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Illegale Siedlungen Mondscheinhäuser – gebaut in wenigen Tagen

Das Gebiet westlich von München und das Dachauer Hinterland wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg besiedelt. Mit sogenannten Mondscheinhäusern, die in wenigen Tagen gebaut wurden. Schwarzbauten, die teilweise erst sehr viel später legalisiert wurden.

Von: Chris Baumann

Stand: 23.03.2021 | Archiv

Ein Fachmann für die Nachkriegsbebauung ist Horst Pajung. Seit über zehn Jahren beschäftigt sich der 67-jährige Rentner in seiner Freizeit bei der Geschichtswerkstatt des Landkreises Dachau mit der Ortsgeschichte von Karlsfeld. Hier sind viele Ortsteile durch die Besiedelung nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Mit Mondscheinhäusern – die so heißen, weil sie in kürzester Zeit gebaut wurden, sagt Pajung.

"Das Ziel war immer, am Ende der Bauzeit – in der Regel waren das in etwa vier Tage – eingezogen zu sein und einen Ofen, eine Feuerstelle in Betrieb genommen zu haben. Damit musste man natürlich auch nachts arbeiten. So ist dann dieser Begriff Mondscheinhäuser oder Mondscheinsiedlung entstanden."

Horst Pajung, Diplom-Ingenieur

Oster- und Pfingsthäuser – über die Feiertage schnell gebaut

Bevorzugt wurden das verlängerte Pfingstwochenende oder auch das Osterwochenende genutzt. Deshalb kennt man diese Häuser in den weiter westlich gelegenen Orten Bergkirchen und Lauterbach auch als Oster- bzw. Pfingsthäuser. Über die Feiertage bauen, das war ein einfacher Trick, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Um sesshaft zu werden, ohne dass die Gemeinde etwas mitbekommt.

Dass so viele Menschen ein neues Zuhause gesucht haben, lag daran, dass nach dem Zweiten Weltkrieg in dieser Gegend viele Menschen gelebt haben.

"Während des Krieges und am Kriegsende gab es die großen Industriebetriebe in Allach, Feldmoching und Ludwigsfeld. Die hatten sehr viele Beschäftigte. Das waren während des Krieges in erster Linie Zwangsarbeiter, Fremdarbeiter, KZ-Häftlinge. Die wurden dann in so Baracken untergebracht und auf diese Art und Weise sind große Lagerkomplexe entstanden, in unmittelbarer Umgebung der Gemeinde Karlsfeld."

Horst Pajung, Diplom-Ingenieur

Frühere Zwangsarbeiter wollten raus aus den beengten Lagern

Auf seinem Computer hat Horst Pajung eine Karte dieser Gebiete. Zu sehen sind die BMW-Wohnsiedlung südlich von Karlsfeld, das Wohnlager Karlsfeld, das Würmlager. Für Krauss Maffei waren noch drei weitere Lager angelegt worden. Außerdem sei das KZ Dachau nach dem Krieg ebenfalls zu einem Wohnlager umgebaut worden, so Pajung. Die Zwangsarbeiter haben nach der Befreiung, weil sonst keine Wohnmöglichkeiten bestanden, vorerst zum Teil weiterhin in den Lagern gelebt. Um 1950 haben in der Umgebung von Karlsfeld statt früher 1.500 Menschen dann bis zu 10.000 Menschen gelebt. Die Wirtschaft lief langsam wieder an und die Bewohner wollten raus aus der spartanischen und beengenden Wohnsituation. Land, auf dem gebaut werden konnte, gab es genügend – nur sollte es günstig sein. Je weiter vom Ortszentrum und dem Bahnhof entfernt, umso billiger war der Baugrund.

"Man hat etwa 400 D-Mark für so ein Grundstück bezahlt. Zum Vergleich vielleicht: Das durchschnittliche Monatsgehalt lag bei etwa 200 D-Mark. Also so ein Grundstück war wirklich billig, aber man muss natürlich auch sagen, dass es absolut nicht erschlossen war. Es gab kein Wasser, keinen Strom, keine Kanalisation, es gab keine Zufahrtsstraßen, gar nichts. Also man musste wirklich ganz von vorne anfangen, wenn man dort bauen wollte."

Horst Pajung, Diplom-Ingenieur

Baugruben – mit der Hand ausgehoben

Das war damals beschwerlich und kräfteraubend. Bagger – gab es nicht. Betonmischer – gab es nicht. Bohrmaschine – gab es nicht. Horst Pajung hat Fotos aus dieser Zeit.

