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Prof. Dr. Norbert Nedopil, Psychiater Gewalt in der Gesellschaft wird seltener, obwohl wir das nicht glauben!

Europäische Kriminalstatistiken zeigen, dass Gewalttaten im Laufe der Jahrhunderte in Europa immer seltener geworden sind. Dennoch nehmen wir das nicht wahr. Der Psychologe Prof. Dr. Norbert Nedopil erklärt warum.

Von: Andrea Roth

Stand: 28.09.2021

Sowohl der Blick in die deutsche Kriminalstatistik der letzten 40 Jahre als auch die Betrachtung historischer Schätzungen zeigen, dass Gewalttaten im Laufe der Jahrtausende und auch aktuell in Europa immer seltener geworden sind, wenn man von zwischenzeitlichen und vorübergehenden Spitzen absieht, die es in der Geschichte immer wieder gab. Von 1992 bis heute ist die Zahl der Gewalttoten in Deutschland um mehr als 50% gesunken. Die Gründe hierfür sind vielfältig, hängen aber weitgehend mit der Fortentwicklung der Zivilisation und der Integration zivilisatorischer Fortschritte in das tägliche Leben zusammen. Dieser Fortschritt wird allerdings weder medial noch im subjektiven Gefühl der meisten Menschen wahrgenommen. Und auch das hat nachvollziehbare Gründe. Zwei Mechanismen, der negativity bias (man nimmt Negatives intensiver wahr als Positives) und der confirmation bias (man nimmt das intensiver wahr, was die eigene Meinung bestätigt) sind wesentliche Mechanismen, die uns in der Auffassung bestärken, dass es immer schlimmer wird mit der Kriminalität und der Gewalt in unserer Gesellschaft. Eine Auffassung, welche die Medien in Kenntnis der beiden Mechanismen, die auch die Verkaufsziffern ihrer Produkte steigern, gerne bestätigen.

Prof. Norbert Nedopil hat nach dem Studium von Medizin und Psychologie von 1977 bis 1984 seine Ausbildung zum Psychiater an der Psychiatrischen Klinik der Universität München mit den Forschungsschwerpunkten Psychopharmakologie, Schizophrenieforschung und Schlafforschung absolviert.
Seit 1984 spezialisierte er sich in Forensischer Psychiatrie, von 1989 bis 1992 leitete er als Professor die neu gegründete Abteilung für Forensische Psychiatrie an der Universität Würzburg.
Von 1992 bis 2016 hatte er die Leitung der Abteilung für Forensische Psychiatrie an der Psychiatrischen Klinik der Universität München inne.
Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung psychiatrischer Begutachtungen, die Differenzierung und Bedingungsfaktoren menschlicher Aggression, Risikoerfassung und Risikokommunikation bei psychisch kranken Rechtsbrechern sowie ethische und rechtliche Fragen in der Psychiatrie.
Er ist Autor oder Mitautor von 12 Fachbüchern und über 250 wissenschaftlichen Beiträgen in Fachzeitschriften und Fachbüchern und einem Sachbuch für interessierte Laien. Er ist Mitglied verschiedener Fachverbände und im Fachbeirat mehrerer Fachzeitschriften.


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