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Demenz Wenn das Gedächtnis schwindet

Demenz und speziell Alzheimer werden immer besser erforscht. Eiweißablagerungen im Gehirn stehen in Zusammenhang mit der Zerstörung von Nervenzellen und dem Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit.

Von: Kathrin Bohlmann

Stand: 19.09.2022

Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz - im Bild: Ältere Frau greift sich an den Kopf | Bild: colourbox.com

Demenz gehört zu den großen Volkskrankheiten. Auch wenn Alzheimer wohl nie heilbar sein wird, gibt es mittlerweile moderne Medikamente, die den Krankheitsverlauf hinauszögern. Außerdem helfen Angebote wie z.B. von der Alzheimer-Gesellschaft, das Leben sowohl der Betroffenen als auch der Angehörigen zu erleichtern. Wichtig dabei ist die Früherkennung. Denn eine Diagnose und Behandlung im Anfangsstadium erhöhen die Chancen, effektiver auf die Erkrankung einzuwirken. Demenz und speziell Alzheimer werden immer besser erforscht. Eiweißablagerungen im Gehirn stehen in Zusammenhang mit der Zerstörung von Nervenzellen und dem Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit. Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache einer Demenz. Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leben mit dieser Erkrankung, in Bayern sind es mehr als 250.000.

Dem Text liegt ein Interview mit Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid, Leiterin des Zentrums für kognitive Störungen an der Psychiatrischen Klinik der Technischen Universität München, zugrunde.

Demenz ist ein Oberbegriff. Als Demenz wird jede Erkrankung des Gehirns bezeichnet, die dazu führt, dass das Gedächtnis und andere kognitive Fähigkeiten nachlassen. Dies führt dazu, dass die Betroffenen im Alltag zunehmend eingeschränkt sind und irgendwann nicht mehr selbstständig leben können.
Die Demenz hat viele Ursachen, die häufigste ist mit deutlich über 50 Prozent die Alzheimer-Krankheit. Daneben gibt es die gefäßbedingte, vaskuläre Demenz. Laut Bundesgesundheitsministerium liegt bei etwa 15 Prozent eine Kombination beider Erkrankungen vor. Andere Demenzformen finden sich nur bei fünf bis 15 Prozent der Erkrankten. Auch nach einem Schädel-Hirntrauma ist eine Demenz möglich.

Die häufigste Ursache für Demenz ist die Alzheimer-Krankheit. Hier entwickeln sich Veränderungen im Gehirn. Dafür verantwortlich sind in erster Linie bestimmte Eiweiße, Amyloid-Plaques und Tau-Proteine, die sich im Gehirn ablagern. Sie schädigen die Nervenzellen, die Neuronen, so dass sie teilweise absterben. Dadurch nimmt die Zahl der Neuronen im Gehirn ab, das damit weniger leistungsfähig ist. Das geschieht bei der Alzheimer-Krankheit vor allem in dem Bereich des Gehirns, der für das Gedächtnis zuständig ist. Die Folge: es kommt zu Veränderungen des Gedächtnisses, zu Gedächtnisstörungen.

Bei der vaskulären Demenz sind es in erster Linie Mini-Hirninfarkte, die zum Absterben der Nervenzellen führen. Das Hirngewebe wird aufgrund einer verringerten oder blockierten Blutversorgung zerstört. Das sind im Gegensatz zur Alzheimer-Erkrankung somit keine Eiweißveränderungen, sondern viele kleine Schlaganfälle.

Viele Menschen wollen wissen, ob Alzheimer vererbbar ist, vor allem wenn es Betroffene in der Familie gibt. Aber nur in den wenigsten Fällen ist die Alzheimer-Krankheit erblich bedingt. Ein bis drei Prozent der Fälle sind auf genetische Mutationen zurückzuführen. Bisher sind drei Gene bekannt, die für Alzheimer verantwortlich sind. Die Betroffenen erkranken in der Regel früh, zwischen dem 30. und 65. Lebensjahr.

Daneben gibt es ein Risikogen: das sogenannte Apolipoprotein E4 (ApoE4). Ist man Träger dieses Gens, steigt das Risiko, im Alter an Alzheimer zu erkranken. Rund 60 Prozent der Alzheimer-Patienten sind Träger des ApoE4-Gens. Im Gehirn hat ApoE4 die Funktion, Fette zu transportieren.

Sollten in einer Familie mehrere oder relativ junge Menschen an Demenz erkrankt sein, kann mit Hilfe einer humangenetischen Untersuchung untersucht werden, ob jemand ein Alzheimer-Gen in sich trägt.

Alter

Bei der Alzheimer-Krankheit ist das Alter das größte Erkrankungsrisiko. Die Wahrscheinlichkeit, mit 90 Jahren an Demenz zu leiden, liegt bei 50 Prozent. Zum Vergleich: Bei den 60-65-Jährigen liegt das Risiko bei unter einem Prozent.

