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Justiz in alter Zeit Zwischen Orthopädie und Folter

Der Nürnberger Scharfrichter Franz Schmidt hat fast 1.000 Menschen gefoltert, verstümmelt und hingerichtet. Weil er darüber akribisch Buch geführt hat, können wir heute nachvollziehen, wie die Rechtsvorstellungen, Justizmethoden und das Verständnis von Gerechtigkeit vor der Aufklärung aussahen. Welche Rechtsauffassung Henker Schmidt verkörperte, wie er zu einem überregional gefragten Wundheiler avancierte und wie all das unsere heutige Sozial- und Rechtsauffassung beeinflusst hat, erklärt Tobias Föhrenbach.

Von: Tobias Föhrenbach

Stand: 24.01.2020 | Archiv

"Andreas Brunner welcher Gott im Himmel gelästert sonst auch hefftig geflucht alhie aus ganden ¼ Stundt an Pranger gestelt, und auff der Fleischbruken ein Stuk von der zungen genommen"

. aus den Aufzeichnungen von Franz Schmidt, Eintrag vom 19. April 1591

"Wir wissen über Franz Schmidt so gut Bescheid, weil er ein Tagebuch verfasst hat", sagt die Nürnberger Historikerin Magdalena Prechsl. Das dürfe man sich aber nicht wie ein klassisches Tagebuch vorstellen, das Gedanken und Erlebnisse enthält. Es sei eher ein Dienstprotokoll über all die Hinrichtungen und Leibstrafen, die Schmidt hier in Nürnberg um das Jahr 1600 vollzogen hat, erklärt Prechsl: "Deswegen wissen wir sehr gut Bescheid, was in dieser Zeit kriminalgeschichtlich ablief." Dass Franz Schmidt überhaupt schreiben konnte, sei etwas besonderes für einen Henker aus dieser Zeit.

"Andreaß Mayr und Wolff Amoß, beede diebs jungen, son von Herspruckh herein geführt, alhie mit ruten außgestrichen, der Amoß hernach zu Herspruckh stranguliert worden"

aus den Aufzeichnungen von Franz Schmidt, Eintrag vom 5. Juni 1593

Magdalena Prechsl blickt aus dem Fenster auf die Pegnitz, die unter ihr hindurchfließt. Sie steht im Nürnberger Henkerhaus, einem ehemaligen Wehrgang der Stadtmauer, der hier an dieser Stelle den Fluss überbrückt. Als sich die Stadt Nürnberg im 15. Jahrhundert erweiterte, wurde hier eine Dienstwohnung eingerichtet, für den "Nachrichter" der Stadt, besser bekannt als Scharfrichter oder Henker.

Im Fluss, zwischen allen Stühlen

An der Wohnstatt des Nürnberger Henkers

Das Ensemble mit dem danebenliegenden Wasserturm ist heute ein pittoresker Ort der Fachwerkromantik, seit 2007 beherbergt es eine Ausstellung des Vereins "Geschichte für Alle" zur Nürnberger Rechtsgeschichte. Vor 400 Jahren war die Gegend im Westen der heutigen Altstadt aber kein erstrebenswertes Ziel.

"Der Henker stand am Rande der Gesellschaft, das war kein besonders angesehener Beruf", sagt Prechsl. "Ich denke auch heute klebt ihm eine Aura des Verruchten an. Man möchte mit einem Henker natürlich nichts zu tun haben. Und so war es in Nürnberg auch." Man könnte meinen, dass der Wohnort des Henkers mitten in der Pegnitz perfekt positioniert war, da schließlich auch der Henker selbst zu keiner der beiden Stadthälften St. Lorenz und St. Sebald gehört hat.

