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"Da hab ich mich dann recht geärgert" Über das erstaunliche Wesen des Leserbrief-Schreibers

Leserbriefe gehören zu den meistgelesenen Spalten einer Tageszeitung. Je regionaler die Ausgabe, umso größer ist das Interesse auf beiden Seiten. Die Nähe zu den Themen provoziert die Meinungsvielfalt.

Von: Erich Wartusch

Stand: 27.01.2021 | Archiv

Jeder hat eine Meinung - zu fast allem und jedem. In der Social-Media-Welt wird unaufhörlich gebloggt und getwittert. Aber nur wer es schafft in die Zeitung zu kommen, erreicht ein breites, differentes Publikum.

"Das ist so eine Mischung aus Lust und Last, dieses Leserbriefschreiben... Am Anfang steht die Empörung, die Aufregung. Da reicht schon die Überschrift, … da greife ich zum Stift, da ist die Emotion drin."

Regelmäßiger Leserbriefschreiber aus Grafing im Landkreis Ebersberg

Manche Leserbriefschreiber äußern sich nur gelegentlich und nur zu spezifischen Themen. Andere interessieren sich für alle Ressorts. Manche wollen einen Artikel nur bestätigen. Andere widersprechen der Darstellung oder outen sich als Gscheidhaferl. Und wieder andere sind einfach stolz, ihren Namen in der Zeitung zu lesen.

"Gerecht finde ich das nicht von der Bahn. Für 96,4 Prozent der Fahrgäste erscheint die S-Bahn stets pünktlich. Und ich bin regelmäßig bei den 3,6 Prozent dabei, die sich am Bahnsteig die Füße in den Bauch stehen."

Leserbriefzitat aus Münchner Zeitungen

"Der Kassenbon für die Semmel ist schon lästig, aber leider auch notwendig. (…) Es wäre schön, wenn wir keine Gesetze hätten, weil wir keine bräuchten, Voraussetzung aber wäre, dass die Moral im Kopf ist. Aber da die Moral leider nicht im Kopf ist, muss sie leider im Gesetz sein."

Leserbriefzitat aus Münchner Zeitungen

"Viele Menschen leben heute noch manchmal gar mehrere unerträgliche Sekunden lang in dunklen und tiefen Funklöchern, und der gellende Hilfeschrei 'Ich hab kein Netz!' steht in der Rangliste der Notrufe an oberster Stelle, weit über dem Herzinfarkt."

Leserbriefzitat aus Münchner Zeitungen

Das Schreiben an die Redaktion kann zur Leidenschaft werden. Fast 6.000 Leserbriefe hat ein früherer Lehrer aus München innerhalb von 12 Jahren verfasst. 500 davon wurden veröffentlicht.

"Ich bin geradezu erleichtert wenn ich die Zeitung durchgeblättert habe und keinen Leserbrief schreiben muss. Dann ist das wie ein freier Tag. Das muss ich schon sagen, so gerne ich das mache."

Regelmäßiger Leserbriefschreiber

Das Wesen des Leserbriefschreibers

Statistiken belegen, dass mehr Männer als Frauen Leserbriefe schreiben. In der überwiegenden Zahl sind es engagierte Menschen, die schon im Ruhestand sind. Alle Autorinnen und Autoren zeichnet der Mut aus, ihre Meinung öffentlich zu vertreten. Immer wieder entspinnen sich über Leserbriefseiten mehrtägige, manchmal auch mehrwöchige Dispute über gesellschaftliche Aufregerthemen: Das kann global der Corona-Lockdown sein oder kommunal der Streit um Straßenerschließungsgebühren 70 Jahre nach der Bebauung. Doch eins ist klar: Anonyme, beleidigende oder extremistische Zuschriften werden aussortiert und der Verfasser, so heißt es im Deutschen Pressekodex, hat keinen Rechtsanspruch auf Abdruck seiner Zuschrift.

"Es gibt lästige, nervige, Leser, die partout nicht einsehen, dass sie nicht jede Woche zwei Leserbriefe unterbringen können. Das geht einfach nicht, weil wir immer mehr haben, als auf die Seite passen… Wir führen eine Statistik: Von jedem Leserbrief, der auf meinen Schreibtisch kommt, wird der Name festgehalten. Ich kann also in den letzten fünf Jahren nachvollziehen, wer wie viele Leserbriefe geschickt hat und wie viele wir davon veröffentlicht oder nicht veröffentlicht haben."

Christian Vordemann, Redakteur der Leserbriefseite des Münchner Merkur

Doch klar ist auch: Zeitungen brauchen das Feedback ihrer Leserschaft. Ohne die Leserbriefseite würde ausgerechnet jener Ressortteil fehlen, der - zusammen mit den Todesanzeigen - bei der morgendlichen Lektüre als erstes aufgeschlagen wird.


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