Bayern 2 - Zeit für Bayern


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Von wegen Allerweltsvogel Immer weniger Spatzen pfeifen von den Dächern

Spatzen wurden porträtiert, fotografiert und in Gedichten verewigt. Und lange Zeit galt der Spatz in Stadt und auf dem Land als Allerweltsvogel. Doch mittlerweile ist er ein bedrohter Piepmatz. Woran liegt das – und wie lässt es sich wieder ändern?

Von: Petra Nacke

Stand: 05.04.2023 | Archiv

Spatzen gehören zur Stadt wie Parkuhren, Schaufenster und Cafés, in denen Spatzen wiederum zum lebenden Inventar gehören – vorausgesetzt es gibt eine Außenbestuhlung und schön krümeliges Gebäck.

Der Spatz von Paris, der Spatz von Avignon

Spatzen hüpfen aber nicht nur auf der Straße oder im Gebüsch herum, sondern auch durch unsere Kulturgeschichte. Sie wurden portraitiert, fotografiert und in Sprichwörtern verewigt. Edit Piaf wurde als Spatz von Paris berühmt und Mireille Mathieu war der Spatz von Avignon, der wiederum über die Spatzen von Paris sang.

Der Westdeutsche Rundfunk hielt sich zwischen 1969 und 1976 sogar einen eigenen Hausspatzen, der es zu einiger Berühmtheit brachte. Und natürlich wurden auch Gedichte über Spatzen geschrieben, zum Beispiel von Christian Morgenstern oder dieses von Wilhelm Busch:

"Ich bin ein armer Schreiber nur,
Hab weder Haus noch Acker,
Doch freut mich jede Kreatur,
Sogar der Spatz, der Racker."

Wilhelm Busch

Zählen wir all diese Spatzen zusammen und nehmen dazu noch sämtliche Spatzen, Spätzchen und Spatzies, die tagtäglich durch unseren Kosewortschatz flattern, dann kann man nicht anders als zu denken: Der Spatz ist überall, er ist ein Allerweltsvogel!

Die Spatzenpopulation ist rückläufig

Stimmt nicht, sagt Umweltwissenschaftlerin Martina Gehret. Die Spatzenpopulation ist rückläufig, sowohl bei den Feldsperlingen auf dem Land wie auch bei den Hausspatzen in der Stadt.

"Das liegt daran, dass einfach Gebäude fehlen, wo die Spatzen Nistmöglichkeiten finden. Wenn die zum Beispiel saniert werden oder alte Scheunen verschwinden, dann hat es der Spatz sehr schwer, geeignete Nistmöglichkeiten zu finden. Und dann verschwindet er natürlich von dort, wo er keine guten Lebensbedingungen mehr hat. Es liegt aber auch an der Nahrungssituation – heimische Pflanzen, Hecken und Bäume – die unterschiedlich aussehen kann in den verschiedenen Lebensräumen."

Martina Gehret, Umweltwissenschaftlerin

Martina Gehret arbeitet im Referat Artenschutz beim Bund Naturschutz e.V. in Nürnberg. Wegen des garstigen Wetters verzichten wir auf einen Spaziergang und bleiben im Garten des Vereins, wo man sich wenigstens etwas unterstellen kann. Immer wieder quietschen die Züge am nahen Rangierbahnhof. Eine Amsel beschwert sich lautstark über den Schneeregen. Apropos: Stimmt es eigentlich, dass Spatzen so viel schimpfen, wie ihnen nachgesagt wird?

"Die schimpfen wahrscheinlich nicht, die haben auch ihre eigene Stimme und wissen genau, was sie erzählen wollen. Ja, Spatzen sind sehr gesellig und leben gern in Kolonien und brüten auch in Kolonien. Deswegen ist es da meist auch ein bisschen lauter. Wie halt in einer Großfamilie."

Martina Gehret, Umweltwissenschaftlerin

Der Spatz als Sündenbock

Der Spatz ist ein Familienvogel.

Wo ein Spatz ist, sind die anderen nicht weit; und haben sie es erst einmal auf den Brotkorb oder den Kuchen auf dem Teller abgesehen, fordern sie laut tschilpend und völlig furchtlos ihren Teil. Spatzen gelten als frech, sogar als unverschämt. Martin Luther bezeichnete sie als Diebe und sogar dem ausgewiesenen Tierfreund Franz von Assisi gingen Spatzen wohl auf den Wecker, denn er beschreibt sie als lästig. Den Vogel abgeschossen – und das im wahrsten Sinne des Wortes – hat aber Mao Zedong. Sein linientreuer Propagandapoet Guo Moruo dichtete 1958 zum Auftakt der großen Anti-Spatzen-Kampagne:

"Spatz, du bist ein Mistvogel,
ein Verbrecher seit tausenden Jahren.
Heute rechnen wir mit dir ab."