Ganz rechts ist der Henkerturm auf der Trödelmarktinsel zu sehen

Prechsl denkt dagegen, dass der Standort eher aus pragmatischen Gesichtspunkten gewählt wurde. Nach ihrer Ansicht standen die Nürnberger Henker gar nicht so am Rande der Gesellschaft, wie das in anderen Orten der Fall war, so belegen es zahlreiche Quellen. "Durchaus ist von vielen Henkern überliefert, dass sie relativ üble Gesellen waren, die sehr viel getrunken haben oder der Spielsucht verfallen waren", erklärt die Historikerin.

"Für Henkerverhältnisse sehr gut integriert"

"Doch es gab vor allem einen großen Fall, den wir in den Quellen sehr gut fassen können, nämlich Franz Schmidt (Anm.d.Red.: um 1555 in Hof geboren, 1634 in Nürnberg gestorben), der jahrzehntelang Nürnberger Henker war und dieses Haus bewohnt hat. Zeitlebens war er sehr stark bemüht, aus diesem Stigma des Henkers rauszukommen. Er hat versucht, seine Ehrlichkeit zu erwirken und ein Bürgerrecht in Nürnberg zu erwerben. Für Henkerverhältnisse war er sehr gut in die Stadtgesellschaft integriert."

Nürnberger Altstadt: Auf den Spuren des Henkers

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Nürnberger Altstadt: Auf den Spuren des Henkers

Ein Henker lässt sich in Nürnberg ab dem 14 Jahrhundert nachweisen. Besoldet wie ein städtischer Beamter ging er seinem als unehrlich angesehen Handwerk nach. Doch so sehr er auch von der Bürgerschaft verachtet wurde, so sehr war er ein wesentlicher Bestandteil der ausführenden Gewalt in der Stadt. Ihm oblag es, Hinrichtungen außerhalb der Stadtmauern durchzuführen sowie andere Ehren- und Leibstrafen zu vollziehen. Und er war derjenige, der den Gefangenen ein Geständnis entlocken sollte.

"5 Jungen mit dem Strang gerichtet, die viel gestohlen. Alle 5 an einen balcken gehangen. Ritten 6 Stadtknecht mit, denn es war ein groß gedös des Volks"

aus den Aufzeichnungen von Franz Schmidt, Eintrag vom 19. Oktober 1615

Hirte leitet das Mittelalterliche Kriminalmuseum in Rothenburg ob der Tauber und hat sich als Forschungsschwerpunkt mit der Strafrechtsgeschichte beschäftigt. Der Keller des Museums ist zu einer historischen Folterkammer umgebaut. In der Dunkelheit sind in Vitrinen Folterwerkzeuge ausgeleuchtet. Kein behaglicher Ort.

"Folter ist heute das Zufügen von Schmerzen gegenüber Menschen in Form einer Machtausübung um an Informationen zu gelangen, oder um Einzuschüchtern", erklärt Hirte. "Die Folter, mit der wir uns im Rechtskundemuseum beschäftigen, hatte einen anderen Ansatz: Folter war ein Beweisgewinnungsverfahren. Man hat Menschen Schmerzen zugefügt, um sie zu einem Geständnis zu bewegen, oder eben auch nicht."

Gottesurteile, glühende Eisen, Zweikämpfe

Aber hatte denn jeder früher das Recht zu foltern? "Wir dürfen uns das frühe Mittelalter, das hohe Mittelalter nie als eine reine Form der Anarchie vorstellen", so Hirte. "Wir haben eine Rechtsfindung – da steckt Recht und finden drin. Recht ist von Gott gegeben, wir Menschen müssen es finden, wir müssen es suchen. Wir müssen zum Recht vordringen und das geschah in unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichen Möglichkeiten, was die Menschen zur Verfügung hatten. Im frühen Mittelalter mit Gottesurteilen beispielsweise, glühendem Eisen, gerichtlichen Zweikämpfen."

