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Lebenslang Lernen Was passiert eigentlich im Gehirn?

Unser Gehirn ist von Geburt an in ständigem Wandel und durch alle Lebensphasen unser Lernbegleiter. Unseren Lernerfolg und unsere kognitive Leistungsfähigkeit haben wir zu einem großen Teil selbst in der Hand.

Von: Laura Geigenberger

Stand: 22.05.2023

Kreidezeichnung eines Gehirn auf einer Schultafel | Bild: colourbox.com

Unser Gehirn ist von Geburt an in ständigem Wandel und durch alle Lebensphasen unser Lernbegleiter. Schon als Babys beginnen wir, die Welt um uns herum zu erforschen und zu begreifen. Dr. Edwin Ullmann, Direktor i.R. am Institut für Sonderpädagogik an der Universität Würzburg weiß: "Das menschliche Gehirn ist ein faszinierendes Organ, das sich besonders durch Lernen ständig verändert und anpasst."

Experte:

Dr. Edwin Ullmann, Akademischer Direktor i.R. am Institut für Sonderpädagogik an der Universität Würzburg, Traumafach- und Lernberater, Coach für Bildungseinrichtungen

Und das unabhängig vom Alter. Ob in der Schule, im neuen Job, beim Studieren einer neuen Sprache oder wenn uns einfach nur ein Thema interessiert – im Alltag bietet sich uns immer und überall die Gelegenheit, neues Wissen zu erwerben und unsere Fähigkeiten ein ganzes Leben lang zu trainieren und zu verbessern.
"Das Gehirn ist eigentlich vergleichbar mit einer lebenslangen Dauerbaustelle: Es wird immer umgebaut, es wird immer wieder neues gebaut – und das kann man nutzen," so Edwin Ullmann. Unseren Lernerfolg und unsere kognitive Leistungsfähigkeit haben wir dabei zu einem großen Teil selbst in der Hand, sagt er: "Es ist ein plastisches Organ und wenn man es einigermaßen pflegt, dann ist es wirklich bis ins hohe Alter sehr leistungsfähig."

Dem Text liegt ein Gespräch mit Dr. Edwin Ullmann zugrunde, Akademischer Direktor i.R. am Institut für Sonderpädagogik an der Universität Würzburg, Traumafach- und Lernberater sowie Coach für Bildungseinrichtungen.

Lernen ist ein Prozess, in dem unsere Verhaltensweisen, Fähigkeiten, Emotionen und Motivation dauerhaft und merklich verändert werden, sobald wir uns mit unserer Umwelt oder einem Lerngegenstand auseinandersetzen. Aus unserer Umgebung nehmen wir – bewusst sowie unbewusst – Informationen auf, filtern, bewerten und verarbeiten sie. Auf unbekannte Reize, die uns interessant erscheinen, reagieren wir mit einem Verhalten und beobachten anschließend, ob und wie es wiederum unser Umfeld beeinflusst. Je nachdem, wie die Konsequenz ausfällt, speichern wir die Verhaltensweise neu ab oder passen bereits verinnerlichte Handlungsmuster entsprechend an. Ein Lernprozess kann dabei durch alles Mögliche ausgelöst werden.

"Wir sind in unserem Leben ständig von Lernvorgängen umgeben, wir lernen also eigentlich überall und allumfassend. Lernen können wir nicht in die Hand nehmen, wir können es nicht hören, wir können es nicht greifen, wir müssen es uns erschließen. Ganz spezifisch gesehen beginnt ein Lernvorgang immer mit der Erregung von Aufmerksamkeit. Das heißt, es müssen die Reize, die eine Information ausstrahlt, so interessant für uns sein, dass wir unsere Aufmerksamkeit darauf fokussieren. Dann können wir über unsere Wahrnehmungskanäle diese Informationen aufnehmen, sie verarbeiten und dann steigen wir ein und gehen in den Lernprozess hinein. Lernen zeigt sich in einem veränderten Verhalten. Das heißt, dass diese Information, die wir uns aneignen, bewirkt, dass wir uns anders verhalten, als wir das vor dieser Information getan hätten."

Dr. Edwin Ullmann

Gelernte Inhalte bleiben "relativ dauerhaft" in unserem Gedächtnis bestehen, sofern wir sie regelmäßig anwenden. Dasselbe gilt für angeeignete Verhaltensweisen – auch sie können verlorengehen, wenn sie nicht mehr abgerufen werden.

