Bayern 2

     

radioTexte am Feiertag Navid Kermani: Ungläubiges Staunen

Freitag, 29.03.2024
14:30 bis 15:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

"Als Jugendlicher träumte ich öfters, Jesus erscheine heute, hier in Köln..." Der Schriftsteller, Publizist und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels ergründet mit Bildern das Christentum. Lesung mit Thomas Loibl.

"Gesetzt, du kenntest den Titel des Bildes nicht, erkenntest nicht einmal das Paar, hieltest deshalb auch den Heiligenschein für eine verdeckte Sonne, der in der angedeuteten Form eines Kreuzes Christi Kopf rahmt, sähst nur einen Mann und eine Frau, beide sehr jung und die Frau noch etwas jünger, aber auch der Mann erst Anfang oder allenfalls Mitte zwanzig, die Stirnen faltenlos, die Wangen rosig, die Lippen samtweich wie bei Kindern und sinnlich gewölbt, das Altern lediglich in der Einwölbung unterhalb der Augen angedeutet - was glaubtest du zu sehen?"

Die Auseinandersetzung mit Religion, Mystik und Transzendenz spielt eine große Rolle im Werk von Navid Kermani. Das zeigt sich in seinem frühen Buch "Gott ist schön", einer Studie über das ästhetische Erleben des Koran. Das zeigt sich ebenso in seinem "Buch der von Neil Young Getöteten", in dem Kermani die Musik des großartigen, bisweilen lauten Gitarristen in eine Beziehung zum Sufismus setzt. Und auch der große Band "Ungläubiges Staunen" - einer Reihe von Betrachtungen über das Christentum - gehört in diesen Reigen.

Navid Kermani - Schriftsteller, Orientalist und Publizist, 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet - hat sich für dieses Buch einen besonderen Zugang gewählt. Er nimmt die Werke der christlichen Kunst, zum Beispiel El Grecos "Abschied Christi von seiner Mutter", um mit diesen schreibend zu meditieren, über Fragen des Glaubens und der Theologie. Es ist dabei ein spannender, intensiver Dialog zwischen Kunst und Religion entstanden. Die Bilder - von Caravaggio, Rembrandt, Veronese und vielen anderen - eröffnen so viele Perspektiven und Gedanken.

Bewegend dabei ist immer auch ein besonderer Blick des Kölner Schriftstellers, der als Kind iranischer Einwanderer in Deutschland aufwuchs und von der islamischen Kultur geprägt wurde. Das Zwiegespräch mit den Werken der Alten Meister ist immer wieder auch ein Gespräch über die Grenzen der großen Religionen hinweg, im Geiste der Ringparabel Lessings. Gleichzeitig erfahren wir mit Navid Kermani, wie lohnend es sein kann, die Bilder genau in den Blick zu nehmen, kleinste Details zu ergründen. Es ist lohnend, zu staunen.

Navid Kermanis Buch "Ungläubiges Staunen. Über das Christentum" ist im Verlang C.H. Beck erschienen. Der Schauspieler Thomas Loibl hat in einer Produktion des Bayerischen Rundfunks aus den Bild- und Religionserkundungen gelesen. Mit freundlicher Erlaubnis des Verlages dürfen wir diese Ausgabe der radioTexte auch im Bayern 2-Podcast Lesungen in der ARD Audiothek anbieten. Redaktion: Niels Beintker