Der Glaube und die Kirche waren treibende Kräfte, wenn es darum ging, Rechtsauffassungen voranzubringen. Im 13. Jahrhundert bildete sich hier das Inquisitionsverfahren von Amtswegen heraus, das nach und nach ins weltliche Recht transformiert wurde. Der Hauptunterschied zur bisherigen Rechtsauffassung mit Gottesurteilen bestand vor allem darin, dass für ein Gerichtsverfahren nun Beweise benötigt wurden. Die Richter und Justiziare standen plötzlich vor der Herausforderung, die Wahrheit herausfinden zu müssen. Und ohne Beweise kein Urteil.

Nur, wo sollten die Beweise herkommen, wenn Aussage gegen Aussage stand? Die Gelehrten und Richter blätterten alte römische Rechtstexte durch und fanden Hinweise auf die tortura – die Folter. Fortan diente sie bis ins späte 18 Jahrhundert als Mittel zur Beweiserbringung. Das peinliche (von Pein) Ermittlungsverfahren wurde im Gefängnis vom Henker durchgeführt, unter der Aufsicht sogenannter Lochschöffen, welche die Befragungen übernahmen.

Injeder Hinsicht schwer zu lesen

Wie hat man ein Verbrechen, das in der Regel heimlich geschah, überhaupt aufgeklärt? "Das war wahnsinnig schwierig", erklärt Hirte, "sie brauchten eigentlich Augenzeugen. Und verurteilt werden durfte nach dem alten Recht nur bei zwei Augenzeugen oder Geständnis. Bei einem Augenzeugen durften sie foltern, um dann zu einem Geständnis zu kommen."

Ab dem 13. Jahrhundert sind Prozessdokumente überliefert. Schwierig zu lesen, da handschriftlich, aber auch emotional schwierig zu lesen, sagt Museumsleiter Hirte. "Wenn eine Person gefoltert wird, lässt das emotional keinen Menschen kalt, auch den Historiker nicht, der sich durch diese Akten durcharbeiten muss." Die fünf Stufen der Folter sind sehr detailliert beschrieben:

1. Stufe: Androhen von Schmerzen
2. Stufe: Zeigen der Foltergeräte
3. Stufe: Daumenschraube
4. Stufe: Strecken auf der Streckbank
5. Stufe: Ziehen am trockenen Zug. Die Hände werden dabei auf den Rücken gebunden und die Person hochgezogen, bis die Arme ausgekugelt sind.

Die Folter war zwar als bevorzugtes Beweisgewinnungsverfahren gesellschaftlich anerkannt, allerdings nur in begrenztem Ausmaß. Inflationär Gebrauch davon gemacht wurde vor allem in der frühen Neuzeit des Heiligen Römischen Reichs ab dem 15. Jahrhundert. Allgemeine Unruhen waren die Folge, woraufhin sich die gesetzgebende Gewalt zum Beweis genötigt sah, dass man auf diese Art für Rechtssicherheit sorgen und der Willkür einen Riegel vorschieben konnte.

Wie im Horrorfilm

Schließlich entschied der Reichstag 1498, dass es ein Strafgesetzbuch geben soll. "Das erste Mal, dass das Reich wirklich zusammenkam und der Meinung war, das müsse jetzt geregelt werden", so Hirte. Wann darf gefoltert werden? Welche Strafen gibt es? Bisher kochte da jeder sein eigenes Süppchen. 1507 entsteht die Bambergische Peinliche Halsgerichtsordnung, auch Bambergensis genannt – ein Strafgesetzbuch für die Stadt, die mit um die 10.000 Einwohnern zu den größten im Fränkischen Reichskreis zählte. In Texten und zahlreichen Holzschnitten wurde beschrieben, welche Folterarten es gibt und wann sie angewendet werden darf.

Büste Karl V.

