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Angriff auf das Hörvermögen Wie und wo das Ohr Schaden nimmt und was hilft

Sind Sie "ganz Ohr"? Ihr Hörorgan jedenfalls ist ständig bereit zu hören. Abschalten? Unmöglich, denn unser Ohr ist ein Organ im Dauereinsatz. Doch das Gehör kann Einbußen zeigen – akut oder schleichend, vorübergehend oder dauerhaft. Hilfen gibt es auf operativem, medikamentösem, mechanischem oder technischem Wege. Je nachdem, wo die ausgeklügelte Anatomie aus äußerem Ohr, Mittelohr und Innenohr Schaden genommen hat.

Von: Sabine März-Lerch

Stand: 22.04.2024

Ohrmuschel eines Mannes | Bild: BR / Klaus Schneider

Experte:

Prof. Dr. med. Markus Suckfüll, Chefarzt der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Krankenhaus Martha-Maria in München

Hilfen gibt es auf operativem, medikamentösem, mechanischem oder technischem Wege. Je nachdem, wo die ausgeklügelte Anatomie aus äußerem Ohr, Mittelohr und Innenohr Schaden genommen hat.

Zahlen zum Gehör

Hören gilt als der differenzierteste unserer fünf Sinne. In physikalischen Einheiten wird seine Leistung gemessen.

Das menschliche Ohr...

  • hört Frequenzen zwischen 20 und 20.000 Hertz. Die Einheit Frequenz gibt die Schwingungen einer Schallwelle pro Sekunde an, ausgedrückt wird das in Hertz. Als angenehm erscheint der Bereich zwischen 500 und 4.000 Hertz.
  • kann Lautstärken bis zu 0 dB (Dezibel) wahrnehmen und empfindet einen Bereich ab 120 dB als schmerzhaft.
  • muss mit einem Lärmschutz geschützt werden ab einer Belastung von 85 dB, Pegel von 135 dB sind äußerst bedenklich.
  • kann ohne nachhaltige Schädigung 8 Stunden 85 dB aushalten (die Lautstärke einer Unterhaltung liegt bei 50 dB) oder sechs Stunden 90-110 dB.

Der Text basiert auf Interviews mit Prof. Dr. med. Markus Suckfüll, Chefarzt der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Krankenhaus Martha-Maria in München.

Geräusche, Töne, Klänge, Stimmen erreichen als Schallwellen unser Ohr. Ist das äußere Ohr verstopft oder entzündet, hören wir sie nicht präzise.

Über die Ohrmuschel und den Gehörgang (äußeres Ohr) erreichen die Schallwellen das Trommelfell. Ohrschmalz verhindert, dass Staub, Fremdkörper oder Bakterien denselben Weg nehmen. Doch manchen Menschen macht das nützliche Sekret Ärger.

Wem zu viel Ohrschmalz den Gehörgang verlegt

"Zu viel Ohrschmalz - wir sagen auch Cerumen - verlegt den Gehörgang, dann hört man schlechter. Um wieder gut hören zu können, muss man den Gehörgang von dem Ohrschmalz befreien."

Prof. Markus Suckfüll

Keine Wattestäbchen!

Die Reinigung und Spülung des Gehörgangs und damit Entfernung des Ohrschmalzes sollte aber von Fachleuten gemacht werden. Vor der Nutzung von Wattestäbchen wird generell gewarnt. Und bei Menschen, die zu viel von der bräunlich-gelben Substanz Ohrschmalz produzieren, ganz besonders - wobei es sich dabei nicht um eine Erkrankung handelt, sondern nur um eine Abweichung von der Norm.

"Mit Wattestäbchen schiebt man das Ohrschmalz nur umso fester hinein und macht die Sache schlimmer. D. h. diese Menschen – und das sind gar nicht so wenige - müssen all sechs bis zwölf Wochen zum Ohrenarzt gehen und die Ohren reinigen lassen, da können sie selber gar nichts machen."

