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Frankreich Flüchtlingselend in Calais

Calais liegt an der engsten Stelle des Ärmelkanals. Nur 34 Kilometer trennen es vom englischen Dover. Immer wieder strömen Flüchtlinge in die Hafenstadt. Ihr Ziel ist es, in einen der LKW zu gelangen, die in Calais Station machen, und mit ihm auf eine der Fähren, die in Richtung Großbritannien ablegen.

Von: Manuela Roppert

Stand: 25.02.2018 | Archiv

Hafen von Calais | Bild: BR

George aus Portugal fährt die Strecke nach Dover seit 25 Jahren. Bisher hatte er Glück. Bei ihm wurde noch kein Flüchtling gefunden. Von Kollegen aber weiß er, wo die sich meist verstecken. Er hat Angst, dass sie es auch einmal bei ihm versuchen:

"Das ist ein großes Problem für uns, weil wir die Flüchtlinge auf die andere Seite mitnehmen und wir deswegen eine Strafe bezahlen müssen. Aber es ist ja nicht unsere Schuld. Die Polizei und alle anderen könnten viel mehr tun, um sie daran zu hindern."

George

Ramadan

Ramadan stammt aus Afghanistan. Zwei Mal hat er versucht, in einen LKW zu kommen. An Schleuser, sagt er, hat er insgesamt 15.000 Euro bezahlt und dafür Schulden gemacht:

"Es ist nicht einfach, rüber zu kommen. Es gibt mehrere Kontrollen. Und man darf im LKW nicht atmen, denn sie führen Sauerstofftests durch. Dabei sind schon Leute gestorben. Das ist mir zu hart. Die Schleuser schieben einen in den LKW und wenn sie ihr Geld haben, dann sind sie weg."

Ramadan

In einer provisorischen Zeltstadt, dem sogenannten "Dschungel" von Calais, haben Tausende von Flüchtlingen gehaust, bis die französische Regierung im Herbst 2016 das Gelände räumen ließ. Die Flüchtlinge sollten auf Aufnahmezentren in ganz Frankreich verteilt werden. Der Dschungel heute: hier ist ein Naturschutzgebiet geplant.

Doch die Rechnung geht nicht auf. Zurzeit halten sich rund 600 Flüchtlinge, meist aus afrikanischen Ländern oder aus Afghanistan, in Industriegebieten und Wäldern rund um die Hafenstadt auf. Sie campen unter freiem Himmel, auch bei Minusgraden. Glücklich ist, wer ein Zelt hat.

"Das sind in der Mehrheit Leute, die kein Asyl in Frankreich beantragen können, denn sie haben bereits ihre digitalen Fingerabdrücke in einem anderen EU-Land abgegeben, in der Regel in Italien oder Griechenland. Frankreich würde sie also dorthin abschieben."

François Guennoc, L‘Auberge des Migrants

François Guennoc

In Calais sind eine Reihe von Hilfsorganisationen aktiv. Dutzende von Helfern, überwiegend aus Frankreich und Großbritannien, versorgen die Flüchtlinge täglich mit dem Lebensnotwendigsten. Der französische Präsident Macron hat den Organisationen unlängst vorgeworfen, dadurch die Migranten erst anzulocken. Freiwillige wie Marlin zeigen sich davon unbeeindruckt:

"Wir machen nur Essen. Das ist ein Weg zu helfen, indem wir Essen zur Verfügung stellen."

Marlin

Auch Flüchtlinge sind unter den Helfern. Ramadan ist inzwischen als Asylbewerber in Frankreich anerkannt worden, doch er findet keine Arbeit hier. Auch deswegen schlagen viele den Weg nach Großbritannien ein. Dort findet man leichter Jobs, auch illegale. Ramadan führt uns zu einer Gruppe seiner Landsleute. Hashmat aus Kabul hat sich vor fünf Monaten auf den Weg gemacht: "Er will nach England, weil er Familie dort hat. Er möchte dort studieren."

"Französisch ist zu schwer. Man kann es nicht schnell lernen. Englisch ist einfacher."

Hashmat

Und Frankreich zeigt sich offenbar nicht gerade als gastfreundliches Zufluchtsland:

"Die Polizisten besprühen uns mit Tränengas. Das bleibt dann auf der Kleidung. Sie machen unsere Zelte kaputt und werfen uns was ins Essen. Es ist wirklich sehr hart hier."

Hashmat

Hilfsorganisationen wie "L'Auberge des Migrants" gehen davon aus, dass die Polizisten in Calais den Befehl haben, die Migranten auf diese Weise abzuschrecken. All das zehrt das an den Nerven der jungen Männer, vor allem bei den eisigen Temperaturen. Der Frust entlädt sich nicht selten in Gewalt, wie zuletzt Anfang Februar, als es zu Schlägereien und zu Schüssen zwischen afghanischen und afrikanischen Flüchtlingen kam, angeheizt von Schleusern, die um ihre Vormachtstellung kämpfen; es gab Schwerverletzte.

Wie gehen die beteiligten Länder mit der Situation um? Frankreich schickt mehr Polizisten nach Calais, um die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen und Großbritannien mehr Geld, um die Grenzkontrollen weiter zu verschärfen. Und die Bewohner von Calais? Seit etwa 20 Jahren leben sie mit den Flüchtlingsströmen:

"Manche haben es inzwischen satt, weil das Image von Calais darunter leidet. Es schließen ständig Läden in der Innenstadt, aber ich weiß nicht, ob wegen der Flüchtlinge."

Eine junge Frau

"Ja, sie sind gewalttätig, aber meistens gegeneinander. Also für uns ist das nicht so schlimm, nur etwas verrückt."

Ein junger Mann

"Die Behörden müssten sich mal selbst die Frage stellen, was sie mit den Flüchtlingen hier machen. Die Migranten sind einfach auf der Suche nach ihrem Glück und das kann ich gut verstehen."

Ein Mann

Die Menschen in Calais – Einheimische wie Flüchtlinge – müssen darunter leiden, dass es die EU nicht schafft, sich auf eine humane und konsequente Asyl- und Flüchtlingspolitik zu einigen.


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