Bayern 2 - Nachtstudio


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Avantgarde in der DDR Zonen Untergrund

Avantgardistische Kunst in der DDR, gab es die? Es gab sie, im Untergrund, abseits der großen Museen. Eine Reise durch Deutschland, auf der Suche nach dem, was geblieben ist von der Untergrund-Kunst in der DDR.

Von: Niels Beintker

Stand: 30.09.2016

Seit 1970 ist Hans Ticha, geboren 1940 in Tetschen, als freischaffender Künstler tätig. Studiert hat er an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Doch erst seit den 1990er Jahren ist ein wichtiger Teil seines großen Werkes auch in der Öffentlichkeit zu sehen: eine Vielzahl von Gemälden, die die öffentlichen Inszenierungen in der DDR schonungslos sezierten. Tichas Stil, geprägt von Künstlern wie Fernand Léger und Oskar Schlemmer aber auch von der Pop Art, war im offiziellen Kunstbetrieb der in der DDR nicht wohl gelitten. Die Themen der politischen Bilder erst recht nicht.

"Vor allem den Klatscher, den fand ich typisch für die DDR. Dieses ewige Beifallgeben für Dinge, die nicht vorhanden waren. Erfolge, die es nicht gab. Da fand ich schon, der hohlköpfige Klatscher ist ein Synonym für die DDR. Vor allem der 80er Jahre."

Hans Ticha, Künstler

Hans Ticha und seine "politischen Bilder"

"Hoch, hoch!" von Hans Ticha

Hans Ticha hat den Klatscher immer wieder gemalt, ebenso die schlipstragenden Genossen mit der gehobenen Faust. Der Künstler, der heute in Maintal lebt, nennt diesen keineswegs kleinen Teil seines Oeuvres die "politischen" Bilder oder auch die "Polit-Bilder". Er hat sie, in all den Jahren vor dem Ende des angeblich allerbesten Staates auf deutschem Boden, allein für sich gemalt. Eine Art Selbstvergewisserung. Und das Dokument einer klaren Haltung. Hans Ticha ist einer von vielen Künstlern, die in der DDR eigene Wege gegangen sind. Einer, der sich nicht abfinden wollte mit den offiziellen kulturpolitischen Vorgaben, der vielmehr Anschluss suchte an die von den Genossen zumeist verteufelte Moderne, an das Bauhaus, den russischen und den französischen Konstruktivismus. Sein Werk – wie das von vielen anderen dieser 'Unangepassten' – gehört zur eigentlichen Avantgarde im Dreibuchstabenland.

"Dass ich mit diesen Bildern nie das Haus verlassen durfte, das war damals klar. Das war eigentlich ein Handicap. Und ich habe doch viel Zeit damit vertan, für eine Sache, wo mir in den End-80er-Jahren klar war, dass ich das mal vernichten muss. Denn das hätte argen Verdruss gegeben. Das wäre Verleumdung der DDR gewesen. Und das wurde heftig bestraft."

Hans Ticha, Künstler

Die "Erfurter Ateliergemeinschaft"

Alfred T. Mörstedt, König und Königin, 1969

Auch im thüringischen Erfurt lebten und arbeiteten wichtige avantgardistische Künstler. Rolf Dieß zum Beispiel, geboren 1925 oder Alfred Traugott Mörstedt, ebenfalls 1925 geboren. Beide studierten in Weimar und wurden wie einige prägende Lehrer als Formalisten verteufelt. Die Partei, die für sich proklamierte, immer im Recht zu sein, dämonisierte die künstlerische Freiheit zu einer politischen Bedrohung. Die Avantgarde wurde abgelehnt, aus dem öffentlichen Leben verbannt. In einer Dachgeschosswohnung, dem alten Atelier von Rolf Dieß, entstand – nach der Übersiedelung von Dieß in die Bundesrepublik – eine Gegenwelt. Die "Erfurter Ateliergemeinschaft", ein Zusammenschluss von Künstlern und Sammlern, organisierte von 1963 an Ausstellungen mit moderner, avantgardistischer Kunst.

"Die 'Ateliergemeinschaft' hat bis 1974 agiert. Das war auf jeden Fall eine Gegenwelt. Das Ganze war nicht ganz ungefährlich, und es ist ein Phänomen, warum hier in Erfurt zehn Jahre lang eine Parallelkunstwelt entstehen durfte. Eine Parallelkunstwelt, die sich auch Künstler ins Boot geholt hat, die die DDR verlassen hatten, die in Untersuchungshaft gesessen hatten. Künstler wie Rolf Dieß, der die DDR 1960 verlassen hatte und sich 1964 in Darmstadt das Leben genommen hat. Und sofort veranstaltet die 'Erfurter Ateliergemeinschaft' eine Gedächtnisausstellung. Das war ein Statement. Diese Sehnsucht der Künstler, an die internationale Welt anzuknüpfen und immer wieder zu betonen: Nein, mit uns nicht. Dieses bürgerliche Selbstbewusstsein. Wir akzeptieren, was hier passiert. Wir sind keine Widerstandskämpfer. Aber wir korrigieren etwas."

Cornelia Nowak, Kuratorin am Angermuseum Erfurt

Die Kunst der DDR? Mehr als sozialistischer Realismus

"Achtung" von Gerhard Altenbourg

Für die großen Museen, nicht nur im Osten Deutschlands, ist die Auseinandersetzung mit dieser anderen Kunst, eine wichtige und vor allem lohnende Vermittlungsaufgabe. Allzu oft wird die Kunst der DDR mit dem sozialistischen Realismus und seinen Malerfürsten gleichgesetzt, dazu kommt die alte Leipziger Schule. Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke. Drei Künstler, die auch der Kölner Großsammler Peter Ludwig schätzte und kaufte. Schließlich der im Sommer 1980 in die Bundesrepublik übersiedelte A.R. Penck. Eine grobe Verengung, eine große Unschärfe. Kleinere Häuser widmen sich längst den Avantgarden: eine Stiftung auf der Thüringer Heidecksburg pflegt den Nachlass von Alfred Traugott Mörstedt. Das Erfurter Angermuseum präsentierte im Sommer in einer Sonderausstellung eine Privatsammlung mit Werken der deutsch-deutschen Nachkriegsmoderne: Bilder etwa von Ernst Wilhelm Nay, ebenso von Gerhard Altenbourg, einem der bekanntesten unangepassten Künstler in der DDR.


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