Prof. Markus Suckfüll

Ein regelrechter Pfropf aus Ohrschmalz lässt diese Menschen schlechter hören. Nach der Reinigung funktioniert das Gehör wieder ungestört.

Nach dem Schwimmen – die Badeotitis

Wenn sich die Haut im Gehörgang entzündet, schwillt sie so stark an, dass die Schwellung ebenfalls den äußeren Gehörgang verlegt - auch dann hört man schlechter.

"Diese Entzündung findet am häufigsten im Sommer statt, wenn die Leute lange baden und schwimmen. Dann quillt die Haut vom Wasser auf. Und diese Haut ist wiederum anfällig für die Invasion von Bakterien und für eine bakterielle Infektion der Gehörgangs-Haut, das nennt man dann Gehörgangs-Entzündung oder Badeotitis. Am Abend fängt das Ohr an, weh zu tun und der Mensch hört nichts mehr."

Prof. Markus Suckfüll

Mit lokalen Antibiotika oder abschwellenden alkoholgetränkten Streifen behandeln HNO-Ärzte die Beschwerden und bringen sie zum Abklingen. Auch nach der Behandlung der Badeotitis wird das Hören sozusagen wieder befreit.

Das äußere Ohr fängt den Schall auf und das Mittelohr leitet ihn weiter. Erkrankungen und Verletzungen des Mittelohrs sind schmerzhaft, aber im Großen und Ganzen gut wiederherzustellen.

Erreichen die Schallwellen durch das äußere Ohr frei und ungehindert die bewegliche Membran des Trommelfells, bringen sie dieses zum Schwingen und Vibrieren. Diese Schwingungen werden ins Mittelohr übertragen. Das Mittelohr ist ein luftgefüllter Raum zwischen Trommelfell und Innenohr. Drei winzige Knöchelchen mit der Bezeichnung Hammer, Amboss und Steigbügel haben im Mittelohr ihren Platz. Sie übernehmen die Vibrationen vom Trommelfell, verstärken die Schallwellen und leiten sie an den Eingang zum Innenohr (dem sogenannten ovalen Fenster) weiter.

Kommt es zu Störungen und Erkrankungen in diesem Bereich des Ohrs, dann sind dies meist: akute Mittelohrentzündungen, chronische Mittelohrentzündungen und das sogenannte Cholesteatom (eine Wucherung, die vom Trommelfell ausgeht).

Die akute Mittelohrentzündung

Die Mittelohrentzündung passiert, wenn das Ohr nicht gut belüftet ist, also z.B. bei einem Schnupfen. Dann geht die Tube (der Gang zwischen Nase und Ohr) zu, die Belüftung funktioniert nicht mehr und es sammelt sich Flüssigkeit hinter dem Trommelfell. Zusätzlich kommen noch Bakterien hinein und so entwickelt sich im Mittelohr Eiter.

"Der Eiter nimmt zu, er drückt, das tut furchtbar weh, man hört schlecht, hat Schmerzen, irgendwann platzt das Trommelfell auf, der Eiter fließt ab und die Krankheit kommt wieder zur Ruhe. Das Trommelfell wächst ganz von alleine und schnell wieder zu."

Prof. Markus Suckfüll

Eine akute Mittelohrentzündung ist beim Erwachsenen recht selten – wenn, dann tritt sie im Verlauf einer Erkältung oder eines Schnupfens auf. Viel häufiger ist sie bei Kindern. Die kindliche Anatomie funktioniert im Bereich des Ohrs noch nicht so gut, große Rachenmandeln bedrängen diesen Belüftungsgang zwischen Nase und Ohr, alles ist noch enger.

"Das ist ein kompliziertes System, kleine Muskeln strahlen in den Belüftungsgang hinein, und die hängen zum Beispiel mit dem Kauen und mit der Nase zusammen."

Prof. Markus Suckfüll

Statistisch gesehen hat jedes Kind einmal im Jahr eine Mittelohrentzündung.

