Bayern 2 - Hörspiel


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Elfriede Jelinek: Neid Im Nebenbei spielt die Musik

Stand: 07.09.2011 | Archiv

"Wenn alle etwas lesen können, dann kann es eben auch keiner." Sagt Elfriede Jelinek wie nebenbei im Gespräch mit einem Journalisten der FAZ über ihren Privatroman Neid. Und wenn Elfriede Jelinek etwas wie nebenbei sagt, dann wissen wir, dass wir gut daran tun, genau aufzupassen. Denn im Nebenbei spielt die Musik. Im zitierten Fall mag dies bedeuten: Nach dem wirtschaftliche Freiheit gewährenden Nobelpreis nimmt sich die Autorin die künstlerische Freiheit, ihr Schreiben über einen nicht-ökonomischen Vertriebsweg unter die Leute zu bringen. Doch was nichts kostet, ist ja auch bekanntlich nichts wert: Also können die gut neunhundert Seiten Text – sechshunderttausend Aufrufe der Jelinek-Internetseiten hin oder her – auch ungelesen, unrezipiert durchs Netz gondeln. Um dort Teil zu werden, teilzuhaben an einer digitalen Müllhalde des ungenutzten Menschheitswissens. Ein Verschwindetrick, von dem ein Arno Schmidt oder Thomas Bernhard nur träumten. Doch die Autorin vertraut nicht allein darauf, dass ein entblößter Text/Körper in einem Medium voller Pornoseiten unbemerkt bleiben kann: Sie häuft in Neid zur Vorsicht auch noch einmal alle Themen auf, die man kennt oder erwartet: Geschlechterkampf, Reflexion über das Erzählen, Tourismus, Sport, Naturkatastrophen, kleine Städte, große Städte, Medienschelte, Musik, Jugendwahn, Gedenkkultur. Und ein, zwei Morde. Aber hinter den Worthalden wird für den aufmerksamen Leser oder Hörer, schließlich das Wort ‚privat’ in Privatroman erfahrbar – widerwillig fast schält sich ein Berichten über eigene Schuld aus den ganzen Ablenkungsmanövern, eine Lebensbeichte.

Karl Bruckmaier


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