"Das war ein solch geniales Werk, dass es 1532 in vielen Punkten eins zu eins für das gesamte Heilige Römische Reich übernommen wurde", erklärt Hirte. Nämlich für die Constitutio Criminalis Carolina, Kaiser Karls V. peinlicher Halsgerichtsordnung, genannt Carolina. Unter anderem steht darin, dass auf Schadenszauberei die Todesstrafe steht und Folter bei Zauberprozessen zulässig ist. Darüber hinaus Vierteilen, Brandmarken, lebendig Begraben, Blenden … "Wenn man die Carolina liest, schüttelt man häufig den Kopf, denn es klingt wirklich wie die Rückseite einer DVD eines Horrorfilms. Aber wenn man bedenkt, dass es vorher noch schlimmer und willkürlicher war, dann kann man schon von einer Verbesserung sprechen", resümiert der Jurist Hirte.

Die Schwere der Bestrafung wurde oft an der Schwere der Tat gemessen, die in der Carolina festgehalten wurde. Neben Schauerlichem finden sich da zum ersten Mal deutlich formulierte Verbesserungen des Gerichtsverfahrens, zum Beispiel was die Unterbringung der Gefangenen anbelangte.

"Daß die gefengknus zu behaltung und nit zu schwerer geverlicher peinigung der gefangen sollen gemacht und zugericht sein"

aus der Constitutio Criminalis Carolina von 1532

Walter Bauernfeind ist der Leiter der Abteilung "Amtliches Archivgut" im Stadtarchiv Nürnberg und kennt sich mit den historischen Legislaturen der damals freien Reichsstadt aus. Bei der Entwicklung einer Stadtverfassung ging es immer auch um die Aufrechterhaltung des inneren Friedens. "Der große Rathaussaal war einerseits der Repräsentationsraum der Reichsstadt Nürnberg, andererseits tagte hier das Stadtgericht beziehungsweise Untergerichte", erklärt Bauernfeind. Und zwar gleichzeitig: An jeder Frontseite des langen Saals war eine Gerichtsbank.

Vervielfältigung bringt Transparenz bringt Rechtssicherheit

20 bis 40 einflussreiche Familien bestimmten damals die Geschicke der Stadt und erarbeiteten eine eigene Stadtverfassung. Die Patrizier organisierten sich dabei in einem kleinen und einem großen Rat; stellvertretend repräsentierten die "Genannten" des Rats die Bürger der Stadt und trafen die wichtigsten Entscheidungen. Das Gerichtswesen bestand aus Richtern und einem Schöffengremium, ähnlich dem heute bekannten Geschworenengericht. Die Sitzungen waren zuerst öffentlich, dann später "heimlich", um einer Vorverurteilung entgegenzuwirken.

Gerade bei der Festsetzung der Gerichtsbarkeit nahm Nürnberg eine Vorreiterrolle ein. "In den ersten Stadtbüchern sind Codifikationen von Rechtssätzen aufgeschrieben, aber noch nicht systematisch", erklärt Bauernfeind. Die Systematisierung wird mit der Nürnberger Rechtsreformation von 1479 umgesetzt, der ersten ihrer Art im ganzen Reich.

Ebenfalls eine Premiere: Der Codex wurde mit der kurz zuvor entwickelten Drucktechnik vervielfältigt, um ihn allen zur Verfügung zu stellen. Ein Zeichen von Transparenz und Rechtssicherheit, so Bauernfeind. Besonders wichtig für eine bedeutende Reichstadt waren damals das Handelsrecht, das Gewerbe- und das Baurecht und eben auch das ausgefeilte Strafrecht.

"Appolonia Vöglin von Lehrberg, ein kindtsmördterin, die ein kind heimlich in ihres bauernhauß geborn, das selbige umbracht, zu Liechtenau mit dem waßer gericht"

aus den Aufzeichnungen von Franz Schmidt, Eintrag vom 6. März 1578

Der Henker hatte auf all dies freilich keinen Einfluss. Er war ein komplett ausführender Charakter, wie ihn Historikerin Magdalena Prechsl beschreibt. Heute zieren große, bunte Abbildungen die Wände im Nürnberger Henkerhaus: Zeichnungen aus der "Neubauerschen Chronik", die spärlich betextet von Sensationen aller Art berichtete, von Unglücken, Kriminalfällen und natürlich Hinrichtungen. Quasi die Boulevard-Blätter der damaligen Zeit.