Die chronische Mittelohrentzündung

Wenn eine Mittelohrentzündung immer wieder kommt, entwickelt sich – dies ist eher bei Erwachsenen der Fall - eine chronische Mittelohrentzündung: Durch die mehrfachen Entzündungen verschließt sich das Trommelfell nicht mehr wie üblich, ein Loch bleibt.

"Der Mittelohrraum ist eigentlich steril. Aber wenn ein Loch im Trommelfell ist, können permanent Bakterien eindringen. Dann eitert das Ohr immer wieder, allerdings ohne wehzutun, da der Eiter durch das Loch abfließen kann."

Prof. Markus Suckfüll

Chronische Mittelohrentzündungen sind in Deutschland relativ selten, in anderen Ländern aber sehr häufig – warum?

"Wir wissen, dass die chronische Mittelohrentzündung bei Arabern wahnsinnig verbreitet ist, auch die Inuit haben damit große Probleme. Eine Überlegung ist, dass die Lebensumstände eine wichtige Rolle spielen. Je günstiger die Lebensbedingungen, desto seltener treten Mittelohrentzündungen auf. Möglicherweise liegt es daran, dass wir schon die Kinder rechtzeitig behandeln."

Prof. Markus Suckfüll

Behandlung einer chronischen Mittelohrentzündung

"Das können wir gut in Ordnung bringen. Solchen Patienten reparieren wir das Trommelfell, das 'flicken' wir zu sozusagen."

Prof. Markus Suckfüll

Allerdings schädigt dieser ständige Entzündungsherd die Gehörknöchelchen und letztlich auch das Innenohr - ein über Jahre gehender Prozess. Deshalb werden kaputte Gehörknöchelchen unter gewissen Umständen auch ausgetauscht.

"So bekommen wir die Mittelohrentzündung zur Ruhe und können auch wieder ein gutes Gehör herstellen"

. Prof. Markus Suckfüll

Dieses "Flicken" des Trommelfells bedeutet den Einsatz von Trommelfell-Implantaten. Beim "Austausch" von Knöchelchen werden operativ Hammer, Amboss oder Steigbügel durch winzige Prothesen aus Titan ersetzt. Nicht immer gelingt das.

"Für den Verschluss des Trommelfells z.B. weiß man, dass es bei zehn Prozent nicht gelingt. Mit der ersten Sitzung ist das Loch manchmal noch nicht zu, da es nicht gut heilt. Bei den Gehörknöchelchen gibt es folgendes Problem: Sollten sie einen Bruchteil von einem Millimeter falsch stehen, hört man nicht gut. Dann muss man noch einmal nachoperieren. Gerade der Hörerfolg ist nicht in allen Fällen durch den Ersatz von solch einem Gehörknöchelchen gewährleistet."

Prof. Markus Suckfüll

Mittelohrentzündungen gelten an sich als harmlos, jedenfalls nicht als lebensbedrohlich – mit einer Ausnahme:

Gefährliche Wucherung - Das Cholesteatom

"Es gibt eine Sonderform: Wenn das Loch nicht in der Mitte des Trommelfells entsteht, sondern am Rand, kann das zu einer Knocheneiterung führen und das ist eine ernsthaftere Erkrankung."

Prof. Markus Suckfüll

Diese Erkrankung schreitet zwar sehr langsam vorwärts, ist aber mit einem Tumor zu vergleichen. Das Cholesteatom zerstört lokal alles und frisst sich danach immer weiter vorwärts. Dabei werden wichtige Strukturen im Ohr zerstört: zuerst das Trommelfell und die Gehörknöchelchen, dann das Gleichgewichtsorgan, schließlich der Gesichtsnerv und das Innenohr. Wenn der Tumor im Anschluss in das Gehirn eindringt, kann das Cholesteatom über die Jahre gesehen sogar lebensbedrohlich werden.

Behandlung des Cholesteatoms

Wird ein Cholesteatom früh bemerkt, ist es noch klein und kann mit hohen Erfolgschancen operiert werden.

