Bayern 2 - radioTexte


27

"Bauern, Land" Uta Ruge über ihr Dorf im "Weltzusammenhang"

Ein Leben von und mit den Zyklen der Natur: ist das heutzutage pure Landlust oder eher ein Hundeleben? Die Autorin und vielgereiste Journalistin Uta Ruge kennt das Landleben von der Pike auf und versucht sich in ihrem neuen Buch "Bauern, Land" sowohl an einer Entrümpelung bäuerlicher Stereotypen als auch an einer liebevollen Chronik ihres Dorfes. Antonio Pellegrino hat mit Uta Ruge gesprochen. Lesung mit Ilse Neubauer

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 16.09.2020 | Archiv

Regenbogen über der Ortschaft Lanhausen im Landkreis Cuxhaven. Fotograf: G. Franz | Bild: picture-alliance/dpa/blickwinnkel/G. Franz

"Seit ein paar Tagen stehe ich morgens um sechs mit allen auf, um zu sehen, zu hören und zu riechen, wie sich Landwirtschaft heute anfühlt auf dem Hof, auf dem ich aufgewachsen bin. Ich ziehe die Stallklamotten an und gehe nach draußen. Mir fällt auf, dass ich den Blick hier nicht heben muss, um den Himmel zu sehen. Ob es regnet oder bald regnen wird, wie der Wind geht, ist sofort gewusst, in Auge, Ohr und Nase eingeströmt."

(Uta Ruge, in: Bauern, Land)

Ein Dorf im Moor in den 50er Jahren, ein Bauernhof heute - und wie das Weltgeschehen das Leben der Menschen auf dem Land veränderte: Davon erzählt Uta Ruge am Beispiel ihres Dorfes und ihres Bruders, der bis heute dort zuhause ist. Sie verwebt dabei die Erinnerung an das Leben auf dem Lande mit der genauen Beobachtung der Veränderungen in der Landwirtschaft heute, mit der Chronik des Dorfes im Landkreis Cuxhaven, den welthistorischen Zusammenhängen und der Kulturgeschichte, die das Leben der Bauern geprägt haben und prägen. Antonio Pellegrino hat mit Uta Ruge gesprochen.

Antonio Pellegrino:
In Ihrem 2003 erschienenen Buch "Windland" erzählen Sie die Chronik Ihrer Familie auf Rügen und gleichzeitig einen Teil der deutsch-deutschen Geschichte.

Uta Ruge ist Autorin, Feldenkrais-Lehrerin und Treckerfahrerin.

Uta Ruge:
Als die Wiedervereinigung stattfand, lebte ich in London und bekam mit, dass jetzt etwas ganz anderes los ging. Und bin dann mit meinem Vater immer mal wieder nach Rügen gefahren. Rügen war für ihn ja Heimat und für uns die vollkommen unbekannte Heimat. Meine Schwester und ich sind dort noch geboren. Und plötzlich konnte man dorthin fahren, und das haben wir sehr ausgiebig gemacht. Unser Vater hatte uns immer schon viel von der Flucht erzählt und dass er seinen Hof nicht zurückbekommen hatte. Das hat ihn sehr "vergrellt", wie man bei uns in Norddeutschland sagt. Den Prozess der Flucht und der Enteignung habe ich in diesem Buch beschrieben, aber auch die Geschichte der jüdischen Familie, die natürlich schon vorher vertrieben worden war, und nach meinen Recherchen die Nachkommen tastächlich in Melbourne ausfindig gemacht.

Antonio Pellegrino:
Sie haben Ihre Schwester erwähnt. Wir müssen auch Ihren Bruder erwähnen. Er spielt im neuen Buch eine bestimmte Rolle.

Uta Ruge:
Ich wollte einen Helden für die Geschichte vom Land, aber er war sehr missmutig und hat gesagt: "Das interessiert doch keine Sau mehr, wie wir auf dem Land leben und uns abmühen, wir sind nur noch die Vergifter und Vernichter und Tierquäler. Er war sehr unwillig. Aber ich bin mindestens ebenso hartnäckig wie er, und so bin ich einfach jahrelang dorthin gefahren, hab mich auf dem Trecker mitnehmen lassen und in den Kuhstall. Ich habe mir alles zeigen lassen, was ich aus meiner Kindheit kannte, was sich aber vollständig verändert hat. Und ich habe die alten Leute im Dorf gefragt, wie es früher aussah. Mir ging es darum, zu erfahren, was die Menschen, die jungen Leute über die Vergangenheit und ihr Leben in der Gegenwart als Bauern zu sagen hatten.

Antonio Pellegrino:
Ihr Bruder hat den elterlichen Hof bekommen. Hätten Sie gerne den Hof geerbt?