Lernpsychologen unterscheiden zwischen vier Grundtheorien, die Hinweise darauf geben, wie wir Wissen erwerben und welche Lernstrategien dafür in der pädagogischen Praxis sinnvoll sein können.

1. Behavioristisches Lernen

Beim behavioristischen Lernen verarbeiten wir Informationen abhängig von Belohnung und Bestrafung. Während also ein Verhalten positiv – etwa durch Lob oder Süßigkeiten als "Preis" – langfristig verstärkt wird, reduziert es sich im Gegenzug durch negative Konsequenzen wie Strafen oder Kritik.

"Das ist eigentlich die einfachste Form des Lernens, die ganz einfache Form der Verhaltensänderung – eine dringend notwendige für uns. Sie umgibt uns ständig. Wir leben in einer Welt, in der wir aufeinander Rücksicht nehmen müssen, weil die Welt sonst kollabieren würde. Das ist klassisches Konditionieren, das wir hiermit verbinden."

Dr. Edwin Ullmann

2. Kognitives und kognitivistisches Lernen

Kognitives und kognitivistisches Lernen sind wichtige Grundlagen für pädagogische Ansätze und Lernumgebungen, denn sie setzen sich mit dem Verständnis, den Einflüssen und der Verarbeitung von Informationen im Gehirn auseinander:
Im kognitiven Lernen geht es vor allem darum, mithilfe der internen Faktoren Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Problemlösung neues Wissen effektiv aufzubauen und neue Fähigkeiten zu erwerben.
Als kognitive Lernende sind wir passive Empfänger von neuen Informationen, die beispielsweise von einem Lehrer vermittelt werden. Wir sollen das Wissen aufnehmen, verarbeiten und speichern, um es zum richtigen Zeitpunkt abrufen und anwenden zu können – ähnlich einem Computer.

"Kognitives Lernen bedeutet so viel wie Lernen durch Einsicht. Also, wir denken über etwas nach und versuchen, durch Problemlösungsstrategien dann das Aufgenommene zu durchdenken und zu einer Lösung zu kommen."

Dr. Edwin Ullmann

Beim kognitivistischen Lernen hingegen erarbeiten wir uns das Wissen aktiv, etwa im Projektunterricht oder in einer Gruppenarbeit. Wir müssen es also selbst interpretieren, verarbeiten und mit bestehendem Wissen verknüpfen, um es anwenden zu können. Wie erfolgreich wir dabei sind, durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst – etwa durch kognitive Unterschiede, individuelle Motivation und Interesse beim Lernen sowie soziale Interaktionen.

"Beim kognitivistische Lernen geht man davon aus, dass wir diese Vollzüge unterscheiden lernen, einordnen lernen, dass wir Analysen durchführen können, dass wir Gemeinsamkeiten herausarbeiten können aber auch Unterschiede. Und dass wir aber auch Klassen bilden können, also, dass wir sagen können, wir nehmen bestimmte Einzelinformationen Einzelerscheinungen, und diese fassen wir zu einer Klasse zusammen."

Dr. Edwin Ullmann

3. Konstruktivistisch/Konstruktion von Wissen

Um neues Verhalten, Wissen und Fähigkeiten selbst zu konstruieren, stützen wir uns auf unsere individuelle Interpretation der Welt, Vorerfahrungen, Kontexte und Zielen. Dabei nehmen wir die zentrale Rolle in unserem Lernprozess ein und sind aktiv an dessen Gestaltung beteiligt.

"Wir dürfen niemals davon ausgehen, dass wir die Welt objektiv wahrnehmen können, sondern wir sind immer auf das angewiesen, was wir aus den Eindrücken, die wir aus der Welt empfangen – mit unseren Sinneskanälen, aber auch mit unserem Wissen, das wir bereits haben – machen. Wir konstruieren uns die Eindrücke aus der Welt, aber natürlich auch mit unserem persönlichen Bezug."

Dr. Edwin Ullmann

4. Neurobiologisch

"Aus neurobiologischer Sicht kann man das Lernen in verschiedenen Bereichen betrachten, wie zum Beispiel der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit oder der Sprache. Es ist auch möglich, die Auswirkungen von Stress und Emotionen auf das Lernen zu untersuchen. Durch neurobiologische Forschung können wir besser verstehen, wie das Gehirn Informationen verarbeitet und wie wir dieses Wissen nutzen können, um effektiver zu lernen und zu lehren."

