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Bayern genießen Haut und Haar - Bayern genießen im Mai

Wie immer haben wir uns in der ersten Zeit für Bayern des Monats dem Genuss verschrieben. Wie immer ganz und gar. Diesmal sogar mit Haut und Haar…

Stand: 04.05.2022 | Archiv

Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Haut und Haar"

Oberbayern: Mit fremden Federn. Der Gamsbartbinder aus Ebersberg. Von Sarah Khosh-Amoz
Niederbayern: Bis zur Schulter. Die Landshuter Hochzeiter und ihre Haartracht. Von Philip Kuntschner
Oberpfalz: Milch und Blut. Die Walhalla-Lämmer von Donaustauf. Von Uli Scherr
Oberfranken: Haut auf dem Markt. Alte Gerberhäuser in Bamberg. Von Tobias Föhrenbach
Mittelfranken: Mit Leib und Seele. Die Darstellerin der Katharina von Tucher. Von Annalena Sippl
Unterfranken: Alles in allem. Ein Wirtshaus für alles. Von Wolfram Hanke
Schwaben: Malen auf Haut. Der Pergament-Tätowierer aus Bad Hindelang. Von Doris Bimmer

Haut auf dem Markt

Haut und Haar, ganz und gar sind sogenannte Zwillingsformeln, die durch den Stabreim, also dadurch, dass die Wörter mit dem gleichen Laut anfangen, noch intensiviert werden. Haut und Haar sind der letzte Besitz des Menschen. Wer sich mit Haut und Haar einer Sache verschreibt, gibt sich eben ganz und gar hin. Die Wendung ist eigentlich ein uralter Rechtsbegriff: Weil die Haut ist die Grenze des lebendigen Körpers. Alles, was unter die Haut geht, greift schon ins Leben ein, geht buchstäblich bis aufs Blut. Bei der Strafzumessung im Mittelalter durften beispielsweise schwangere Frauen nur bis zu Haut und Haar gestraft werden. Blutige Befragung, also Folter oder blutige Körperstrafen, die womöglich das unschuldige Kind im Leib mitbestraft hätten, waren verboten. Auch die schlimmsten Verbrecherinnen durften lediglich ausgepeitscht und an den Pranger gestellt werden. Und auch wenn wir bei solchen Rechtsbegriffen aus der Haut fahren möchten, im Mittelalter hat mans halt nicht besser gewusst. Leib und Leben - auch so eine stabreimende Zwillingsformel - waren damals viel direkter erfahrbar und eben auch gefährdeter als heute. Aber auch im Mittelalter war es nicht unbedingt beliebt die eigene Haut zu Markte tragen zu müssen. Lieber schon fremde Häute - von Tieren versteht sich. Das aber war Alltag und gehörte ganz selbstverständlich zum Leben in jeder Stadt und in jedem größeren Ort: Überall gab es Gerber. Heute hat das die Industrie übernommen. Aber Handwerker gibt's auch noch. Zum Beispiel in der Welterbestadt Bamberg. Dort kann man in einem alten Gerberhaus sogar übernachten.