Stress und Depression

Theoretisch kann jeder an Demenz erkranken. Aber bestimmte Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit. So sind negativer Stress und Depression Gift für das Gehirn. Warum das so ist, hat die Forschung noch nicht gut verstanden. Die Mediziner gehen davon aus: wer ängstlich oder depressiv ist, schüttet vermehrt die Stresshormone Adrenalin und Kortisol aus. Beides ist schlecht für die Nervenzellen. Wichtig dabei: Die Reservekapazität des Gehirns. Die ist am besten, wenn das Gehirn gesund ist. Wenn es aber eingeschränkt ist, zum Beispiel durch eine Depression, wird die Nervenzellen-Reserve weniger. Die Folge ist, dass die kognitiven Fähigkeiten nachlassen.

"Da die Festplatte voll ist mit Depression und Grübeln, sind die Erkrankten nicht mehr so aufnahmefähig. Wenn die Depression gut behandelt wird, lassen diese Probleme auch wieder nach."

Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Kardiovaskulären Risikofaktoren wie hohe Blutfettwerte und Bluthochdruck, aber auch Diabetes und Übergewicht begünstigen die beiden häufigsten Ursachen für Demenz: Alzheimer und vaskuläre Demenz. Die Mediziner wissen mittlerweile auch, dass Frauen eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, an Alzheimer zu erkranken. Als Gründe dafür werden die höhere Lebenserwartung, die hormonellen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, aber auch verschiedenartige Strukturen im Gehirn diskutiert.

Egal welche Ursache Demenz hat: sie fängt fast immer schleichend an, durchwandert dann verschiedene Schweregrade von leicht, über mittel bis zur sehr schweren Erkrankung. Der Verlauf zieht sich meist über viele Jahre.

Bei der Diagnose von Demenz und Alzheimer im Speziellen hat die Medizin einen großen Fortschritt in den vergangenen Jahren erzielt. Früher wurde die Alzheimer-Krankheit in erster Linie per Ausschlussverfahren diagnostiziert. Heutzutage kann durch die Punktion des Nervenwassers und bildgebende Verfahren wie CT, MRT und PET die Demenzursache fast immer eindeutig bestimmt werden. Ärzte kombinieren dabei oft mehrere diagnostische Methoden. Der erste diagnostische Schritt muss aber immer das Gespräch mit dem Betroffenen über die Vorgeschichte und die aktuellen Symptome sein.  Mittels neuropsychologischer Tests wird im zweiten Schritt untersucht, ob Gedächtnisstörungen oder andere kognitive Einbußen vorliegen.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Grundsätzlich gilt: fällt Angehörigen eine Vergesslichkeit beim Betroffenen auf, ist der Gang zum Arzt ratsam. Aber:

"Im zunehmenden Alter werden wir alle etwas schussliger. Wenn alle zu uns kommen würden, die ihren Schlüssel verlegt haben oder manchmal nach ihrem Geldbeutel suchen, wären wir hier komplett überfüllt."

Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid

Wir müssen also unterscheiden, ob "nur" eine Konzentrationsstörung vorliegt oder tatsächlich eine Gedächtnisstörung. Diese kann sich äußern in: immer wieder die gleichen Sachen erzählen, nach den gleichen Dingen fragen, wichtige Termine vergessen, den Alltag nicht mehr bewältigen können.

Neuropsychologische Tests

Entscheidend für die Diagnose einer Demenz sind Tests des Gedächtnisses und anderer Hirnfunktionen. Diese werden in der Regel im Rahmen einer neuropsychologischen Untersuchung vorgenommen. Dabei werden z.B. die Orientierung, die Sprache und das Gedächtnis geprüft. Patienten müssen sich Worte oder auch geometrische Figuren merken und werden nach einer gewissen Zeit gebeten, diese wiederzugeben.

Technische Diagnostik

Um ein Bild vom Gehirn zu bekommen, wird entweder eine Computertomographie (CT) oder – noch besser - eine Kernspintomographie (MRT) durchgeführt. Dort sieht man, ob die Veränderungen des Gehirns z.B. typisch für die Alzheimer-Krankheit sind oder ob es Durchblutungsstörungen gab.

"Mittlerweile haben wir auch nuklearmedizinische Verfahren – die Positronen-Emissions-Tomographie, kurz PET. Damit kann man den Stoffwechsel im Gehirn nachweisen."

Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid

Dafür wird eine schwach radioaktiv markierte Zuckerlösung in eine Armvene gespritzt, die sich dann im Gehirn anreichert und Regionen mit gutem Zuckerstoffwechsel im Bild des Gehirns leuchten lässt. In anderen PET-Verfahren lässt sich mittlerweile sogar das für Alzheimer typische Amyloid im Gehirn nachweisen.