Der Tod – eine Frage des Standes

Doch nicht jeder starb auf dieselbe Weise. Auch da gab es Abstufungen, weiß Prechsl zu berichten. "Wenn man einen relativ hohen Stand in der Stadt hatte und kein unglaublich furchtbares Verbrechen begangen hatte, wurde man in der Regel mit dem Schwert gerichtet." Das galt als ehrenhafte Form der Hinrichtung. Der Leichnam konnte danach auf einem Friedhof in geweihter Erde bestattet werden. Doch wer als Außenseiter eine schlimme Tat begangen hatte, dem blühte der Galgen, so Prechsl. "Da gehörte zur Strafe häufig mit dazu, dass der Körper einfach hängen gelassen wurde am Galgen und sich dann beispielsweise die Raben daran bedient haben." Kein Wunder, dass die Nürnberger Richtstätte Rabenstein genannt wurde.

Doch weit schmerzhafter war das Rädern. "Mit dem Rad wurden einem alle Glieder gebrochen", sagt der Rothenburger Museumsleiter Markus Hirte. "Dann wurden sie in das Rad geflochten und wie bei einer Kreuzigung aufgerichtet." Wer nicht an inneren Blutungen oder an den Schmerzen starb, der erlitt einen Hitzschlag. Oder ist elendig verdurstet und verhungert.  

Zu brutal für den Henker

Auch wenn nur wenige Todesstrafen pro Jahr vollzogen wurden: Warum wurde damals so brutal bestraft? Dieser Frage ist Hirte intensiv nachgegangen. Die Aufklärungsrate der Verbrechen war damals sehr schlecht, lag vielleicht bei einem von zehn Fällen. Die Menschen waren zudem an ein raues und hartes Leben gewöhnt. Armut, Ängste, Kriege trieben viele in die Kriminalität. Durch Abschreckung versuchte man dem entgegenzuwirken.

Mitunter waren die Bestrafungen so brutal, dass sogar der Scharfrichter in den Streik trat. Henker Franz Schmidt verlangte nach "humanen Hinrichtungen" bei der Bestrafung von Frauen. Die hat man in der Regel in einem Sack eingenäht durch Ertränken hingerichtet, "eine sehr grausame Bestrafung", sagt Historikerin Prechsl, insbesondere in der nicht besonders tiefen Pegnitz: "Der Henker musste die Frau mit Stangen unter Wasser drücken; teilweise ein sehr langer und brutaler Todeskampf."

Wie man seinen Aufzeichnungen entnehmen kann, hat Franz Schmidt das mehrmals gemacht. Doch "mochte er das nicht und lehnte es ab. Er hat sich deshalb mit den Geistlichen an St. Sebald zusammengetan. Gemeinsam konnten sie beim Rat der Stadt erwirken, dass Frauen künftig genauso wie Männer hingerichtet werden, mit dem Schwert oder dem Strang", erzählt Prechsl. Die grausamen Ertränkungen wurden abgeschafft.

"Margaretha Böckhin, ein Burgerin zu Nürnberg, die auch einer Burgerin mit einem heckhlein hinderwertz an kopff geschlagen. Uff einem wagen außgeführt, 3 griff mit einem zangen im leib geben, darnach stehend mit dem schwert gericht, den kopff an einer stangen über sich gesteckht, den körpper unter den galgen begraben."

aus den Aufzeichnungen von Franz Schmidt, Eintrag vom 16. August 1580

Neben der Versorung der Gefangenen mit Nahrung und Medizin wurde großer Wert auf eine seelsorgerische Betreuung gelegt. Das Seelenheil vor allem für zum Tode Verurteilte war der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit ein wichtiges Anliegen. Der Glaube an das Jenseits spielte dabei eine zentrale Rolle. Man war der Ansicht, dass der Weg ins Paradies über den Schmerz führte.

