Bayern 2

     

radioTexte am Donnerstag Julian Barnes: Elizabeth Finch (5/7)

Schriftsteller Julian Barnes | Bild: picture-alliance/dpa

Donnerstag, 17.11.2022
21:05 bis 22:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

Dass Rock mit Kellerfalte und rigoroser Spaß sich nicht ausschließen, lernt der gescheiterte Pilzezüchter Neil im Abendstudium: Elizabeth Finch, die Dozentin, wird seine zweite Lebenshälfte entscheidend verändern - nicht nur seinen Blick auf Geschichte, Philosophie und Literatur. Neil lernt auch, anders zu lieben.
Lesung mit Frank Arnold
Redaktion und Moderation: Kirsten Böttcher

"Monotheismus", sagte Elizabeth Finch. "Monomanie. Monogamie. Monotonie. Was so anfängt, kann nichts Gutes sein." (Julian Barnes, Elizabeth Finch)

Als Neil im Abendstudium eine Vorlesung zu "Kultur und Zivilisation" besucht, weiß er, dass er zum ersten Mal im Leben am richtigen Ort angekommen ist. Für ihn, den gescheiterten Schauspieler und "König der unvollendeten Projekte", wie seine Kinder den sprunghaften Vater necken, war die elegante Lehrerin im stilvollen Vintage-Look, die mit perfekter Rhetorik und "rigorosem Spaß" unterrichtet, Hafen und Offenbarung zugleich. Als Elizabeth Finch stirbt, erbt er ihre Bibliothek und Notizbücher und stürzt sich in ein Studium über Julian Apostata, den letzten heidnischen Kaiser des Römischen Reichs, der im 4. Jahrhundert das Christentum zurückdrängen wollte. Den Gedankenspuren seiner bewunderten Lehrerin folgend, stellt ihr ehemaliger Student Geschichtsschreibung und Monotheismus in Frage. Wie anders, so überlegt Neil, hätte beispielsweise die Welt aussehen können, wäre Apostata nicht mit 31 Jahren gestorben. "Man stelle sich die letzten fünfzehn Jahrhunderte ohne Religionskriege vor", so Neil.
Julian Barnes' 25. Roman ist nicht nur eine sanfte Liebesgeschichte, sondern auch eine Hommage an Menschen, die nicht nach dem darwinistischen Prinzip "Survival of the Fittest" funktionieren, die sich merkwürdig außerhalb von Zeit und Zeitgeist positionieren, die wagen, sich "ernsthaft", gemäß den Ansprüchen von Miss Finch, mit Geschichte, Philosophie und sich selbst auseinanderzusetzen.

"Warum sollten wir glauben, dass unser kollektives Gedächtnis - das wir Geschichte nennen - weniger fehlbar ist als unser persönliches Gedächtnis?" (Elizabeth Finch, Julian Barnes)

Julian Barnes, geboren 1946 in Leicester, hat 2011 für seinen Roman "Vom Ende einer Geschichte" den Man Booker Prize erhalten und war zuvor bereits dreimal nominiert. Unter dem Pseudonym Dan Kavanagh hat der britische Schriftsteller auch Krimis geschrieben. Beide Eltern waren Französischlehrer und haben ihren Sohn Julian mit ihrer Frankophilie angesteckt. Barnes lebt in London.

Lesung mit Frank Arnold
Regie: Antonio Pellegrino
Redaktion und Moderation: Kirsten Böttcher

"Elizabeth Finch" von Julian Barnes erscheint als ungekürzte Lesung am 3. November im Argon Verlag, koproduziert von den radioTexten; das Buch, übersetzt von Gertraude Krueger, bei Kiepenheuer & Witsch.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags können wir die Sendungen in unserem Bayern 2-Podcast "Lesungen“ jeweils 7 Tage anbieten.