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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Von Ticket bis Tempo - Deutschland setzt Maßstäbe

Glaubt man Politikern, geht es bei uns im Deutschland-Tempo in eine moderne, digitale Zukunft. Wie reibungslos und einfach das funktioniert, zeigt sich beim 49-Euroticket. Bringt nur dort nichts, wo schon jetzt weder Bus noch Bahn verkehren… Eine Glosse von Heinz Gorr.

Von: Heinz Gorr

Stand: 04.05.2023

Welches Kanzlerwort wird bleiben, wenn man in ferner Zukunft an 2023 denkt? Das Kürzel NGS dürfte es schwer haben, selbst wenn New German Speed klanglich an die längst kanonisierte German Angst erinnert. Gute Chancen räumen Experten dagegen dem durch die emphatische Sprechweise von Olaf Scholz so positiv aufgeladenen "Deutschland-Tempo" ein. Nein, werden dereinst die älteren Zeitgenossinnen korrigieren, damit sei nicht das überfällige Tempolimit auf deutschen Autobahnen gelabelt worden, und – tiefes Seufzen bei weißhaarigen Senioren - auch nicht das flotte Ausscheiden von Herrenfußballteams aus internationalen Wettbewerben.

Deutschland-Tempo sollte symbolisch für den beschleunigten Weg aus diversen Krisen in eine strahlende Zukunft stehen, für ein Land, das Funken sprüht, statt vom Lamento der Unkenrufe depressiv zu werden. Deutschland könne "modern, digital und einfach", so der Verkehrsminister, als er stolz den Beschluss für ein 49-Euroticket verkündete, das inzwischen als Deutschland-Ticket am Start ist.

Doch schon zerbröseln die Säulen der Wissing'schen Trias, denn beispielsweise 'einfach' ist im föderalen Deutschland nichts. Und niemand – auch keine KI - kann in unserer modernen, digitalen Republik Auskunft darüber geben, welche Beförderungsbedingungen beim Deutschland-Ticket für die Mitnahme von Kindern egal welchen Alters, Fahrrädern oder entgeltpflichtigen Hunden zutreffen, von Studierenden mit und ohne Begleitung der Eltern, wer wo als Seniorin welche Ermäßigung in Anspruch nehmen kann und wie das beim Überfahren einer Landesgrenze gehandhabt wird, ganz zu schweigen von den "gültigen Regelungen im jeweiligen Tarifgebiet", wie es auf bahn.de erschöpfend heißt.

Überhaupt kein Problem, sich da umfassend zu informieren

Überhaupt kein Problem, sich da umfassend zu informieren, schließlich gibt es in Bayern nur etwa 30 Verkehrsverbünde, in Baden-Württemberg lediglich 19. Näheres entnehmen Sie bitte dem aktuellen Aushang, hieß es früher. Und selbst wer – nach schmerzhaften Erfahrungen auf eiskalten Vorortbahnsteigen – glaubte, die Kryptographie schwarzer Zeichen auf orange-gelben Fahrplanplakaten halbwegs erschlossen zu haben, verzweifelte irgendwann am deutschen Schienenwesen.

Da geht es denen, die vergeblich auf Jetzt-buchen-Buttons in Onlineportalen klicken, nicht sehr viel besser als vor Jahrzehnten dem Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch: Der stürmte in Hut und Mantel kurz vor Schluss in eine Samstagabend-TV-Sendung, und Dieter Hildebrandt fragte ihn leicht vorwurfsvoll, warum er denn viel zu spät komme. Darauf meinte Hüsch nur: "Hämmerchen außer 6" – dem völlig verdutzten Kollegen erklärte er dann: Sein Zug sei einfach nicht gefahren, "Hämmerchen außer 6" im Fahrplan bedeutete "fährt werktags außer an Samstagen."


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