Dr. Edwin Ullmann

Das menschliche Gehirn besteht aus Milliarden von Nervenzellen (Neuronen), die miteinander vernetzt sind und durch elektrische und chemische Signale kommunizieren. Beim Lernen werden diese Verbindungen zwischen den Neuronen verstärkt oder geschwächt – je nachdem, wie häufig und wie intensiv wir bestimmte Informationen wiederholen bzw. abrufen. Dieser Vorgang wird als "synaptische Plastizität" bezeichnet und ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lernens und Erinnerns.

Das menschliche Gehirn besteht aus 100 Milliarden "Neuronen" – spezialisierte Zellen, welche Informationen in Form von elektrischen Impulsen verarbeiten und weiterleiten können. Jede einzelne von ihnen besitzt tentakelartige Fortsätze, genannt "Axone" und "Dendriten", mit denen sie elektrische Signale aussenden (Axon) und empfangen (Dendrit) können.
Beim Lernen und beim Erinnern aktivieren sich bestimmte Neuronen. Die elektrischen Signale, die dabei durch sie hindurchfließen, werden über die Axone zu den Dendriten anderer Zellen oder zu Muskeln und Drüsen weitergeleitet. Dabei können sich Axone bis zu einem Meter lang erstrecken.
Zudem setzen sie chemische Botenstoffe (Neurotransmitter) frei, mit welchen sie an den Verbindungsstellen (Synapsen) der Zielneuronen andocken, um eine Übertragung des Signals zu ermöglichen. Langfristig entstehen so neue Verbindungswege zwischen den Nervenzellen.

"Man muss sich das so vorstellen, dass sich im Gehirn aus vielen verschlungenen kleinen Pfaden – ich bezeichne das immer als Wanderwege, über die man natürlich auch gut ans Ziel kommt – regelrechte Gehirn-Autobahnen entwickeln können. Synapsen können in einer unglaublich hohen Anzahl gebildet werden – eine einzelne Nervenzelle kann bis zu 15.000 Kontaktstellen aufbauen und ist dadurch ungeheuer großflächig verschaltet."

Dr. Edwin Ullmann

Das Gehirn und die synaptischen Verbindungen sind im konstant im Laufe des Lebens einem konstanten Wandel unterzogen.

In den ersten Lebensjahren bilden sich in großer Zahl neue Synapsen – das Gehirn erlebt einen regelrechten Wachstumsschub. Ein Neugeborenes kommt mit rund 2.500 Synapsen pro Neuron zur Welt. Um die Fähigkeiten des Gehirns rasch zu entwickeln, Informationen aus der Umgebung zu verarbeiten und zu lernen, bildet es innerhalb der ersten Lebensjahre bis zu 15.000 Synapsen pro Neuron aus – das doppelte eines ausgewachsenen Menschen.

Ab dem Teenageralter gehen Tausende synaptische Verknüpfungen jedoch verloren, denn das Gehirn beginnt, nicht benötigte oder selten genutzte Verbindungen nach und nach "auszusortieren. Dafür werden die verbleibenden Nervenbahnen umso trainierter und vielseitiger nutzbar – das Gehirn wird effizienter und spezialisierter.

Je älter ein Mensch wird, desto anstrengender ist es für sein Gehirn, neue Netzwerke zu bilden. Erwachsene müssen deshalb oftmals mehr Zeit und Kraft investieren, um neue Fähigkeiten zu erlernen. Sie haben jedoch auch Vorteile gegenüber Jugendlichen: Zum einen ihre Lebenserfahrung, die ihnen helfen kann, neue Informationen schneller zu verarbeiten und Zusammenhänge zwischen neuem und vorhandenem Wissen schneller zu erkennen. Dazu kommt die sogenannte "Myelinisierung":

"Unsere Nervenbahnen sind mit einer Schutzschicht umgeben. Die muss man sich wie eine Isolationsschicht vorstellen: Dadurch ist der Stromfluss innerhalb unserer Nervenbahnen deutlich schneller. Diese Entwicklung ist tatsächlich erst in unserer allerletzten Entwicklungsstufe, mit Vollendung des 30. Lebensjahres, geschafft. Das heißt, dann sind wir eigentlich erst fertig!"