"Wenn das Cholesteatom groß ist, besteht die Gefahr, dass irgendwo ein Restchen bleibt und es dann wieder mit dem Wachstum losgeht, relativ hoch. In solchen Fällen muss man oft ein zweites oder drittes Mal operieren."

Prof. Markus Suckfüll

Wenn der Steigbügel "klemmt" - die Otosklerose

In seltenen Fällen (0,4 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung sind betroffen) kann der Steigbügel - das letzte Gehörknöchelchen in der Kette der drei winzigen Knochen im Mittelohr - festwachsen. Der Grund: die Verkalkung des Knöchelchens, die sogenannte Otosklerose. Die Ursache ist noch unbekannt, man vermutet einen familiären Hintergrund und auch hormonelle Auslöser, da Frauen häufiger betroffen sind. Gerade Schwangerschaften verursachen manchmal Schübe, die den Prozess verschlechtern. Der Steigbügel wird unbeweglich und kann den Schall nicht mehr an den Übergangsbereich zum Innenohr weiterleiten – die Patienten hören langsam aber sicher schlechter.

Unser Gehirn interpretiert alles, was wir hören. Z.B. das Auto, das sich gefährlich schnell nähert. Vorher muss das Innenohr die Impulse quasi "übersetzen": Akustische werden in elektrische Signale gewandelt. Schäden am Innenohr beeinträchtigen das Gehör dauerhaft.

Über Hammer, Amboss und Steigbügel wird der Schall vom Mittelohr ins Innenohr weitergeleitet. Dort befindet sich die sog. Schnecke, die Cochlea – ein mit einer wässrigen Flüssigkeit gefülltes Membransystem, das eben aussieht wie eine Schnecke. Feine Haarzellen sind hier beherbergt. Wird die Flüssigkeit durch den Schall bewegt, bewegen sich auch diese Haarzellen. Ihre Aufgabe: Sie verwandeln die Schwingungen in elektrische Impulse. Und diese wiederum erreichen über den Hörnerv das Gehirn. So spielt sich das jedenfalls beim normalen, gesunden Hören präzise ab.

"Wir sprechen von einer 'Wanderwelle', mit der der Schall in die Schnecke im Innenohr trifft. Die 'Wanderwelle' ist abhängig von der Frequenz: Wenn eine hohe Frequenz kommt, bildet die Welle ihr Maximum gleich am Anfang der Schnecke aus. Wenn eine tiefe Frequenz kommt, wandert die Welle darüber und bildet ihr Maximum ganz hinten an der Schneckenspitze aus. Die Eigenschaften der Membran der Schnecke führen dazu, dass die Welle sich an unterschiedlichen Stellen auslenkt: Tiefe Frequenzen führen also dazu, dass sich die Welle weiter hinten auslenkt, wo die Membran flexibler und dünner ist. Bei den hohen Frequenzen passiert das weiter vorne, da ist die Membran noch steifer und fester."

Prof. Markus Suckfüll

Auch die Haarzellen - die Sinneszellen des Hörens - unterliegen dem ganz normalen physischen Prozess der Alterung. Arbeiten sie nur noch reduziert, leiten sie also nur reduziert Signale weiter an den Hörnerv und damit an das Gehirn, dann ist das fein abgestimmte System des Hörens beeinträchtigt Je älter Menschen werden, desto schlechter hören sie. Allerdings äußert sich das individuell ganz unterschiedlich:

"Es gibt Leute, die schon sehr früh eine Alterung des Gehörs haben und solche, die im Alter von 80 Jahren noch ein fast jugendliches Gehör haben. Im Durchschnitt ist es so, dass bei den 70-Jährigen etwa jeder Dritte so schlecht hört und eigentlich ein Hörgerät bräuchte. Bei den 80-Jährigen sagt man, jeder zweite braucht ein Hörgerät. Das ist auch eine Frage der familiären Veranlagung."

