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Gert Heidenreich liest Salman Rushdie: Shalimar der Narr

Eine Liebe in Kaschmir, ein Attentat in Los Angeles: Rushdies Epos verbindet persönliches Drama mit globalen Machtkämpfen nach 9/11. Gert Heidenreich liest den Roman des Friedenspreisträgers 2023.

Stand: 04.10.2023

Salman Rushdie: Shalimar der Narr | Bild: BR

"Der gutaussehende Fahrer, Shalimar aus Kaschmir, blieb auf dem Bürgersteig stehen, vom Rückspiegel zu einem Insekt verkleinert, die Augen blitzende Schwerter. Im Aufzug hatte India gespürt, dass der Fahrer sie berühren wollte. Seltsam. Nein, seltsam war es nicht. Seltsam war nur, dass sein Verlangen kein sexuelles Verlangen zu sein schien. Als wäre sie nur eine Stellvertreterin, ein Zeichen. (…) Dies war der letzte Tag, den sie mit ihrem Vater verbringen sollte. Wenn sie ihn das nächste Mal sah, würde es anders sein."

(Shalimar der Narr, Salman Rushdie)

Vor den Augen seiner Tochter wird Max Ophuls, hochdekorierter Ex-US-Botschafter in Indien und früherer Résistance-Held, in Santa Monica brutal ermordet. Sein Chauffeur hat ihm die Kehle durchgeschnitten. Was aussieht wie ein politisch motiviertes Attentat, fächert sich auf in persönliche Dramen. Geschichten, die Jahrzehnte zuvor auf der anderen Seite der Welt begannen, in Kaschmir, im „Paradies“.

Es geht um Max, den Vollblutpolitiker und Frauenheld, seinen Mörder, der sich „Shalimar der Narr“ nennt, seine Tochter India und um die Tragödie einer jungen Liebe. Sie schreibt sich ein in die historische Tragödie Kaschmirs, einst irdisches Paradies „mit Pfirsichhainen und Honigbienen“, so formuliert es Salman Rushdie, dessen Großeltern Kaschmiri waren. Seit über siebzig Jahren ist die Himalaya-Region militärisches Konfliktgebiet, aus dem in mehreren Kriegen die Menschen vertrieben wurden und rund um den Globus Zuflucht suchen mussten. Rushdie entwirft ein opulentes Zeitpanorama, provokant, visionär und tragikomisch.

"Alles war heutzutage Teil von etwas anderem. Russland, Amerika, London, Kaschmir. Unser Leben, unsere Geschichten strömten ineinander, gehörten nicht mehr uns allein, waren nicht länger einzig und individuell."

(Shalimar der Narr, Salman Rushdie)

Sir Salman Rushdie, geboren am 19. Juni 1947 in Bombay (heute Mumbai), zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern der englischsprachigen Gegenwartsliteratur. Am 22. Oktober 2023 wird ihm der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Seine Romane, in über vierzig Sprachen übersetzt, verknüpfen magischen Realismus mit historischer Fiktion, indische Mythen mit westlichen Popmärchen. Aufgewachsen in einer muslimischen Familie, studierte er am britischen King’s College Geschichte und ist heute in New York zuhause.

„Mitternachtskinder“ (1981) über das Leben einer Familie zur Zeit der Unabhängigkeitsbewegung in Indien brachte Rushdie den internationalen Durchbruch und wurde mit dem Booker-Prize ausgezeichnet. 1988 erschienen „Die Satanischen Verse“ und waren für den damaligen Obersten Führer des Iran Anlass, gegen Rushdie eine Fatwa auszusprechen. Der Roman richte sich gegen den Islam, den Propheten und den Koran. Das von iranischen Organisationen ausgesetzte Kopfgeld liegt heute bei fast vier Millionen Dollar. 2022 wurde der Autor bei einem Messerattentat schwer verletzt. Im April 2023 zählte ihn TIME Magazine zu den „100 most influential people in the World“.

Diesjähriger Friedenspreisträger

Die Verleihung findet am Sonntag, 22. Oktober 2023 in der Frankfurter Pauskirche statt, Laudator wird der Schriftsteller Daniel Kehlmann sein.

Begründung der Jury

"Seit seinem 1981 erschienenen Meisterwerk »Mitternachtskinder« beeindruckt Salman Rushdie durch seine Deutungen von Migration und globaler Politik. In seinen Romanen und Sachbüchern verbindet er erzählerische Weitsicht mit stetiger literarischer Innovation, Humor und Weisheit. Dabei beschreibt er die Wucht, mit der Gewaltregime ganze Gesellschaften zerstören, aber auch die Unzerstörbarkeit des Widerstandsgeistes Einzelner. Weil der iranische Ajatollah Chomeini 1989 eine Fatwa gegen ihn ausgesprochen hat, lebt Salman Rushdie in ständiger Gefahr. Dennoch ist er nach wie vor einer der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache – und zwar nicht nur seiner eigenen, sondern auch der von Menschen, deren Ansichten er nicht teilt. Unter hohen persönlichen Risiken verteidigt er damit eine wesentliche Voraussetzung des friedlichen Miteinanders. Kurz vor Veröffentlichung seines jüngsten Romans »Victory City« wurde er im August 2022 Opfer eines Mordanschlags. Trotz massiver körperlicher und psychischer Folgen, mit denen er noch immer ringt, schreibt er weiter: einfallsreich und zutiefst menschlich. Wir ehren Salman Rushdie für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichert."

Stiftungsrat

„Shalimar der Narr“ - Podcast und Lesung

Ab 5. Oktober schlagen wir zu Ehren Salman Rushdies seinen 9. Roman auf:

Gert Heidenreich liest „Shalimar der Narr“ in sieben Folgen auf Bayern2.

Regie: Cornelia Zetzsche

Produktion: BR 2006

Moderation: Kirsten Böttcher

Die siebenteilige Lesung gibt’s als Hörbuch-Podcast ab 22. Oktober 2023 in der ARD Audiothek.

Das Buch ist in der Übersetzung von Bernhard Robben im Rowohlt Verlag erschienen.


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