Dr. Edwin Ullmann

Am Lebensende sinkt neben der körperlichen auch die geistige Leistungsfähigkeit. Wie viele Synapsen im Alter abgeschaltet werden, ist zwar von Person zu Person anders und hängt von der genetischen Veranlagung, Umweltfaktoren und der allgemeinen Gesundheit des Gehirns ab. Studien haben zeigen allerdings, dass ältere Erwachsene einen Verlust von bis zu 30 Prozent der Synapsen im Gehirn im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen erfahren können.

Je weniger die zugehörigen Verbindungen genutzt werden, desto höher die Wahrscheinlichkeit für kognitive Beeinträchtigungen wie Vergesslichkeit, eine verringerte Aufmerksamkeitsspanne oder Koordinationsprobleme.

Das Gedächtnis ist die Fähigkeit des Gehirns, Informationen wie vergangene Ereignisse, Erfahrungen und Wissen zu speichern, abzurufen und zu nutzen. Es ist kein spezifisches Organ, sondern existiert in dem Netzwerk von neuronalen Verbindungen, die über das gesamte Gehirn verteilt sind. Einige Hirnregionen beeinflussen die Bildung und Speicherung von Gedächtnisinhalten allerdings entscheidend mit.
Der Hippocampus etwa liegt im Schläfenlappen (Temporallappen) des Gehirns und ist eine der wichtigsten Hirnregionen für unsere Langzeiterinnerungen. Das Kurzzeitgedächtnis scheint hingegen hauptsächlich in der Stirnregion (präfrontaler Kortex) verortet zu sein.
Das Gedächtnis besteht aus drei, eng miteinander vernetzten Hauptkomponenten: das sensorische Gedächtnis sowie das Arbeits- und das Langzeitgedächtnis.

1. Das sensorische Gedächtnis

Das sensorische Gedächtnis ist eine Art Puffer, welcher Informationen aus der Umwelt aufnimmt und wenige Sekunden zwischenspeichert, um sie zu filtern und gegebenenfalls zu verarbeiten. Es hat jedoch eine begrenzte Kapazität.

2. Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis

Das Arbeitsgedächtnis kann Informationen für Sekunden- oder Minutenspannen behalten und gleichzeitig nutzen, um an Aufgaben zu arbeiten, Probleme zu lösen oder Entscheidungen zu treffen. Es hilft uns also, spontan komplexe kognitive Vorgänge wie Sprachverständnis, Lesen, Lernen oder kreatives und logisches Denken abzuwickeln, und spielt daher eine entscheidende Rolle in der schulischen und beruflichen Leistungsfähigkeit.

"Das Arbeitsgedächtnis sitzt im Frontalhirn, also direkt hinter unserer Stirn, und ist ein sehr lebendiger Teil unseres Gehirns. Es besteht erst einmal aus der sogenannten zentralen Exekutive – das ist unsere Aufmerksamkeit. Dann haben wir einen 'visuellen Notizblock', damit können wir visuelle Reize wahrnehmen. Und wir haben einen sogenannten 'Rehearsal-Prozess' – die innere Sprache: Wir können Informationen als erwachsener Mensch so circa 1,4 Sekunden auditiv behalten, dann müssen wir sie allerdings mit innerer Sprache wiederholen, damit wir sie weiterverwenden können. Das brauchen wir für alle täglichen Abläufe. Dann haben wir noch so einen kleinen Pufferspeicher, damit wir kleine Zwischenrechnungen machen können. Und wenn das Arbeitsgedächtnis fertig ist, kann es entscheiden, ob es das, was es jetzt dazugelernt hat, auch ins Langzeitgedächtnis schieben möchte."

Dr. Edwin Ullmann

Der deklarative Teil des Arbeitsgedächtnisses, auch episodisches Gedächtnis genannt, speichert explizite Informationen wie Fakten, Namen und Ereignisse, während das prozedurale Gedächtnis für Fähigkeiten wie Laufen, Schreiben oder Fahrradfahren, aber auch für erlernte Ängste oder Konditionierungen zuständig ist.
Das Arbeitsgedächtnis wird zum Kurzzeitgedächtnis gezählt. Letzteres ist im Gegenzug nur ein kurzfristiger Speicher, der Informationen zwischenlagern, sie aber nicht aktiv verwenden kann.