Prof. Markus Suckfüll

Die hohen Frequenzen verschwinden zuerst

Oft beginnt die Altersschwerhörigkeit damit, dass man in der Unterhaltung in einem lauten Umfeld seine Gesprächspartner nicht mehr versteht – ein Hör-Eindruck, als ob diese nuscheln würden. Hauptsächlich die hohen Frequenzen sind von diesem altersbedingten Hörverlust betroffen. Der Bereich im Innenohr, der für die hohen Frequenzen zuständig ist, liegt direkt am Eingang zur Schnecke. In den hohen Frequenzen hört der Mensch normalerweise die leisen Konsonanten (f,s,p,t) – die Altersschwerhörigkeit beginnt also beim Sprachverständnis und entwickelt sich prozesshaft.

"Wenn man sich das an einem Bild merken möchte: Nehmen Sie einen Teppich am Eingang zu einer Halle (im übertragenen Bild: die Sinneshärchen in der Schnecke im Innenohr), hier müssen alle Menschen (im Bild die Schallwellen) rein, da tritt sich der Teppich schnell kaputt. Aber je weiter man in die Halle kommt, desto mehr verteilen sich die Leute. Ähnlich ist es bei den hohen Frequenzen: Die kommen ganz unten in der Schnecke an, über die muss jede Wanderwelle gehen, während sie zu den tiefen Frequenzen nicht immer kommt. Deshalb kommt es in den hohen Frequenzen viel häufiger zu Schädigungen als in den tiefen Frequenzen."

Prof. Markus Suckfüll

20.000 Menschen erleiden jährlich in Deutschland einen Hörsturz. Während durch Alterungsprozesse die Beeinträchtigung des Hörens prozesshaft und mehr oder weniger schnell voranschreitet, tritt beim Hörsturz ein plötzlicher Schaden am Innenohr auf. Das System des Hörens bricht sozusagen akut zusammen.

"Plötzlich hört man auf einem Ohr schlechter. Die Erholungsrate ist aber recht hoch - man sagt, 70 Prozent der Hörstürze und mehr erholen sich wieder. Davon erholen sich allerdings nur 30 oder max. 40 Prozent vollständig, je nach Hörverlust beim Hörsturz."

Prof. Markus Suckfüll

Hörsturz und Stress - ein altes Paar?

Hört man, dass jemand einen Hörsturz erlitten hat, ist oft die erste Vermutung: Hier war zu viel Stress im Spiel und hat "aufs Ohr geschlagen". Aber:

"Gerade das aber scheint es nicht zu sein. Die Ursache für einen Hörsturz ist unbekannt. Es werden verschiedene Gründe diskutiert: z. B. Durchblutungsstörungen oder entzündliche Veränderungen."

Prof. Markus Suckfüll

Behandlung bei Hörsturz

Das Zeitfenster, in dem sich ein Hörsturz erholt, beträgt sechs Wochen. Nach sechs Wochen bessert sich der Zustand in der Regel nicht mehr.

Umstritten, aber das Mittel der Wahl: Cortison

"Das ist sehr umstritten – das einzige Mittel, das uns zur Verfügung steht, ist Cortison. Aber wir wissen nicht genau, ob es wirklich hilft. Es gibt Studien, die dafürsprechen, und Studien, die dagegensprechen. Man hofft jedoch, dass Cortison in der Akutphase hilfreich ist. Vieles spricht jedenfalls dafür."

Prof. Markus Suckfüll

Da das Innenohr nur drei Millimeter groß ist, versucht man, mit einer neuen Methode die Cortisondosis so gering wie möglich zu halten.

"Man macht ein kleines Löchlein in das Trommelfell und gibt einen Tropfen Cortison hinter das Trommelfell. Von dort aus wandert es in das Innenohr hinein. So können wir das Cortison dort hinbringen, wo es gebraucht wird, und die Nebenwirkungen klein halten."

Prof. Markus Suckfüll

Ein Tinnitus tritt ganz oft dann auf, wenn eine Schädigung am Innenohr vorliegt. Häufig aber kann kein Auslöser genannt werden. Auch ist die Ursache für die Entstehung des lästigen Pfeifens und Sirrens immer noch nicht geklärt.