"In der Regel wurde die Baugrube auch noch mit der Hand ausgehoben, um sich teure Geräte zu sparen. Der Mörtel wurde von Hand angemischt, die gesamte Verwandtschaft hat mitgeholfen. Man sieht auf dem Foto, dass die Frau die Schubkarre verfüllt hat, der Mann musste mit der hölzernen Schubkarre dann über die Baustelle fahren. Also das war schon alles eine sehr mühsame Angelegenheit."

Horst Pajung, Diplom-Ingenieur

Die Frau mit Schaufel auf dem Foto trägt einen langen Rock, der Mann ein Sakko, helles Hemd und sogar einen Schlips. Gebaut wurde mit Materialien, die man fand. Sei es ein altes Gebäude, dessen Steine zum neuen Bau verwendet wurden, oder alte Hölzer.

"Wie man auf diesem Bild sieht, hat man hier mit Holzpfählen gearbeitet, die man halt zwischen irgendwelchen Ständern angebracht hat. Das war eine ganz normale Wand aus Holz, die hat man dann später noch verputzt und damit hatte man hier ein Haus mit zwei Räumen, da lebten dann vier Leute drin."

Horst Pajung, Diplom-Ingenieur

Illegale Mondschein-Siedlungen

60 Quadratmeter war da schon das höchste der Gefühle. Die Grundstücke hingegen waren für heutige Verhältnisse richtig groß, mit 1.000 Quadratmetern. Das war aber nicht purer Luxus, die Siedler sollten auf diesen Grundstücken etwas für ihre Selbstversorgung tun. Gemüse anbauen zum Beispiel, oder Hühner halten, so Pajung.

Die Häuser sind in den 1960er Jahren überbaut oder abgerissen worden. Die Grundstücke wurden inzwischen teilweise in drei kleinere geteilt. Die einzelnen Mondscheinhäuser sind relativ schnell zu Siedlungen zusammengewachsen, erzählt Horst Pajung. Alles Schwarzbauten. Die Gemeinde hat das nicht sofort mitbekommen, denn die Siedler haben sich zuerst mit den jeweiligen Landeigentümern, also mit Bauern, zusammengesetzt. Sie habven dann das Land gekauft und die Gemeinde hat es eigentlich erst gemerkt, als die Siedler sich als Einwohner angemeldet und eine Baugenehmigung beantragt haben.

Baugenehmigung erst nachträglich beantragt

In Wahrheit war das Haus zu diesem Zeitpunkt längst gebaut. Um Genehmigung wurde erst nachträglich gebeten. Die Gemeinde musste sich dann also mit dem schon gebauten Haus befassen. Die einfachste Entscheidung wäre es gewesen, die Schwarzbauten abreißen zu lassen.

"Aber die Gemeinde wäre verpflichtet gewesen, einem Obdachlosen eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen, auch für die Kosten aufzukommen. Wenn die Leute ihre Häuser schwarz gebaut haben, dann sind sie eingezogen und haben damit vollendete Tatsachen geschaffen."

Horst Pajung, Diplom-Ingenieur

Letzte Mondschein-Siedlung erst 2018 legalisiert

Weil die Gemeinde keine Möglichkeit hatte, die illegalen Siedler anderweitig unterzubringen, beließ sie es bei einer Geldstrafe in der Hoffnung, dass es sich schon irgendwie regeln werde. Offiziell anerkannt hat die Gemeinde die Siedlungen dadurch aber nicht, zumindest nicht gleich.

"Die Legalisierung seitens der Gemeinde wurde immer davon abhängig gemacht, dass man dort tatsächlich auch eine Infrastruktur zur Verfügung hatte. Das heißt also praktisch, dass eine Wasserleitung da war, später dann auch eine Kanalisation. Dass natürlich auch Strom dorthin gelegt wurde und dass eine Zufahrtsstraße gebaut worden ist."

Horst Pajung, Diplom-Ingenieur

Normalerweise dauerte das ein paar Jahre und war in den 1960ern abgeschlossen, bis auf die Siedlung am Burgfrieden in Karlsfeld. Die gehörte bis 1999, trotz der weit entfernten Lage, zu München und kam dann erst zur Gemeinde Karlsfeld. Diese 20 Häuser am Würmkanal sind erst seit Ende 2018 legalisiert und keine Schwarzbauten mehr.


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