3. Das Langzeitgedächtnis

Das Langzeitgedächtnis ist nahezu unbegrenzt und kann beliebig viele Informationen über Jahre hinweg oder sogar ein ganzes Leben lang speichern. Es enthält all das Wissen, die Erfahrungen und die Fähigkeiten, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben. Was im Langzeitgedächtnis landet, können wir abrufen oder ausführen, ohne dass wir lange darüber nachdenken müssen. Anders als lange vermutet, ist das Langzeitgedächtnis nicht in einen bestimmten Bereich des Gehirns verortet:

"In der Historie war man immer der Ansicht, dass es ein sogenanntes 'Archiv im Kopf' gibt. Man hat im 19.Jahrhundert die Vorstellung einer Bibliothek gehabt, in der Regale sind, wo man dann in die Enzyklopädie nur hineinzugreifen braucht und die entsprechende Seite aufschlägt. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts dachte man, das sei wie bei Schallplatten, die dann rausgeholt werden und abgespielt werden können. Dann kam das Computerzeitalter - da war der Begriff der Festplatte im Kopf en vouge. Tatsache ist: Mit bildgebenden Verfahren konnte man nirgendwo einen konkreten Speicherort nachweisen."

Dr. Edwin Ullmann

Damit Fähigkeiten ins Langzeitgedächtnis gelangen können, müssen wir sie zumeist mehrmals wiederholen oder üben, um die Verbindungen zwischen den beteiligten Neuronen zu stärken. Ob uns Erinnerungen erhalten bleiben, hängt vor allem von ihrer Relevanz und ihrem emotionalen Wert für uns ab: Je einschlägiger und bedeutungsvoller sie sind – im positiven, wie im negativen Sinne – desto länger können wir auf sie zurückgreifen.

4. Das Limbische System

"Das limbische System liegt unterhalb des Neokortex und oberhalb der Eingänge des Rückgrats - also des Thalamus. Dieser evolutionstechnisch gesehen sehr alte Teil wird manchmal auch als 'Reptiliengehirn' bezeichnet. Es ist deshalb so wichtig, weil es in der Evolution für die Aufmerksamkeit zuständig ist und eigentlich auch das Überleben des Spezies Mensch mit beeinflusst hat. Wir schalten es immer ein, sobald ein Reiz unsere Aufmerksamkeit erregt."

Dr. Edwin Ullmann

Das limbische System ist eng mit dem Gedächtnis verbunden und spielt eine wichtige Rolle bei der Bildung, Speicherung und Abrufung von Erinnerungen. Es umfasst verschiedene Hirnregionen, unter anderem den für die Bildung des Langzeitgedächtnisses wichtigen Hippocampus, die Kernregionen des Gehirns (Amygdala) und den Hypothalamus, welcher an der Verarbeitung von Emotionen und der Regulation des Hormonhaushalts beteiligt ist. Das limbische System interagiert eng mit anderen Hirnregionen, um komplexe kognitive Funktionen und Verhaltensweisen zu ermöglichen.

Lernen ist ein lebenslanger Prozess, der bereits vor der Geburt beginnt und bis zum Lebensende stattfindet. Schon der Fötus im Mutterleib ist in der Lage, anhand von Geräuschen, Berührungen und Bewegungen, die zu ihm durchdringen, erste Erfahrungen zu sammeln.

"Wenn ein Baby auf die Welt kommt, sind schon eine ganze Menge Synapsen im Gehirn da – nur sind diese Synapsen nicht miteinander verknüpft. Das muss sich so vorstellen, dass die Neuronen im Gehirn relativ isoliert für sich dahinschwimmen. Und dann prasseln plötzlich alle Informationen von außen auf das Kind ein. Das führt dazu, dass sich das Kind in der Entwicklung seiner Synapsen sehr schnell entwickelt."

Dr. Edwin Ullmann

In seinen ersten Lebensjahren lernt ein Mensch vor allem durch Erfahrungen und Interaktionen mit seiner Umwelt. Ist erstmal eine Basis geschaffen, können wir im Laufe des Lebens immer komplexere Fertigkeiten erwerben.

"Wir werden viel effektiver dadurch, dass wir die Bahnen, die wir schon haben, sehr gut nutzen können: Bei einem Lernvorgang kommt eine Information von außen und dann sucht unser Gehirn ganz schnell nach Anknüpfungspunkten."

