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Verleihung des Literatur-Nobelpreises Olga Tokarczuk und ihr Roman "Die Jakobsbücher"

"Für eine erzählerische Vorstellungskraft, die mit enzyklopädischer Leidenschaft Grenzüberschreitungen als Lebensform darstellt“, ehrt die Schwedische Akademie die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk. In ihrem jüngsten über 1100 Seiten starken Roman, "Die Jakobsbücher", erzählt sie die Geschichte von Jakob Frank, einem der einflußreichsten jüdischen Gelehrten, der im 18. Jahrhundert wie ein Messias verehrt wurde. Er stellte sich gegen die offizielle Lehrmeinung des Judentums und der katholischen Kirche, ein Grenzgänger, den es weder bei einer Religion noch je lange an einem Ort hielt.

Von: Eva Demmelhuber

Stand: 06.12.2019

Olga Tokarczuk | Bild: picture-alliance/dpa

Nach dem Desaster von 2018, verlieh die Schwedische Akademie in diesem Jahr zwei Nobelpreise für Literatur. Der von 2019 ging an Peter Handke, der vom letzten Jahr an die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk. Es werden also am 10. Dezember in Stockholm zwei Literatur-Nobelpreise verliehen. Gut 82.000 Euro will die frisch gekürte Nobelpreisträgerin stiften für die Förderung von Kunst und Kultur: "Wir wollen auch die Beteilgung von Frauen am kulturellen und gesellschaftlichen Leben fördern und wissenschaftliche Untersuchungen zum Feminismus unterstützen."

"Die Jakobsbücher"

Für ihren Roman über Jakob Frank und Polen im 18. Jahrhundert recherchierte die polnische Literatur-Nobelpreisträgerin 16 Jahre lang in Archiven und Bibliotheken. Sie fächert darin fast ein ganzes Jahrhundert polnischer Geschichte auf, ein unbequemes Kapitel für ihr Land, in dem sie von den Nationalisten als Verräterin beschimpft wurde:

"Diese Hass-Reaktion hat sich nicht unmittelbar auf das Buch bezogen, sondern auf meine Aussage im Fernsehen, dass die Polen sich auch den dunklen Kapiteln in ihrer Geschichte stellen müssen. Auch die Polen haben Juden ermordet, sie haben im Osten kolonialisiert, und die Landbevölkerung musste feudalen Frondienst leisten, der sehr an Sklaverei erinnert," so Olga Tokarczuk.

"Den Klugen zum Gedächtnis, den Landsleuten zur Besinnung, den Laien als erbauliche Lehre"

Die Geschichte des jüdischen Gelehrten Jakob Frank ist letztlich die Geschichte "von armen Juden, die sich ihren Weg in die höheren Schichten der polnischen Gesellschaft erkämpft haben. Der gesellschaftlich-emanzipatorische, revolutionäre Weg dieser Gruppe hat mich fasziniert. Ich musste nicht nur lernen, wie die Menschen im 18. Jahrhundert gelebt haben, wie sie gedacht, sich gekleidet haben, wie der Alltag in der königlichen Republik Polen-Litauen ausgesehen hat. Ich musste auch vieles über jüdischen Mystizismus lernen. Es war wichtig, dieses Buch zu schreiben, weil wir - und damit meine ich uns Europäer, auch Polen und Deutsche –, wenn wir über Juden sprechen, als erstes den Holocaust assoziieren, dieses letzte, tragische Kapitel der Koexistenz zwischen Christen und Juden in Europa. Aber vor dem Holocaust gab es doch mindestens 1000 Jahre dieses Zusammenleben. Und wir wissen so wenig von der Geschichte der Juden in Europa, von der Kultur, von den Spannungen aber auch vom kulturellen Austausch dieser beiden Ethnien und Kulturen. Das war der Grund, mich mit dieser Geschichte zu beschäftigen."

"Das verschluckte Stück Papier bleibt in der Speiseröhre stecken, auf der Höhe des Herzens. Saugt sich mit Speichel voll. Die schwarze, eigens verfertigte Tinte verwischt, verschwimmt, die Buchstaben verlieren ihre Form. Im Körper des Menschen spleißt das Wort sich auf, trennt sich in Substanz und Wesen. Wenn erste verschwindet, lässt sich Letzteres, seiner Gestalt entledigt, von den Geweben des Körpers aufnehmen, denn unermüdlich sucht das Wesen nach Materie, die es tragen könnte; mag diese Suche auch so manches Unglück nach sich ziehen."

Prolog aus 'Die Jakobsbücher' von Olga Tokarczuk, erschienen bei Kampa

Schon für ihren ersten Roman, "Die Reise der Buchmenschen" aus dem Jahr 1993, wurde Olga Tocarczuk von der "Gesellschaft der polnischen Buchverlage" ausgezeichnet, mit dem Preis "bestes Prosadebüt". 2012 erhielt sie den Usedomer Literaturpreis für "die literarische und intellektuelle Manifestierung der Region Niederschlesien in der europäischen Geschichtserfahrung und in der polnischen Sprache". Kunstvoll und sprachmächtig verwebt sie in ihrem Buch Realität und jüdische Mystik, mit der sich die studierte Psychologin immer wieder beschäftigt.

"Die Jakbosbücher" - Lesung mit Franz Pätzold

Am Sonntag, dem 8. Dezember, liest Franz Pätzold, der Jungstar des Münchner Residenztheaters, Ausschnitte aus dem Opus Magnum von Olga Tokarczuk, die im "Offenen Buch" über die Geschichte von Jakob Frank und ihrem Schreiben erzählt. Übersetzt wurde der über 1100 Seiten starke Roman von Lisa Palmes und Lothar Quinkenstein.

radioTexte - Das offene Buch, jeden Sonntag um 12.30 Uhr auf Bayern 2

Redaktion, Moderation und Regie: Cornelia Zetzsche


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