Laboruntersuchungen

Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, die Eiweiße, die sich bei Alzheimer im Gehirn ablagern (Amyloid und Tau) im Nervenwasser zu messen. So können die entsprechenden Biomarker analysiert werden. Dafür nimmt man Proben aus der Hirnrückenmarksflüssigkeit, die durch eine Nervenwasserpunktion gewonnen werden. Wenn im Gehirn viel Amyloid abgelagert ist, dann tritt wenig ins Nervenwasser über. Werden dabei kritische Grenzwerte unterschritten, gilt dies als Beweis für eine Alzheimer-Krankheit.

Differenzialdiagnose

Schilddrüsenhormonmangel, schwer ausgeprägte Nieren- oder Leberinsuffizienz oder eine schwere Blutarmut können Symptome einer Demenz versuchen. Auch Hirntumor, Hirninfarkt oder eine Hirnblutung können Gedächtnisstörungen auslösen. Das alles muss bei der Diagnostik berücksichtigt werden.

Früherkennung

Heutzutage können Mediziner heute Alzheimer und andere Demenzen viel früher im Krankheitsverlauf diagnostizieren. Das heißt: Bei nur sehr leicht beeinträchtigten Menschen.

"Zu Beginn der Erkrankung ist die Lebensqualität nur ganz gering beeinträchtigt."

Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid

Im fortgeschrittenen Zustand können Symptome wie Depressionen oder Unruhezustände gut behandelt werden. Außerdem ist das Netzwerk an Versorgung und Unterstützungsangeboten für Patienten mit Demenz und ihre Angehörigen mittlerweile gut ausgebaut. Hilfe bietet dabei z.B. die Alzheimer-Gesellschaft.

Klar ist: Demenz ist nicht heilbar. Aber Medikamente können Symptome und Begleiterscheinungen lindern. Ist eine Alzheimer-Demenz festgestellt worden, helfen Medikamente - sogenannte Cholinesterasehemmer.

"Bei der Alzheimer-Erkrankung weiß man, dass der Botenstoff Acetylcholin relativ früh reduziert ist. Aber wir brauchen diesen Stoff zum Denken. Mit diesen Medikamenten gibt man quasi das Acetylcholin dazu und dann denkt es sich wieder leichter."

Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid

Die Krankheit wird mit den Cholinesterasehemmer nicht gestoppt, aber ihr Verlauf ist dann schleichender. Laut Studien verzögert sich der geistige Abbau um ein bis drei Jahre. Die Cholinesterasehemmer helfen auch nur bei der Alzheimer-Erkrankung, nicht bei einer anderen Demenz wie der vaskulären Demenz.

In den USA ist im Sommer 2021 ein erster Impfstoff gegen Alzheimer zugelassen worden. Die intravenöse Antikörper-Therapie soll in einem frühen Krankheitsstadium schädliche Ablagerungen der Amyloid-Plaques im Gehirn beseitigen. Geimpft wird der monoklonale Antikörper Aducanumab. Diese synthetisierten Amyloid-Bruchstücke motivieren offenbar das körpereigene Abwehrsystem, diese Plaques zu entfernen. Alle vier Wochen können so ausgewählte Alzheimer-Erkrankte in den USA sich das Medikament spritzen lassen.

Eine Zulassung in Europa für das Präparat gibt es bislang nicht. Der Europäischen Arzneimittelagentur reichen die Studiendaten zu Aducanumab nicht aus, um einen Einsatz in Europa zu befürworten.

"Ich bin bei der Alzheimer-Impfung noch skeptisch, weil meiner Meinung nach die Studien zur Impfung mit Aducanumab einen allenfalls geringen Effekt zeigen konnten. Dabei ist die Impfung sehr teuer und es gibt erhebliche Nebenwirkungen."

Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid

Überlegungen von Wissenschaftlern sind, in ferner Zukunft Stammzellen in Nervenzellen umzuprogrammieren. Die Idee dabei ist, dass das Gehirn so nachwächst wie Muskelzellen. Das sind aber bisher nur Laborforschungen.

Studien zeigen immer wieder, dass man gegen Demenz mit verschiedenen Maßnahmen durchaus vorbeugen kann. Bewusst gesund leben lautet dabei die Devise: Sport und Bewegung, kein Rauchen, gesunde Ernährung, keine Zuckerkrankheit riskieren und viele soziale und geistige Aktivitäten. So kann der Beginn einer Demenz-Erkrankung möglichst weit ins Alter hinausgezögert werden.

"Man kann sehr gut vorbeugen. Es geht also darum, sich mit Leuten zu treffen, sich auszutauschen, ob es der Literaturzirkel oder der Tanzclub ist, um solche Dinge geht es. Das ist nachweislich protektiv."

Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid