Bayern 2 - Kulturjournal


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America the beautiful? Christoph Bartmann zur anstehenden Präsidenten-Wahl

Am 8. November wird Hillary Clinton oder Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt. Martina Boette-Sonner spricht im Kulturjournal mit Christoph Bartmann, der bis Ende Oktober das New Yorker Goetheinstitut leitete, über die Wahl und die US-amerikanische Gesellschaft.

Stand: 05.11.2016

Christoph Bartmann | Bild: C. Hassiepen

"Ich könnte auf der 5th Avenue stehen und jemanden erschießen und würde trotzdem keine Wähler verlieren", verkündet Trump am 24. Januar 2016 selbstbewusst. Und nach all seinen Hasstiraden, seinen demokratie-, fremden- und frauenfeindlichen Invektiven ist zu fürchten, dass er recht behält. Er kann sich scheinbar alles leisten, während der Vorsprung von Hillary Clinton seit dem neuesten Akt der E-Mail-Affäre zu schrumpfen scheint. Woran liegt das? Was für Verwerfungen sind in den letzten Jahren in den USA passiert, dass es zu dieser Schlammschlacht von Wahlkampf kommen konnte?

Daten und Fakten zählen nicht

"Der traurige Witz ist, dass es gar keine neuen Verwerfungen gibt, die einen Sieg von Donald Trump rechtfertigen könnten. Es gab natürlich die große Finanzkrise von 2008, doch eigentlich sind die Wirtschaftsdaten günstiger als vor acht Jahren als Obama angetreten ist."

Christoph Bartmann im Kulturjournal-Gespräch mit Martina Boette-Sonner

Es ist also gar nichts so Gravierendes passiert auf der Ebene der Daten und Fakten, aber Daten und Fakten zählen eigenartigerweise im Moment nicht mehr Das Furchtbare ist für Christoph Bartmann, dass Donald Trump eine selbsterfüllende Prophezeiung macht, dass die Stimmung im Lande schlecht ist und die Menschen sich entwurzelt und entkräftet fühlen weil angeblich die Arbeitsplätze nach China verschwinden. Letzteres aber sei durch keine Zahlen gestützt.

Trump, ein böser Clown

Dass ein böser Clown wie Trump einen derartigen Erfolg hat, führt der Germanist und Historiker auf die Schwäche von Hillary Clinton zurück. Bernie Sanders, der eine große Fangemeinde von jungen Wählern begeistert hat, aber sich nicht gegen das demokratische Establishment durchsetzen konnte, hätte wohl jetzt bessere Chancen, die Wahl zu gewinnen als Hillary Clinton, meint Christoph Bartmann. Sie sei zwar sicher eine ausgezeichnete Politikerin und hoch professionell, aber auf ihr laste zum einen der Schatten ihres Mannes Bill und ihre engen Verbindungen zu den Wallstreet-Bankern.

"Viele Amerikaner glauben der Frau nicht. Sie vollführt diesen merkwürdigen Spagat aus sozial progressiv plus Freundin des Bankgewerbes und das ist insgesamt nicht glaubwürdig."

Christoph Bartmann im Kulturjournal-Gespräch mit Martina Boette-Sonner

Die großen Versprechen

Interessant an diesem Wahlkampf ist, dass man Hillary Clinton nicht abnimmt, dass sie sich in der Nachfolge Obamas für Krankenversicherung und Sozialleistungen stark macht, aber gleichzeitig den diffusen und oft konfusen Versprechungen Donald Trump Glauben schenkt, als ginge es hier um den New Deal, also um einen wirklich großen Gesellschaftsvertrag für alle Schichten der Bevölkerung. Er greift die Vorherrschaft von Silicon Valley an und verspricht die Rückkehr der schmutzigen Arbeitsplätze - von Kohle und Stahl - insbesondere im sogenannten Rostgürtel um Ohio und West Virginia. Alles, ohne seine Ideen offenzulegen, wie er diese industriellen Kernberufe konkret retten will.

Christoph Bartmann und die Arbeitswelt der USA

Nach Jahren in München, Prag und Kopenhagen leitet der studierte Germanist und Historiker ab 2011 das Goetheinstitut New York. Seit 1. November 2016 ist er Direktor am Goetheinstitut Warschau. Christoph Bartmann hat seinen langen Aufenthalt in den USA auch immer dazu genutzt, gefährliche Tendenzen unserer Arbeitswelt, die in den USA meist früher und ausgeprägter zu Tage treten als hier, zu analysieren und rechtzeitig Alternativen zu entwerfen.

In seinem Buch „Leben im Büro“, hat Bartmann die Welt der Angestellten analysiert, eine Welt, die sich den Vorgaben des Prozess-Managements unterworfen hat. Zeigt er darin, wie Zielvorgaben, ständige Meatings und andauernder Optimierungswahn unsere Effektivität wie Kreativität eindämmen und zuweilen gar krank machen, so nimmt er in seinem neuen Buch die andere Seite der Medaille in den Blick: die prekäre Arbeitswelt all unserer Dienstleister, die uns Dauergestressten den Rücken frei halten.

Die Rückkehr der Diener

"Die Rückkehr der Diener" handelt von dem neuen Bürgertum und seinem Personal, den meist dürftig bezahlten Kindermädchen, KöchInnen, Zugehfrauen, Au Pairs,  AltenpflegerInnen, EinkäuferInnen und Pakteboten, die meist einen Migrationshintergrund haben. Ausgangspunkt seiner Untersuchung ist die immens anwachsende Schar der Domestic Worker in New York, an die sich Bartmann nur schwer gewöhnen konnte – anfangs ist ihm das regelrecht „obszön“ vorgekommen.
"Anfangs fanden wir die Vielfalt des hiesigen Serviceangebots irritierend, ja beinahe obszön. Es fühlt sich nicht gut an, wenn einem permanent von Serviceleuten, zudem mit Migrationshintergrund, geholfen und assistiert wird, und das bei Verrichtungen, die man gut auch selbst erledigen könnte. Wir würden uns lieber mehr selbst helfen. Wir sind auch kulturell ungeübt darin, laufend käufliche Dienste in Anspruch zu nehmen."

Christoph Bartmann: Die Rückkehr der Diener. Das neue Bürgertum und sein Personal. Carl Hanser Verlag, 288 Seiten, 22 Euro

Kulturjournal

Martina Boette-Sonner spricht im Kulturjournal mit Christoph Bartmann. Sonntag, 6. November, 18:05 Uhr auf Bayern 2.


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