Der Tinnitus ist nicht per se eine Krankheit, er verursacht keine Schädigung am Innenohr. Aber er kann sehr belastend für den einzelnen sein, als Krankheit empfunden werden und zu Folgeerkrankungen wie Depressionen führen.

"Tatsächlich würden fast alle Leute in einem schalltoten Raum in irgendeiner Form einen Ton hören, das stört die meisten nicht. Die meisten Leute aber schaffen es, den Ton zu verdrängen. Der Tinnitus-Patient ist oft ein Patient, der sich nicht mit der Tatsache abfinden kann, dass da ein Geräusch ist und sich da darauf kapriziert, sich fixiert auf diesen Ton. Er empfindet ihn als unangenehm und will, dass der weggeht - und je mehr er darüber nachdenkt und je mehr er macht und je mehr er sich fixiert, desto schlimmer wird das. Dann wird es eine Krankheit. Der ‚schlampige‘ Patient sagt, das wird schon wieder weggehen, der schenkt dem keine Beachtung und hat das Pfeifen nach einer Weile verdrängt."

Prof. Markus Suckfüll

Tinnitus ist also keine Schädigung des Innenohrs, sondern eine Störung der Hörfunktion. Die Belästigung entsteht im Kopf, nicht im Ohr. Trotzdem kann das Ohrgeräusch sehr quälend sein, da viele Menschen gerade im Schlaf sehr gestört sind.

"Manchen setze sich deshalb ein Geräusch ins Schlafzimmer, einen Brunnen, ein Aquarium, manche schlafen mit Radio – sie machen sich ein akustisch angenehmes Ambiente."

Prof. Markus Suckfüll

Ein Tinnitus kann durchaus auch zu schweren psychischen Begleiterscheinungen wie Depressionen oder Angstzuständen führen.

Geräusch gegen Geräusch – der "Noiser"

Hörgeräte-Hersteller bieten auch für Menschen, die an sich keine Hörhilfe tragen müssen, spezielle Hörgeräte an, mit denen der Tinnitus-Ton überdeckt werden soll.

"Damit bietet man nicht nur das an, was man normalerweise hört, sondern ein breiteres Geräusch, das sich frequenzmäßig über und unter dem Ohrgeräusch befindet. Es wird also mit einem angenehmeren Rauschen überdeckt, was vorher ein hochfrequentes Pfeifen war. Diese Geräte nennt man 'Noiser'."

Prof. Markus Suckfüll

Es gibt Tinnitus-Patienten unter den schwerhörigen Menschen - aber auch Menschen mit einem sehr guten Gehör können an der Pfeifempfindung leiden.

Schäden am Innenohr durch Lärm sind nicht revidierbar. Besonders schlimm: das Knalltrauma. Aus allen noch so kleinen Schäden bildet das Ohr übers Leben eine Summe.

Nachdem Lärmschutzverordnungen und für Menschen in besonders exponierten Arbeitssituationen Hörschutz und regelmäßige Kontrolluntersuchungen eingeführt wurden, ist die Zahl der Menschen mit Lärmschwerhörigkeit gesunken.

"Früher waren von der Lärmschwerhörigkeit übrigens auch mehr die Männer betroffen, da sie eher diejenigen waren, die auf dem Bau und in der Fabrik in lauten Bereichen arbeiteten."

Prof. Markus Suckfüll

Freizeitlärm und Jugendliche

Der Lärm in der Freizeit von jungen Leuten wird oft nicht kontrolliert. Auf Konzerten und in Discotheken sind zwar Grenzwerte einzuhalten, doch wird z.B. niemand den Gebrauch von Kopfhörern kontrollieren.

