Bayern 2

     

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Bayern genießen Ruhe(n) - Bayern genießen im November

Vielleicht kommt Ihnen das Thema "Ruhe" seltsam vor. Ausgerechnet im Radio, das, scheints, ausschließlich dazu da ist, durch Geräusche aller Art eventuell eintretende Ruhe zu vertreiben. Doch Ruhe ist keinesfalls mit Stille zu verwechseln. Man kann auch sehr geschäftig ruhen. Ja, für manche Geschäfte ist Ruhe sogar eine unabdingbare Voraussetzung.

Von: Gerald Huber

Stand: 04.11.2022 | Archiv

Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Ruhe(n)"

Oberbayern: Gut ausgeruht. Die älteste Raststätte Deutschlands: Holledau. Von Sarah Khosh-Amoz
Niederbayern: Ruhig Blut. Ein Tag mit dem Donaufischer. Von Uli Scherr
Oberpfalz: Bekömmliche Ruhe. Zeit für Brot. Von Angelika Schüdel
Oberfranken: Die Kraft der Ruhe. Im Hummelbauernzopf aus dem oberfränkischen Hummelgau. Von Anja Bischof
Mittelfranken: Geruhsamer Käse. Affinage in Erlangen. Von Anja Scheifinger
Unterfranken: Fassruhe. Hobbywinzer im Profi-Weinberg. Von Petra Nacke
Schwaben: Geruhsame Nacht. Was den Schlaf fördert. Von Doris Bimmer

Ruhig Blut. Ein Tag mit dem Donaufischer

Fische sind stumm. Abgesehen von platschenden und blubbernden Geräuschen, die ihre Körperbewegungen verursachen, haben sie keine Stimme. Stimme, das Wort war früher einmal eine Bezeichnung für Mund, Maul, Öffnung. Und wer den Mund auftut, der ist nicht mehr stumm. Nun, Fische tun auch den Mund auf - sogar viel regelmäßiger als wir. Aber es kommt nichts dabei heraus - im wörtlichen Sinn. Während unser Mund ein Ein- und ein Ausgang gleichermaßen ist, ist das Fischmaul bloß ein Eingang. Für Nahrung und Wasser, das hinten über die Kiemen den Körper wieder verlässt. Eine Stimme, wie sie Vögeln und Säugetieren eigen ist, kriegen die Fische also schon allein technisch nicht hin. Auch Hören im landläufigen Sinn können Fische nicht. Allerdings: Wellen aller Art, selbstverständlich auch Schallwellen, nehmen sie sehr wohl wahr. Über ihren Körper. Vielleicht besser als wir. Und vielleicht eher als wir sind sie deswegen auch Geräusche aller Art gewohnt. Trotzdem verbinden wir kaum eine andere Tätigkeit eher mit dem Wort Ruhe als das Fischen. Und damit ist nicht bloß der Hobbyangler gemeint, sondern auch der Berufsfischer. Die geschäftige Ruhe auf einer Fischerzille an einem der schönsten Abschnitte der Donau können Sie miterleben. Als Gast auf Lothar Zieglers Zille.

Gut geruht. Holledau: Die älteste Autobahnraststätte Deutschland

Die Wörter Ruhe und Rast, englisch rest hängen untereinander zusammen. Sie gehen auf eine steinzeitliche Wortwurzel re- zurück, die so viel bedeutet wie legen, sich hinlegen, zurücklehnen, eben ruhen. Rasta, ursprünglich ein keltisches Wort, das auch die Römer übernommen haben, konnte aber auch das Gegenteil von Ruhe, Rast bedeuten: Nämlich Wegstrecke. Genauer zwei sogenannte gallische Längen, beziehungsweise eine römische Meile. Rasta ist also eine gewisse Wegstrecke zwischen zwei Rasten. Wenn man so will hat sich das Prinzip an unseren Autobahnen bis heute erhalten. Da gibt es in bestimmten Abständen Rastplätze und Rasthäuser. So wie das Rasthaus Holledau. Die A9 nördlich von München, an der es liegt, ist eine der ältesten Autobahnen Deutschlands; und das Rasthaus Holledau das nachweislich älteste Rasthaus, das immer noch in Betrieb ist. Am 4. November 1938 ist es eröffnet worden. So wie die alten Römer können sie an der A9 eine Wegstrecke zwischen zwei besonderen Rastplätzen machen: Wenige Kilometer südlich von der Raststätte Holledau, auf einer Anhöhe im Wald bei Ilmmünster steht die wunderbare historische Wallfahrtskirche Herrnrast. Die heißt so nach dem Wallfahrtsbild, einem sogenannten Christus in der Rast, wie er von dem großen Landshuter Bildhauer Hans Leinberger um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert in der spätmittelalterlichen Kunst etabliert wurde. Herrnrast - ein kleiner Ausflug von der Autobahn. Und wunderbar die Füße vertreten kann man sich auch auf den Wanderwegen rundum im Wald.