Uta Ruge:
Ja und nein. Es gab eine große Liebe und Selbstverständlichkeit des Lebens auf dem Lande. Die Liebe zur Arbeit mit Tieren und Pflanzen. Aber es gab auch eine ganz große Neugier auf die große weite Welt, von der unsere Eltern uns durchaus erzählt hatten, weil sie Flüchtlinge waren. Das hat mich auch wahrscheinlich zum Schreiben gebracht. Wir haben mit fremden Augen auf dieses Land, auf dieses Moor geschaut. Alles war für uns neu: die Menschen, die fremden Sitten und Gebräuche. Sogar ein anderer Boden. Das war für meine Eltern besonders erschreckend. Sie kamen vom guten Ackerboden und mussten jetzt in diesem Moor mit Gras und Milchwirtschaft irgendwie ein Aus- und Einkommen finden.

Antonio Pellegrino:
Kommen wir zur Struktur Ihres Buches "Bauern, Land": Nach jedem Kapitel, in dem Sie historische Exkurse unternehmen und die Geschichte Ihres Dorfes mit Ereignissen der Weltgeschichte verknüpfen, folgt eine Art Reportage über die aktuelle Lage der Landwirte.

Uta Ruge:
Das hat sich sehr schnell durch die Recherche in den Archiven ergeben. Die wichtigsten unmittelbaren Dokumente waren eine Dorfchronik, die einer der Bauern im Ruhestand schon mal geschrieben hatte. Die verwies mich auf das Kirchenbuch, wo die Geburten, Tode und Hochzeiten seit 250 Jahren eingetragen worden waren. Dort entdeckte ich die napoleonische Besetzung, die zu tun gehabt hatte mit der Kontinentalsperre, die Napoleon auch in den Niederlanden und Deutschland gegen Großbritannien eingesetzt hatte. Das ist sozusagen der Zusammenhang aus dem Untertitel meines Buches. Das war damals Großbritannien, Frankreich, und genau diese große Geschichte spielte sich in diesem kleinen Dorf ab und ist in den dortigen Archiven ablesbar. Dadurch hat sich diese Struktur, diese Wellenbewegung von heute auf damals auf ganz früher ergeben. Und dazu kommen noch die Zwischenspiele.

Kurzbiografie

Uta Ruge, auf Rügen geboren, wuchs nach der Flucht der Familie als Bauerntochter in einem norddeutschen Dorf auf, studierte Germanistik und Politik in Marburg und Berlin, arbeitete im Rotbuch Verlag und bei der TAZ in Berlin und lebte von 1985 bis 1998 als freie Rundfunkautorin und Mitarbeiterin der internationalen Zeitschrift Index-on-Censorship in London. 2003 erschien "Windland – Eine deutsche Familie auf Rügen". Uta Ruge lebt heute in Berlin.

Antonio Pellegrino:
Wie beurteilen Sie das heutige, oft romantisierende Verhältnis von Städtern zur Natur?

Uta Ruges neues Buch "Bauern, Land", erschienen bei Kunstmann

Uta Ruge:
Genau das ist ein bisschen das Thema in den Zwischenspielen im Buch. Und es ist wie ein Gespräch zwischen mir und einem alten Freund, der auch als Bauernkind in die Stadt gegangen ist. Und wir diskutieren das anhand von Literatur und Gemälden. Dieses Verhältnis zur Natur, das die Städter oder die Stadtbewohner schon in der römischen Zeit entwickelt haben. Es beginnt mit Vergils Landbau, Horaz, Kratos und so weiter. Wie haben die über das Land geschrieben? Das Land war schon für sie ein Rückzugsort. Sie lebten in Rom, zogen sich zum Ausruhen auf ihre Landgüter zurück und konnten romantisieren. Romantisieren ist ein etwas schräges Wort. Vielleicht kann man das so sagen: Das Landleben und der Landbau sind eigentlich, und das diskutiere ich in dem Buch mit Christian zusammen, mit diesem Freund, das ist eigentlich die Darstellung eines idealen Staates, nämlich die gutmütige Bearbeitung des Feldes durch aufrechte und gutgläubige Götter. Gläubige Bewohner. Es gibt eine große Sehnsucht nach Natur, weil die Städte so anstrengend sind. Da ist natürlich eine große Sehnsucht nach mehr, nach Bergen, wo sozusagen eine andere Atmosphäre im wahrsten Sinne des Wortes herrscht, wo wir freier atmen. Aber das Landleben hat sich ebenso verändert wie das urbane Leben. Wir fahren nicht mehr in der Kutsche, gehen nicht mehr zu Fuß.

"Bauern, Land -

Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang

von und mit Uta Ruge

Ilse Neubauer liest aus Uta Ruges "Bauern, Land".

am 22. September um kurz nach 21.00 Uhr in den radioTexten am Dienstag auf Baern2

Lesung mit Ilse Neubauer

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Das Buch "Bauern, Land" ist im Kunstmann Verlag erschienen.

Unsere Lesungen können Sie immer und überall nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo es Podcasts gibt.


27