"Eigentlich bräuchte es mp3-Player, die die Lautstärke drosseln und nach einer bestimmten Stundenzahl automatisch abschalten. Denn die Zeit der Exposition mit zu lauter Musik auf dem Kopfhörer ist auch ein Problem. Je länger Sie sich exponieren, desto höher ist die Chance, eine Schwerhörigkeit zu entwickeln. Junge Leute sind nicht sofort schwerhörig, aber wir sehen im Hörtest erste für den Lärm typische Veränderungen. Und vor allem: Aufs Leben und aufs Alter gesehen, summieren sich die Schäden."

Prof. Markus Suckfüll

Tipp:

Dem Ohr regelmäßig Pausen gönnen. Das Ohr mit seinen feinen Haarzellen kann sich so erholen. Sind die Sinneszellen erst einmal abgeknickt und damit kaputt, werden sie sich nicht mehr aufrichten.

Definition von Schwerhörigkeitsgraden

Um festzustellen, welche Art von Schwerhörigkeit vorliegt, wird ein sogenanntes Audiogramm erstellt.

"Bei der Altersschwerhörigkeit nimmt der Hörverlust mit zunehmender Frequenz zu. Je höher die Frequenz, desto größer der Hörverlust. Bei der Lärmschwerhörigkeit gibt es ein Maximum, das zwischen 2 und 6 Kilohertz liegt, einem Bereich, in dem Betroffene am schlechtesten hören. In noch höheren Frequenzen hören sie wieder besser. Beim Hörsturz können es auch die tieferen oder mittleren Frequenzbereiche sein."

Prof. Markus Suckfüll

Knalltrauma

Schlimmer als Dauerlärm sind für das Ohr akute Ereignisse, sogenannte Knalltraumata.

"Das ist zum Beispiel gefährlich, wenn man zum Schießen geht. Da reicht schon ein einziger Schuss, wenn man seinen Hörschutz nicht trägt. Oder plötzliche Verzerr-Geräusche aus dem Lautsprecher. Man ist durch ein lautes Einzelereignis stärker gefährdet als durch Dauerlärm."

Prof. Markus Suckfüll

Werden durch die Druckwelle des Knalls ganz mechanisch die Haar- bzw. Sinneszellen im Innenohr beschädigt, kommt es zu einer dauerhaften Höreinschränkung.

Schädigungen am Innenohr - Schwerhörigkeiten egal, ob aufgrund von Lärm oder eines Hörsturzes, und Alterungsprozesse im Innenohr sind irreparabel. Ausgleich bringen nur Hörgeräte.

Mit der Digitalisierung haben sich auch die Hörgeräte enorm verbessert. Die Verstärkung funktioniert inzwischen viel besser und individueller.

Bei Resthörvermögen – Hilfe durch Hörgeräte

Wenn das Innenohr nicht mehr funktioniert, hört der Mensch nicht nur die leisen Geräusche und Stimmen nicht mehr, auch bei lauten Eindrücken fehlt der richtige akustische Eindruck. Hörgeräte müssen also nicht nur alles lauter machen, sondern unterschiedliche Signale betonen, hervorheben oder überlagern.

"Das ist ein bisschen, als ob wir durch ein Fenster schauen, das immer kleiner wird, bis wir irgendwann nur noch durch einen sehr schmalen Schlitz sehen können. Das macht quasi ein modernes Hörgerät: Es übersetzt alle akustischen Signale, die von außen kommen, auf diesen schmalen Bereich, den man noch zur Verfügung hat."

Prof. Markus Suckfüll

Kaum oder gar kein Hörvermögen – Hilfe durch ein Cochlea Implantat

Hört ein Mensch so gut wie nichts mehr, geht der Versuch, die akustischen Signale so zu verändern, dass er sie noch hören kann, ins Leere. Dann ist die Vorgehensweise, ein akustisches Signal in ein elektrisches Signal umzuwandeln und dies direkt an den Hörnerv zu geben - unter Umgehung der Hörschnecke.

