrecht den Hörmannsdorfer Pfarrer und dessen Dienstmagd wegen Wilderei angeschwärzt hatte.


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