Dr. Edwin Ullmann

Auch wenn wir es nicht immer bewusst wahrnehmen: Im Erwachsenenalter lernen wir stetig weiter. Tatsächlich ist lebenslanges Lernen heutzutage wichtiger denn je: Die wachsenden Arbeitsanforderungen und der rasante technische Fortschritt "zwingt" uns dazu, mit den neuen Entwicklungen mitzuhalten und ständig über uns hinauszuwachsen.

"Dass Lernen im Alter sehr schwierig ist oder nicht mehr möglich ist, davon ist man mittlerweile abgerückt – man hat diese bekannte 'Adoleszenz-Maximum-Hypothese' längst über Bord geworfen. Diese Hypothese besagte, dass wir unseren Höhepunkt unserer Lernfähigkeit mit Ende der Adoleszenz erreicht haben. Inzwischen sagt man, es hängt wirklich vom einem selbst ab. Man kann es auf den Punkt bringen für das Lernen im Alter: Benutze es oder es verfällt. Man weiß natürlich, dass auch die Behaltensfähigkeit etwa ab dem 60 Lebensjahr langsam nachlässt. Aber das heißt wirklich nicht, dass man nicht auch bis ins höchste Alter neugierig bleiben darf und neue Dinge hinzulernen kann. Das Gehirn ist eigentlich vergleichbar mit so einer Art lebenslangen Dauerbaustelle: Es wird immer umgebaut, es wird immer wieder etwas Neues gebaut – und das kann man nutzen. Es ist ein plastisches Organ und wenn man es einigermaßen pflegt, dann ist es wirklich bis ins hohe Alter sehr leistungsfähig."

Dr. Edwin Ullmann

Stetiges Gedächtnistraining wie Tagebuch-Schreiben, Rätsellösen, regelmäßige Bewegung, leichte Fremdsprachenkurse oder auch neue Hobbies sind ideal dazu geeignet, sich eine geistige Fitness und kognitiven Fähigkeiten zu erhalten.

Der Begriff Intelligenz beschreibt unsere kognitive Leistungsfähigkeit – sprich, unser Potenzial, erfolgreich in einer Vielzahl von Situationen zu agieren. Dazu müssen wir in der Lage sein, Probleme zu lösen, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, kritisch und abstrakt zu denken sowie zu reflektieren. Die Intelligenz eines Menschen wird durch eine komplexe Interaktion von genetischen, umweltbedingten und neurobiologischen Faktoren beeinflusst. Das Gehirn – als Basis für die kognitive Verarbeitung und die geistigen Fähigkeiten – spielt dabei wie so oft die Hauptrolle.

Die Zusammenhänge zwischen dem Gehirn und Intelligenz sind noch nicht vollständig erforscht. Inzwischen ist aber bekannt, dass sie unter anderem von Gehirnregionen beeinflusst wird, die an der Verarbeitung und Speicherung von Informationen mitwirken. Studien haben belegt, dass intelligentere Menschen in der Regel auch eine höhere Aktivität in diesen Regionen aufweisen. Darüber hinaus ist die Art und Weise, wie diese Gehirnregionen miteinander vernetzt sind, wichtig für die kognitive Verarbeitung und die geistigen Fähigkeiten.

Kristalline, fluide und mechanische Intelligenz

Es gibt verschiedene Modelle und Ansätze, um Intelligenz zu beschreiben und zu kategorisieren. Im Zusammenhang mit Lernen wird vor allem zwischen drei Arten unterschieden:

Die kristalline Intelligenz bezieht sich auf unsere Fähigkeit, Wissen und Erfahrung wie Wortschatz, Allgemeinbildung und berufliche Kenntnisse aus der Umwelt zu erwerben, zu speichern und anzuwenden. Sie ist stark von der kulturellen Bildung und Lernumgebung abhängig und bleibt im Allgemeinen stabil oder nimmt mit zunehmendem Alter sogar zu.

Die fluide Intelligenz ist oft genetisch beeinflusst – sie bezieht sich auf die Fähigkeit, unabhängig von Erfahrung und Wissen abstrakte Informationen zu verarbeiten, Muster zu erkennen, Zusammenhänge herzustellen und komplexe Probleme zu lösen. Sie ist daher besonders wichtig für das Lernen und höhere Lernerfolge, da sie es ermöglicht, neue Informationen schnell aufzunehmen und effektiv zu verarbeiten.

