Bayern 2

     

radioTexte - Das offene Buch Emine Sevgi Özdamar: Die Magie des Erinnerns

Özdamar | Bild: picture-alliance/dpa

Sonntag, 14.11.2021
12:30 bis 13:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

"Ein von Schatten begrenzter Raum" nennt die türkisch-deutsche Schauspielerin und Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar ihren autobiographisch grundierten Roman, mit dem sie nun den Bayerischen Buchpreis gewann. Lesung: Sibylle Canonica.
Cornelia Zetzsche im Gespräch mit der Autorin.

Lange bevor "Diversität" auch in der Literatur zum brennenden Thema wurde, setzte die Schauspielerin, Regisseurin und Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar literarische Maßstäbe, mit Stücken wie "Karagöz in Alemania" oder Romanen wie "Die Brücke vom Goldenen Horn". Nun schreibt sie ihre Lebensgeschichte als Roman fort und erzählt auf 760 Seiten von einem Leben zwischen Theater und Politik, Istanbul, Berlin und Paris, zwischen dem Terror des türkischen Militärs nach dem Putsch 1971 und der Freiheit in Europas Bohème.

In Furcht vor Verhaftungen, noch vor dem großen Töten während der Militärdiktatur, folgt die namenlose Ich-Erzählerin ihrer Bewunderung für Brecht, geht an die Ostberliner Volksbühne, arbeitet mit Brechtschüler Benno Besson und später - am Theater und im Film - mit anderen namhaften Regisseuren und Regisseurinnen wie Ruth Berghaus und Doris Dörrie. Dass sie in einem Stück von Thomas Brasch ungeplant als türkische Putzfrau auftritt, spricht Bände: Eine Ausländerin als Ophelia ist nicht vorgesehen, erklärt sie am Telefon ihrer Mutter in Istanbul.

Emine Sevgi Özdamar zeigt wehmütig, auch komisch, aber nicht anklagend: "Ausländer machen Einheimische zu Pförtnern", die entscheiden, "ob ein Fremder durch das Drehkreuz gehen darf". Lange bleibt die Erzählerin "Schwarzarbeiterin" in Berlin und Paris. "Ich lebe in Benno Besson", "ich lebe im Chanson von Edith Piaf", "ich lebe in der Nadel", schreibt sie, entwirft Zeichnungen und näht Figuren für Bessons Inszenierungen. Ihre endlose Wohnungssuche als Zeichen ihrer existentiellen Heimatlosigkeit, ist eine der wiederkehrenden Chiffren in diesem opulenten Textgemälde aus Stimmen, Bildern, Klängen, Farben, in dem Tiere und Dinge sprechen und Berlin als "Draculas Grabmal" erscheint, grau, kriegsinvalide und voller Einschusslöcher. Ein bezaubernder Künstlerinnenroman voller Melancholie, über die Grausamkeiten gegen Völker in der Türkei und über die Künstlerszene im Europa der 70er Jahre als "Pause in der Hölle".

Lesung: Sibylle Canonica
Im Gespräch: Emine Sevgi Özdamar
Moderation und Redaktion: Cornelia Zetzsche

Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlags können wir die Sendung bis 13. Mai 2022 als kostenlosen Podcast anbieten.