Guo Moruo, chinesischer Propagandapoet

Für Mao diente der Spatz als Sündenbock, um von eigenen Fehlern abzulenken. Und so wurden Sperlinge kurzerhand zu Feinden des chinesischen Volkes erklärt, die es zu vernichten galt. Wie das von statten ging beschreibt der deutsch-chinesischer Schriftsteller Yu-chien Kuan.

"Ich erinnerte mich an einen Tag, an dem die ganze Bevölkerung nichts anderes machte, als mit Gongs und Töpfen und allen möglichen anderen zum Krachmachen geeigneten Gegenständen auf den Straßen und in den Höfen herumzulaufen, um die Spatzen aufzuscheuchen. Den ganzen Tag war so laut gescheppert worden, dass die Vögel sich nirgends niederlassen konnten und schließlich tot vom Himmel fielen. An jenem Tag wurden Millionen von Vögeln getötet, und wir waren alle ganz stolz darauf gewesen."

Yu-chien Kuan, Schriftsteller

Nach drei Tagen war der Spatz in China nahezu ausgestorben. In der Folge vermehrten sich die Insekten rasant. Heuschreckenschwärme fraßen die Felder leer. Die Menschen hungerten.

Landet der Spatz bald auf der Roten Liste?

Von so einer ökologischen Katastrophe sind wir hier weit entfernt. Aber es wird den Spatzen immer schwerer gemacht, bei uns zu leben. Seit 2016 wird der angebliche Allerweltsvogel sogar auf der Vorwarnliste der Roten Liste geführt, sagt Martina Gehret.

"Aktuell ist der Spatz auf der Vorwarnliste der Roten Liste. Dort landen Tiere, bei denen die Gefahr besteht, in den nächsten Jahren als gefährdet eingestuft zu werden. Der Bestand der Spatzen ist seit vielen Jahren rückläufig. Es gibt natürlich Orte, wo er stagniert oder vielleicht sogar Lebensräume, wo er ein bisschen zunimmt. Aber in großen Städten wie München ist dieser Bestandsrückgang ganz deutlich zu erkennen."

Martina Gehret, Umweltwissenschaftlerin

Regelmäßig taucht der Spatz auch als einer der fünf Wahlkandidaten für den Vogel des Jahres auf – leider kein Grund zum Gratulieren. Die 1971 vom Naturschutzbund Deutschland und dem Landesbund für Vogelschutz in Bayern ins Leben gerufene Ausschreibung, macht auf die besondere Gefährdung der Art oder ihres Lebensraums aufmerksam. Heuer wurde das Braunkehlchen zum Vogel des Jahres gewählt, doch schon auf Platz 2 folgt der Spatz.

So können Sie den Spatzen helfen

Der Spatz braucht nicht viel, aber wenn selbst das Wenige fehlt, steht es schlecht um ihn.

"Damit sich der Spatz wohlfühlt, braucht er ausreichend Nahrung und Schutzmöglichkeiten, das heißt dichte Hecken, Nahrung von samentragenden Pflanzen oder auch Obst oder beerentragende Hecken, Blumen, die Insekten anziehen, die nicht gefüllt sind, wenn sie blühen. Und als Nistmöglichkeit braucht er einfach Gebäude, wo er Unterschlupf finden kann. Wenn das nicht geht, weil vielleicht schon die Hausfassade energetisch saniert wurde, dann kann man helfen, indem man zum Beispiel künstliche Nisthilfen außen anbringt unterm Dach. Und auch da muss man aufpassen, dass es natürlich für den Sperling geeignet ist, der bevorzugt etwas größere Einschlupflöcher, so 3,5 bis 5 Zentimeter und sehr gerne oval."

Martina Gehret, Umweltwissenschaftlerin

Also: greifen wir den Spatzen doch ein bisschen unter die Flügel und unterstützen sie. Denn im Grunde sind sie ja putzig, die kleinen, pummeligen Federbälle - auch wenn sie manchmal ein ziemliches G´werch machen und selbst dem heiligen Franz auf die Nerven gingen. Aber vielleicht halten uns die Spatzen ja auch nur einen Spiegel vor. Wilhelm Busch jedenfalls hatte da so einen Verdacht.

"Ich rief: Spatz komm, ich füttre dich!
Er fasst mich scharf ins Auge.
Er scheint zu glauben, dass auch ich
Im Grunde nicht viel tauge."

Wilhelm Busch


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