Die Fähigkeit, auf der Basis von Erfahrungen und praktischem Wissen handwerkliche oder technische Aufgaben zu lösen, wird als mechanische Intelligenz bezeichnet. Diese Art der Intelligenz kann relativ leicht durch Training und Übung verbessert werden.

Unser Lernerfolg hängt von sehr unterschiedlichen Faktoren ab, von denen wir viele selbst mit beeinflussen können:

Intelligenztraining

"Intelligenz ist nichts Statisches. Natürlich, eine Hochbegabung beispielsweise, die kann ich nicht durch Lernen herbeiführen, die ist gegeben. Aber Intelligenz muss man immer als Prozess sehen. Und ein Intelligenzquotient, den ich ermittle, kann sich durchaus im Lauf von zwei Jahren verändern und auch qualitativ unterscheiden. Das hängt eben davon ab, wie weit ich das, was mir die Genetik mitgegeben habe, nutze – aber auch, wie die Angebote aus der Umgebung sind."

Dr. Edwin Ullmann

Die Frage, inwieweit Intelligenz trainiert und gefördert werden kann, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Studien aber zeigen, dass wir bestimmte kognitive Fähigkeiten mithilfe geistig anspruchsvoller Aufgaben – etwa Lesen, Sprachenlernen, Rätsellösen, Musik- oder Schachspielen – durchaus in einem gewissen Rahmen trainieren können.

Auch eine gesunde Lebensweise, zu der regelmäßige Bewegung, ausgewogene Ernährung und ausreichend Schlaf gehört, kann uns darin unterstützen, unsere Kognition zu erhalten oder gar zu verbessern.

Jeder Mensch hat eine individuelle Art, zu lernen – dabei gibt es auch kein richtig oder falsch. In der Pädagogik unterscheidet man dennoch grob zwischen verschiedene Lerntypen, die sich auf unterschiedliche Weise am besten fördern lassen:

  • Visuelle Lerntypen: Sie bevorzugen das "Lernen durch Sehen" und können sich Wissen mithilfe von Bildern, Grafiken und dem Anfertigen von Notizen am besten aneignen.
  • Auditive Lerntypen: Auditive Menschen lernen am besten durch ihr Gehör – ihnen helfen Hörbücher, Podcasts und Vorträge. Auch lautes Vorlesen oder Musik kann sie darin unterstützen, neue Informationen effizient zu aufzunehmen.
  • Kinästhetische Lerntypen: Kinästhetiker sind Praktiker und wollen anwendungsorientiert üben. Auch Bewegung während des Lernens, wie zum Beispiel Hin- und Herlaufen, kann Menschen dieses Lerntyps helfen, Informationen abzuspeichern.
  • Mischtypen: Die meisten Menschen bevorzugen es, verschiedene Lernmethoden zu kombinieren.

Lernstrategien sind hilfreich, um das Lernen effektiver und effizienter zu gestalten. Auch sie sind je nach individuellen Vorlieben variabel. Die gängigsten Tipps:

  • Realistische Zielsetzung, die erreichbar ist und auf konkrete Ergebnisse anspielt.
  • Experimentieren mit Lernmethoden, um herauszufinden, welche am besten zum persönlichen Lernstil und den eigenen Bedürfnissen passt.
  • In einer positiven Lernumgebung sollten Ablenkungen minimiert und eine angenehme Atmosphäre geschaffen sein.
  • Wiederholung ist ein wichtiger Bestandteil des Lernprozesses, um das Gelernte langfristig im Gedächtnis zu behalten. Dabei können zum Beispiel lautes Vorsagen, Karteikarten oder das Anfertigen von Zusammenfassungen helfen.
  • Aktive Beteiligung am Lernprozess, indem man Fragen stellt, diskutiert oder sich in Gruppenarbeiten einbringt, fördert das Verständnis und Verknüpfung von neuen Informationen.
  • Ob man etwas wirklich verstanden hat, zeigt sich durch regelmäßiges Kontrollieren. Man kann sich beispielsweise selbstgestellte Fragen beantworten, die neuen Inhalte nochmal in eigene Worte fassen, oder Übungsaufgaben lösen.
  • Handeln und Probieren lässt uns neue Erfahrung sammeln und aus (Miss-)Erfolgen lernen.