Milch und Blut

Schafe weiden auf einer Wiese

Wenn einer aus dem Häuschen gerät, dann fährt er im positiven Sinn aus der Haut. Und tatsächlich gibt es einen uralten Zusammenhang zwischen Haut und Haus. Beide Wörter gehen zurück auf die indoeuropäische Ursprache der Steinzeit. Da hat die Wortwurzel keu oder skeu soviel bedeutet wie bedecken.Ein kleines Häusl, der notdürftigste Unterschlupf, die armseligste Bedeckung, die man sich vorstellen kann, hat man früher in Bayern Keuche, a Keichan geheißen. Was heute an den Rändern der Multimillionenmetropolen dieser Welt Slums genannt wird, hat es früher in jeder mittelalterlichen Vorstadt gegeben, buchstäblich am Rand der Gesellschaft: Die Wohn- und/oder Arbeitsstätten der Taglöhner und sonstiger Leute, die buchstäblich die eigene Haut zu Markte tragen mussten. Dazu gehörten auch die Prostituierten. Die unterstanden in der Regel dem Henker, mit dem auch kein ehrbarer Bürger was zu tun haben wollte. Deswegen hat man ihm oft noch ein weiteres Geschäft auferlegt. Das des Abdeckers oder Wasenmeisters, den man bei uns in Bayern Schinder genannt hat. Als solcher hat er aus allen möglichen Kadavern herausgeholt, was verwertbar war: Haut und Haar, Fett und Talg, auch Unschlitt genannt für billige Kerzen, Knochen um Seife oder Leim draus zu machen. Dessen Arbeitsplatz lag oft weit vor den Mauern - auf dem Schindacker, dem Schindanger oder in der Schindergrube. Heute stehen auf diesen Fluren oft Einfamilienhäuser. Wenn einer übertrieben sparsam war und aus allem noch den letzten Rest herausquetschen wollte, von so einem hat man früher gesagt, dass er selbst die Laus um den Balg schindet. Aber alles wirklich Verwertbare tatsächlich zu verwerten, das gebot früher schon die Not der Stunde. Und heute natürlich auch die Achtung vor dem Leben. Leben mit und von Tieren. Das ist eben mehr als kurzfristiger Profit. Das gilt auch für uns Konsumenten, zum Beispiel beim Walhalla-Lamm. Ein Rezept dazu gibt's übrigens hier.

Alles in Allem

Claus Vorndran vor dem Gasthaus Dickas mit Bio-Rhönbauer Joachim Schmitt und seine Frau Christine

Wenn's schon dem Leben buchstäblich ans Leder geht, wenn schon ein Tier geschlachtet werden muss, weil man seine Produkte braucht, dann war es immer auch ein ethischer Imperativ, tatsächlich alles zu verwerten. Freilich geschieht das auch noch in der modernen Industriegesellschaft. Aber da steht selbstverständlich der Profit im Vordergrund. Wir aber leisten uns da heute gern einmal blinde Flecken, wollen nicht mehr so nah dabeisein und hinschauen beim Schlachten, nicht mehr so genau wissen, wie das geht und was alles dabei herauskommt. Ein Kalbskopf, Kutteln, Leber und Nieren bis hin zum Sauschwanzl - all das waren früher Delikatessen. Und da reden wir nicht einmal von Schafsaugen oder Hammelhoden. Feinschmeckerküche war und ist schon immer Spezialitäten und Innereienküche. Doch ausgehend von den angelsächsischen Ländern ist im Wohlstand der letzten Jahrzehnte die Zahl der Leute gewachsen, die all das ablehnen und mit Tabu belegt haben. Und es ist kein Zufall, dass Amerika oder England nicht gerade für gute Küche bekannt sind. Denn Vielfalt des Geschmacks basiert eben auf der Vielfalt der verwendeten Rohstoffe. Und natürlich gibt's eine moderne Gegenbewegung, die jetzt so tut, als sei alles zu verwerten, alles Essbare zu essen, was ganz Neues. Sie nennt sich from nose to tail. Bei uns in Bayern, Schwaben und Franken praktiziert man das schon lang. Im Gasthaus Dickas in Bischofsheim in der Rhön oder anderen Gasthäusern in Franken.

Mit fremden Federn

Bayerischer Trachtenhut mit Gamsbart

Genauso wie die Haut hat auch das Wort Haar eine sehr lange Geschichte. Zu allem was wächst, sprießt hat man schon in der Steinzeit khr, ghr oder hr gesagt. In vielen Wörtern der meisten Sprachen in Europa steckt heute noch diese alte Wortwurzel. Im Kren, in der Kresse oder im Kraut zum Beispiel. Und eben auch im Haar. Das wächst ja auch auf dem Feld. Denn Haar hat man früher auch einmal den Flachs geheißen, aus dem man bekanntlich ein härenes Gewand macht. Selbstverständlich aber denken wir bei Haar heute an die mehr oder weniger langen Hornfäden, die aus der Haut von Mensch und Tier wachsen. Sie können schön glatt, aber auch widerborstig, struppig, garstig sein. Auch das gar in garstig geht auf die sprießende Wortwurzel ghr zurück. Haare werden zu Wolle verarbeitet, können aber auch eine Trophäe sein. Da muss man noch gar nicht an den legendären Skalp denken. Ein Gamsbart geht in die gleiche Richtung. Man schmückt sich mit fremden Federn. Viel mehr Haaren. Kunsthandwerkliche Gamsbartbinder sind heute selten geworden. Aber es gibt sie noch. Zum Beispiel Jakob Weiß aus Ebersberg oder Hans Schober aus Mittenwald. Schober ist übrigens sechsfacher Goldmedaillengewinner bei der Gamsbartolympiade in Mittenwald. Die findet nach zwei Jahren Coronapause heuer wieder statt.