Bekömmliche Ruhe. Zeit für Brot

Bäckerei Steinleitner Niederwinkling

Nicht nur Lebewesen müssen ruhen - zuweilen auch Sachen. Teige zum Beispiel. Jeder weiß, dass Hefeteig eine gewisse Zeit der Ruhe braucht, damit er - es klingt nur scheinbar paradox - gehen kann. Vorzugsweise in der Wärme - meint man. Denn Teige können auch in der Kühle ruhen. Tatsächlich hängt das englische to chill, das soviel bedeutet wie, sich entspannen, ruhen, mit der Kühle zusammen. Nicht umsonst schreibt man chill mit ch: chill. Beide Begriffe wiederum sind verwandt mit den lateinischen Wörtern tranquillus=ruhig und quies=Ruhe, in denen die gleiche chi-, qui-Wurzel steckt. Und es ist ja auch klar. Wer sich durch Anstrengung unterwegs erhitzt hat, der rastet, um sich abzukühlen. Und vielleicht gerade deswegen, weil sich ein Bäcker bekanntermaßen in der Früh nicht lang ausruhen darf, spielt die Ruhe rund um unser vielleicht wichtigstes Nahrungsmittel eine große Rolle. Zum Beispiel in der Traditionsbäckerei Steinleitner in Niederwinkling bei Straubing.

Kraft der Ruhe. Im Hummelbauernzopf aus dem oberfränkischen Gesees

Hummelbauernzopf

Requiescant in pace! Ruhet in Frieden! Ein häufiger Wunsch an die Toten, gerade an Allerheiligen, überhaupt im November. Da steckt wieder die kühle, chillige quies, die Ruhe drin und das davon abgeleitete tranquillus=ruhig, dessen erster Wortbestandteil tran beziehungsweise trans soviel bedeutet wie durch und durch. Im zweiten Teil –quillus wiederum steckt nicht nur die Kühle drin, sondern auch – Überraschung! – die Weile. Wer ruht, rastet, der kühlt ab, weil er sich derweil wörtlich von der Weile, der Zeit nimmt, damit er sich wieder erholt. Eile mit Weile ist nur ein scheinbarer Widerspruch, denn in der Ruhe liegt die Kraft. Ganz besonders gilt das auch für das Allerseelen-Traditionsgebäck im oberfränkischen Hummelgau im Landkreis Bayreuth, den Hummelbauernzopf. Hier ein feines Rezept für diese uralte oberfränkische Spezialität.

Geruhsamer Käs. Affinage in Erlangen

Fassen wir zusammen, was wir in der vergangenen guten halben Stunde herausgearbeitet haben: Ruhe und Rast, das Chillen und die Kühle, aber auch die Weile hängen miteinander zusammen. Alles Sachen, die in der westlichen Moderne keinen rechten Platz mehr zu haben scheinen: Wer rastet, der rostet heißts, das Chillen und die Coolness gehören zur jugendlichen Gegenkultur aber nur solang bis man halbwegs erwachsen ist und kein Derweil mehr kennt. Keine Zeit zu haben ist geradezu ein Kennzeichen unserer Zeit. Selbst gegessen wird mit Hast, einem Wort, das sich völlig zu Unrecht auf Rast reimt. Alles ist getaktet durch die allgegenwärtige Uhr und ihr Herz, das verdächtigerweise Unruh heißt. Aber erst allmählich dämmert es einigen, dass Gut Ding Weile braucht. Ruhe ist mitnichten Untätigkeit. Auch wer oder was ruht, tut was. Im Zweifel: Reifen! Zum Beispiel der Käse von Volker Waltmann aus Erlangen.