Theater des Schreckens

Einen Verurteilten "bußfertig" zu machen, hieß, ihm auf Erden die Aussicht mitzugeben, dass ihm am Tag des Jüngsten Gerichts doch noch der Weg ins Himmelreich geöffnet wurde, trotz seines Verbrechens. War das gelungen, konnte schließlich der sogenannte Tag des endlichen Gerichts kommen. Und dieser Tag verlief im Wortsinne wie ein Theater des Schreckens.

Jurist und Museumschef Hirte erklärt: "Wir lebten damals nicht in einem rechtsfreien Raum. Wie auch heute. Wir haben heute einen Rechtsstaat. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung mit dieser Form des Rechtsstaats nicht mehr einverstanden ist, über längere Zeit, haben wir ein Problem.
Und so war das für die Obrigkeit früher auch. Die Bevölkerung musste informiert werden. Die Bevölkerung sollte erzogen werden. Sie sollte auch zur Rechtstreue angehalten werden. Das heißt, man musste es den Leuten verständlich machen.
Also hat man das Verfahren am endlichen Rechtstag nachgespielt. Man hat das ganze Verfahren wie ein grauenvolles Theaterstück aufgeführt: Es waren echte Menschen dabei und am Ende stand eine Hinrichtung. Deshalb nennt man diesen endlichen Rechtstag auch Theater des Schreckens."

"Christoph Mayr, barchetweber undt Hannß Weber, öbßner, beede burger so drey jahrlang sodomitische unzucht mit einander getriben. Den weber erstlich mit dem scherdt gericht, den körber neben de öbßner, so lebendig verbrenndt worden"

aus den Aufzeichnungen von Franz Schmidt, Eintrag vom 27. Juli 1594

Am 16. Juli 1618, nach 40 Jahren Scharfrichtertum, geht Henker Franz Schmidt in den Ruhestand. Von Kaiser Ferdinand II. erhält er zu aller Überraschung seine "Ehrlichkeit" zurück, nachdem er in einem Antrag seine Nebendienste als Wundheiler hervorhob und sich darauf berief, 15.000 Menschen medizinisch betreut zu haben.

Praktische Erfahrungen

Historikerin Prechsl: "Das hört sich für uns heute ein bisschen absurd an, aber tatsächlich war der Henker anatomisch sehr gut geschult. Weil er auch dann die Wunden versorgt hat, wenn er eine Hand oder Finger abgeschlagen hat. Mediziner wollten solche Leute nicht anfassen, wer vom Henker berührt wurde, war mit einem Stigma behaftet. Und deshalb konnte Franz Schmidt daraus ganz gut Kapital schlagen." Nachdem er seinen Dienst für die Stadt beendet hatte, kaufte hat ein Haus und betrieb dort eine erfolgreiche Wundarztpraxis.

"Franz Schmidt war da wohl sehr geschickt und ein sehr zugänglicher Typ, die Leute sind gern zu ihm gekommen. Wer damals Medizin studierte, beschäftigte sich vor allem mit innerer Medizin. Bei Verrenkungen konnten sie nicht so gut weiterhelfen. Franz Schmidt kannte sich dagegen aus mit dem Einrenken von Armen, weil er so etwas natürlich bei Folterungen auch immer wieder getan hat."

"Michel Gemperlein von Micheldorff, ein metzgher und lantzknecht, mörder, rauber und dieb. Deßwegen uff einem Wagen außgeführt, vier griff mit einer gliendten zangen an dem leib geben, volgents mit dem rath gericht, viel gesellen gehabt."

aus den Aufzeichnungen von Franz Schmidt, Eintrag vom 5. März 1612


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