Malen auf Haut

Kunst-Hautmalerei von Daniel Bensmann

Pelze und Häute werden schon seit der Altsteinzeit präpariert und vielfach verwendet. Eine Sonderform dabei ist das Pergament. Für seine Herstellung wird die Tierhaut lediglich eingeweicht, enthaart und zum Trocknen aufgespannt. Schon in den Frühzeiten der Jäger und Sammler hat man solche Häute auch bemalt. Also regelrechte Mal- und Schreibgrundlage aber kennen wir es erst seit der Antike. Da hat man die besondere Haltbarkeit der membrana pergamena, der Haut aus Pergamon zu schätzen gelernt vor allem für die Buchherstellung. Das Pergament hat den Papyros und das Papier als Buchmaterial verdrängt, was andererseits dazu geführt hat, dass Bücher unendlich teuer geworden sind. Erst als am Ende des Mittelalters in großen Mengen Verwaltungsschriftgut hergestellt wurde, vor allem auch durch das Aufkommen des Buchdrucks, eroberte sich Papier seinen Platz zurück. Doch bis heute wird Pergament hergestellt und gebraucht. Und es gibt immer noch - oder auch wieder, die sich in den uralten Techniken des Bemalens von Häuten üben. Zum Beispiel der Tätowierer Daniel Bensmann, der alles vom Erlegen des Tiers bis zum fertigen Bild auf Pergament selbst macht. Einen Blick in die Werkstatt des Hütmôlars, wie Daniel Bensmann sich selbst nennt, gibt's hier.

Leib und Seele

Katharina Tucher

Wir wissen niemand kann aus seiner Haut. Trotzdem sind wir auch heute noch oft froh, wenn wir nicht in der Haut eines andern stecken. Andere dagegen finden das durchaus reizvoll in eine andere Haut zu schlüpfen oder sich in die Haut eines andern zu versetzen. Schauspieler etwa gehören dazu. Am besten sind sie, wenn sie buchstäblich mit Haut und Haar in eine Rolle schlüpfen, sich mit der dargestellten Person identifizieren. Manchmal wird daraus eine richtige Lebensrolle. So wie bei Inge Bickel in Nürnberg. Sie führt seit vielen Jahren als leibhaftige Katharina Tucher durch das Tucherschloss in Nürnberg. Übrigens: Sie können Katharina Tucher auch verschenken. Wie das geht, erfahren Sie hier.

Bis zur Schulter

Landshuter Hochzeit 2017

Was Inge Bickel in Nürnberg tut, machen viele hundert Landshuter Bürger alle vier Jahre: Voll und ganz in einer Rolle aufgehen bei der Landshuter Hochzeit, dem größten historischen Schauspiel Europas. Bereits das originale spätmittelalterliche Prachtfest im Jahr 1475 war ein europaweit wichtiges Ereignis - allerdings mit Betonung auf repräsentativer Prachtentfaltung im Zeichen der Machtpolitik. Die heutigen Wiederaufführungen dagegen folgen eher dem romantischen Impuls des 19. Jahrhunderts, das das Mittelalter verklärt hat. Im 20. Jahrhundert dann haben die Landshuter daraus ein Dokumentarspiel gemacht und im Gegensatz zu vielen anderen Historienspielen historische Authentizität an die Stelle von Irgendwie-nach-Mittelalter-ausschauen gesetzt. Von den vielen Details, auf die die Landshuter dabei Wert legen, ist das auffälligste zugleich das haarigste. Denn wenn am 30. Juni 2023 die nächste Aufführung der Landshuter Hochzeit Premiere hat, dann haben sich die Mitwirkenden schon viele Monate vorher die Haare wachsen lassen müssen…


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