Bayern 2 - radioTexte


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Navid Kermani Entlang den Gräben - Stimmungen aus Osteuropa

54 Tage für so viele Sprachen, Kulturen, Krisenherde: Navid Kermani reiste von Köln durch Osteuropa bis Isfahan. Seine Recherchen und Eindrücke ergaben nicht nur ein überwältigendes Reisebuch. Es ist auch ein flammendes Plädoyer für die Vielfalt von Kulturen, für Europa, für die Schönheit von Geschichten. Aus "Entlang den Gräben" liest Thomas Loibl.

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 29.10.2020 | Archiv

Gebäude in der atomar verseuchten Sperrzone von Tschernobyl | Bild: BR

Ein immer noch fremd anmutendes, von Kriegen und Katastrophen zerklüftetes Gebiet beginnt östlich von Deutschland und erstreckt sich über Russland bis zum Orient. Navid Kermani recherchierte 2017 "entlang den Gräben", die sich gegenwärtig in Europa auftun. Im Auftrag des SPIEGEL reiste der renommierte Publizist und Autor, der in diesen Tagen mit dem Hölderlin-Preis ausgezeichnet wird, von seiner Heimatstadt Köln durch den Osten Europas bis nach Isfahan, der Heimat seiner Eltern, gereist.

Alltag in Isfahan (Iran)

Seine Route führte ihn mitten durch den jüdischen "Ansiedlungsrayon" der Zarenzeit, die "Bloodlands" des Zweiten Weltkriegs, am Riss zwischen Ost und West entlang, wo der Kalte Krieg längst nicht zu Ende ist und im Donbass zum Kriegsgebiet wird. Er hat die Trümmer zerstörter Kulturen und die Spuren alter wie neuer Verwüstungen gesehen. Vor allem hat er Menschen getroffen, die innerlich zerrissen sind, weil sie sich auf der Suche nach Heimat und Wohlstand auf eine Seite schlagen müssen. Mit wenigen Strichen lässt er das Nachtleben der Großstädte lebendig werden, Geschäfte wie zu Sowjetzeiten, hippe Cafés, die Gelassenheit in Frontnähe und die Angst vor den "anderen".

54 Tage insgesamt für so viele Sprachen, Kulturen, Krisenherde, immer neue Städte, Länder, Regionen - eine Reise mit Siebenmeilenstiefeln von Köln bis Krakau, von Auschwitz bis Tschernobyl, von Minsk über die Front im Donbass bis ans Schwarze Meer, von der Krim über Grosny bis Baku, durch Bergkarabach bis Teheran. Seine Recherchen und Eindrücke ergeben ein überwältigendes Reisebuch, das für viele Westeuropäer eine Terra incognita aufschließt.

Navid Kermani in aller Kürze

1967 als Sohn iranischer Einwanderer in Siegen geboren, ist Navid Kermani seit Jahren ein engagierter Vermittler zwischen der islamischen und christlichen Welt. Er lebt als freier Schriftsteller in Köln. Der habilitierter Orientalist ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie des 1. FC Köln. Er hielt die Poetikvorlesungen in Frankfurt, Göttingen und Mainz; Gastprofessor war er an der Universität Frankfurt, an der Kunsthochschule für Medien in Köln sowie am Dartmouth College in den Vereinigten Staaten. Zusammen mit Guy Helminger ist er seit 2006 Gastgeber des Literarischen Salons im Kölner Stadtgarten. Am Thalia-Theater in Hamburg leitet er seit 2012 gemeinsam mit Carl Hegemann das „Herzzentrum“. 2017 war Kermani im Gespräch für das Amt des Bundespräsidenten. Für seine Romane, Essays, Reportagen und Monographien erhielt Navid Kermani zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Kleist-Preis, den Joseph Breitbach-Preis, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und den Hölderlin-Preis.

"Entlang den Gräben"
mit Thomas Loibl am 3. November in den radioTexten am Dienstag
Das Buch ist 2018 bei C.H.Beck erschienen.
Moderation der Sendung: Antonio Pellegrino

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