"Das macht man, indem man eine Elektrode in die Hörschnecke hineinschiebt. Diese kommt über die lange Strecke an unterschiedlichsten Stellen mit den Schallwellen in Kontakt. Aufwändige Rechenprogramme können dann das akustische in ein elektronisches Signal umrechnen, das dann direkt dem Hörnerv angeboten wird. Eigentlich sind das zwei Geräte – eines, das wie ein Hörgerät außen am Kopf sitzt, wir nennen das den Prozessor. Über ein Kabel, das bis ins Innenohr reingeht, hat der Prozessor Kontakt mit einem zweiten Gerät, das unter der Kopfhaut sitzt."

Prof. Markus Suckfüll

Noch 80- und 90-Jährige können mit einem Cochlea Implantat wieder lernen, komplett zu hören. Allerdings ist das ein längerer Prozess, der bis zu einem Jahr dauert und viel Üben erfordert. Anfangs hört man, wenn andere sprechen, immer einen "Mickey-Mouse-Effekt" mit. Denn das Gehirn hat vergessen, Geräuschen die entsprechenden Bedeutungen zuzuordnen und muss erst wieder lernen, die Signale zu erkennen und zu interpretieren. Mit entsprechendem Training aber kann der Höreindruck wieder ganz natürlich werden. Die größten Fortschritte macht man beim Üben in den ersten Monaten.

Konnektivität

"Das ist die aktuelle Entwicklung: Man verknüpft das Hörgerät oder das Cochlea Implantat mit anderen Geräten. An erster Stelle steht das Smartphone: Man kann Streaming direkt auf die Geräte geben. Oder beim Fernseher: Den Ton holt man direkt vom Fernseher auf das Gerät, so kann der eine Ehepartner in der verstärkten Lautstärke hören, der andere in seiner gewohnten."

Prof. Markus Suckfüll

Schon für das Neugeborene kann sich am Hör-Sinn entscheiden, ob es an der sozialen Welt teilhaben wird. Ohne Hören kein Sprechen. Auch beim älteren Menschen reduziert das nachlassende Gehör eventuell seine soziale Interaktion.

Hören und Spracherwerb - Screening gegen Taubheit

"Wenn ein Kind schwerhörig oder taub ist, haben wir heute durch Hörgeräte oder Cochlea-Implantate alle Möglichkeiten, dass es normalhörig wird. Bei einem Kind hat das eine besondere Bedeutung: Ein Kind lernt die Sprache bis zum 6. Lebensjahr. Wenn wir diese Phase verpassen, dann ist es nicht nur taub, sondern dann ist es auch taub und stumm, weil es die Sprache nicht erlernt, denn dann ist die Zeit des Spracherwerbs vorbei."

Prof. Markus Suckfüll

Der ideale Zeitpunkt um zu erkennen, ob ein Kind hört oder nicht, und es zu versorgen, ist, bevor es ein Jahr alt ist. Einen Hörtest versteht ein Kind in diesem Alter nicht. Deshalb kommen speziellen Geräte zum Einsatz: Sonden, die akustische Emissionen aus dem Ohr messen. Sind diese vorhanden, dann hört das Kind normal.

"Das ist ein einfaches Screening, jedes Neugeborene wird getestet. Wenn aus dem Ohr keine Töne raus kommen– tatsächlich kommen nicht nur Töne ins Ohr, sondern auch heraus – dann stimmt etwas nicht und man muss das genauer abklären."

Prof. Markus Suckfüll

Besteht ein Zusammenhang zwischen Demenz und Schwerhörigkeit?

Experten bezeichnen eine nicht versorgte Altersschwerhörigkeit - wenn also kein Hörgerät getragen wird - sogar als Hauptrisikofaktor für Altersdemenz und Altersdepression. Menschen, die nicht mehr gut hören, ziehen sich häufig aus ihrem sozialen Leben zurück, fordern sich nicht mehr. Die Leistung des Gehirns nimmt ab.

"Das Hören ist der wesentliche Sinn für unsere soziale Interaktion. Jeder würde wahrscheinlich sagen, das Sehen sei viel wichtiger als das Hören, aber für unseren Umgang mit anderen Menschen als soziales Wesen ist das Hören viel wichtiger."

Prof. Markus Suckfüll