Fassruhe. Hobbywinzer im Profi-Weinberg

Winzer Langer erklärt, wie der Wein sich entwickelt

Obwohl Zeit zu haben in unserer Kultur fast verdächtig ist - Zeit, Ruhe zu haben ist der große Wunschtraum geworden, der für viele mittlerweile nur noch mit Hilfe von Surrogaten wahr werden kann: Am augenfälligsten bei unzähligen Kochshows im Fernsehen: Dort erfüllen sich die kulinarischen Wünsche derjenigen, die keine Zeit mehr zum Kochen zu haben glauben und dazu vorm Fernseher die Fertigpizza verzehren. Apropos Verzehren. Früher konnte man sich auch selbst nach etwas verzehren. Allerdings hat die Selbst- und Sofortbefriedigung jeglichen Bedürfnisses in unseren Sofort-zum-Mitnehmen-Zeiten bei vielen das jenes ungeduldige Sehnen abgeschafft; ein Gefühl, das man früher einmal Vorfreude genannt hat und das frühere Generationen die schönste Freude genannt haben. Aber es gibt eine Gegenbewegung. Immer mehr Leute nehmen sich Zeit und möchten wissen, wie zum Beispiel das, was sie essen oder trinken eigentlich gemacht wird. Kurse über die Herstellung von Lebensmitteln boomen schon seit längerem: Brotbacken, Grillwürste oder Käse herstellen, alles unter Anleitung eines Fachmanns oder einer Fachfrau. Auch das eigene Bier zu brauen, kann man vielerorts vom Profi lernen. Und für Weinfreunde gibt es in Franken seit einigen Jahren ebenfalls die Möglichkeit, sich mit viel Zeit und vollem Körpereinsatz an der Herstellung ihres eigenen Weins zu beteiligen. Vom ersten zarten Grün bis hin zur reifen Traube sind die Kursteilnehmer beim "Erlebnis Weinberg" dabei und lernen über Monate hinweg alle Arbeiten, die es braucht, um einen guten Wein zu machen. Womit der Hobbywinzer ebenso wie der Profi selbst zur Ruhe verurteilt ist. Ach, was heißt verurteilt: Das mehr oder weniger untätige Warten, während der Wein seiner Genießbarkeit entgegenruht ist ja die Voraussetzung der Vorfreude.

Ausgeruht. Was den Schlaf fördert

Testszenario in der Schallkammer

Weil, wie wir festgestellt haben, die Ruhe aufs Engste mit der Weile verwoben ist und Rastlosigkeit mit der Unruhe einhergeht, ist es in sperrstundenlosen Zeiten wie den unseren selbst um die Nachtruhe schlecht bestellt. Freilich schlafen müssen wir alle. Irgendwie. Tatsache ist: Wir tuns immer weniger. Shakespeare lässt seinen Julius Cäsar sagen: Lasst wohlbeleibte Männer um mich sein, mit glatten Köpfen und die nachts gut schlafen. Mittlerweile wissen wir, dass die allgegenwärtige Fettleibigkeit nicht bloß daher rührt, dass sich die Leute immer weniger Zeit zum Kochen nehmen und stattdessen Junkfood in sich hineinstopfen, nein! Auch zu wenig Schlaf macht dick. Und weil man heutzutage wohlbeleibte Männer und Frauen - egal ob es sich um allzurundliche Kinder handelt oder über alle Maßen ausgewachsene Politikerinnen - also weil man niemanden mehr dick nennen soll, wenn man nicht des sogenannten Bodyshamings bezichtigt werden will, deshalb sagen wir halt künftig, dass so einer vielleicht einfach zu wenig Schlaf derwischt. Aber unbestritten ist: Auch dagegen kann und sollte man was tun. Und so ist eine 2019 an der Hochschule Kempten geborene Idee innerhalb weniger Jahre zur Grundlage eines veritablen Unternehmens geworden.

Zum Schluss

Kurt Tucholsky definiert den Menschen so: Ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen lässt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot. Dem guten Tucholsky würde heute schnell eine Passe-partout-Spießer-Maske a la "Kunstbanause" oder "Hundehasser" übergestülpt oder sein Verhalten würd gleich als "krankhaft" denunziert, soziophob, zoophob, xenophob, heterophob und was es dergleichen Phobien mehr geben soll. Allein das Überhandnehmen solcher Bezeichnungen charakterisiere ich bereits als Störung meiner ganz persönlichen Ruhe. Ruhestörung ist en Vogue. Jeder muss mittlerweile akustische, optische, aktivistische - unter letzterem Deckmantel zunehmend auch kriminelle - Grenzüberschreitungen seiner Mitbürger hinnehmen, ohne zeigen zu dürfen, dass und wie ihn das aus der Ruhe bringt. Wers trotzdem tut, wird gern einmal als "dünnhäutig" bezeichnet. Dabei sind die Leute vielleicht gar nicht dünnhäutiger geworden, sondern unhöflicher. Höflichkeit war früher einmal die Kunst, die Geduld seines Mitmenschen möglichst wenig zu strapazieren. Diese Form von Höflichkeit kann man mit Fug und Recht als abgeschafft betrachten. Wen das stört, der muss sich vielleicht selbst einmal trauen lauter zu werden, öfter mal ein Ausrufezeichen zu benutzen und schaun, was dann passiert. Ruhe! oder A Ruah is!


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