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Bayern genießen Frühling – Bayern genießen im April

Und allem Anfang wohnt ein Zauber inne… nein, man muss nicht Hermann Hesse bemühen: Das Copyright, was das Nachdenken über den Anfang angeht, hat im 20. Jahrhundert die große Philosophin Hannah Arendt. Philosophen denken gemeinhin über das Ende nach, vor allem das Ende des individuellen Lebens ist das philosophische Problem schlechthin. Hannah Arendt dagegen hat mit ihrer Philosophie vom Anfang, der Geburt, dem Wunder der Natalität, was ganz Neues gewagt. Jeder, jedes, alles ist irgendwann einmal jung, hat alle Möglichkeiten, fängt mit allem an, ist ein Anfänger. Und das Jahr halt auch.

Von: Gerald Huber

Stand: 31.03.2023 | Archiv

Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums "Frühjahr"


Niederbayern: Fern der Sonne. Der lange Bayerwaldwinter
Oberbayern: Frisch aufgespielt. Crowd-Funding für eine bayerische Symphonie
Oberpfalz: Frühlingsfreuden. Neues Eis in Regensburg
Schwaben: Kopfgeburten. Brainpainting im schwäbischen Oberschönenfeld
Unterfranken: Frühjahrsputz im Bienenstock. Frühjahrshonig aus Lengfurt in Mainfranken
Oberfranken: Letztes Frühjahr? Hohenesters Mehlbeere am oberfränkischen Walberla
Mittelfranken: April macht, was er will. Mit Bauernregeln dem Sommer entgegen

Fern der Sonne. Der lange Bayerwaldwinter

Kein Zufall, dass in der Antike das Jahr mit der Frühjahrs-Tag-und-Nachtgleiche angefangen hat. Der Anfang vom Anfang wurde im März gemacht, der April aber ist der erste vollständige Monat des Jahres. In ihm steckt das lateinische aprire=öffnen. Und im April machen ja nicht bloß die ersten Blüten auf, das ganze Jahr macht sich auf, fängt an. Und damit das gesamte Leben. Jeder Gärtner, jeder Bauer kennt das Gefühl, die Freude, wenn's endlich wieder hinaus geht. Eine im Wortsinn unbändige Freude, weil man da nicht mehr zu bändigen ist. Vermutlich teilen die Naturverbundenen unter uns dieses Gefühl mit allen Lebewesen auf dieser Welt, die wie die Schlangen sich häuten, die winterliche Untätigkeit und Trägheit abschütteln und sich glänzend neugeboren fühlen.

Das Frühjahr ist die Zeit, die guten Vorsätze von Neujahr endlich in Taten umzusetzen. Logisch, dass die Fastenzeit im Frühjahr ist. Innen und außen sauber möchten wir sein für den Neubeginn. Jetzt gilt es Schweinehunde zu überwinden, aktiv zu werden, sich zu rühren. Ein uraltes Bedürfnis ist uns eingepflanzt seit Adam und Evas Zeiten. Auf, aufgeht's, anfangen! Und dann werden wir ausgebremst, weil irgendwas nicht mitspielt – und wenn's bloß das Wetter ist. Denn je länger wir den Anfang hinausschieben, umso dringender, drängender kann der Impuls anwachsen.

Die Menschen in Bodenmais im Bayerischen Wald wissen, wie groß, wie stark, wie übermächtig die Sehnsucht werden kann, dass der Anfang, das Frühjahr, endlich anfängt. Und irgendwann ist er dann doch da, der Frühling. Vielleicht sogar schon zum Bodenmaiser Handwerker- und Bastelmarkt Mitte April. Informationen zum Frühlingsmarkt gibt’s hier.

Frisch aufgespielt. Crowd-Funding für eine bayerische Symphonie

Frühjahr. Das Wort Jahr geht zurück auf die jahrtausendealte Wortwurzel or oder hor, die auch drinsteckt in der Uhr, in den lateinischen Wörtern hora für Stunde und oriri, das heißt aufgehen, auferstehen; unser Wort Orient kommt daher. Der Orient ist dort, wo täglich die Sonne aufgeht. Auch in der Originalität steckt die Wurzel or/hor drin. Der altägyptische Gott Horus war der Gott des Jahreslaufs, des Neuanfangs und der Zeit. Er kommt alljährlich in der Wintersonnenwende zur Welt. In ihm wird der Gottvater Osiris neugeboren. Und kann im Frühjahr zu handeln beginnen. Genauso wie heute noch im Christentum gehören schon im alten Ägypten Geburt und Auferstehung, Weihnachten und Ostern zusammen.

Wenn es nach der Philosophin Hannah Arendt geht, hat jeder von uns zu jeder Zeit die Aufgabe neu anzufangen, damit buchstäblich zur Welt zu kommen, kreativ zu werden, etwas Neues zu schaffen und sich so einzureihen in das große Werk der Schöpfung. Vermutlich ganz intuitiv sucht sich deswegen der junge Komponist Andreas Begert aus dem oberbayerischen Dorfen für seine großen Projekte das Frühjahr aus: Im Mai letzten Jahres hat er bereits im Herkulessaal in München sein Bayerisches Oratorium uraufgeführt. Voller Saal, 120 Musikerinnen und Musiker, teils von den Münchner Symphonikern, und finanziert hatte er das Ganze über Crowdfunding. Jetzt hat er eine Bayerische Symphonie im Kopf. Auch die soll in die Welt. Nur: damit das möglich wird, musste er bis 31. März 2023 33.0000 Euro beinanderhaben.

Frühlingsfreuden. Neues Eis in Regensburg

Auch mit dem Eis essen muss man mal anfangen ...

Joseph Beuys hat uns ja alle zu Künstlern erklärt. Wir alle sind auf die eine oder andere Art schöpferisch und nehmen teil am ganz großen Schöpfungsakt der Welt. Aber Machen ist nicht gleich machen. Hannah Arendt unterscheidet zwischen Arbeiten, Herstellen und Handeln. Die Arbeit ist täglich notwendig, Sommer wie Winter, jahrein, jahraus, um das Überleben zu sichern, gewissermaßen den Tod, den Hungertod zu überwinden. Mit dem Herstellen dauerhafter Dinge errichten wir künstliche Welten. Sie können uns überleben und fügen unserem flüchtigen Dasein, das eigentlich nur das augenblickliche Jetzt kennt, die Dimensionen der Vergangenheit und der Zukunft hinzu. Dinge, die wir gestern hergestellt haben, benutzen wir heute und werden sie auch morgen noch benutzen können.

Arbeiten und herstellen können auch die Tiere, das dritte aber, das Handeln, bleibt den Menschen vorbehalten. Nur sie können wirklich etwas Neues anfangen und damit als schöpferische Person öffentlich in der Welt wirksam werden. Das ist der wahre Luxus des Menschen, wenn er sich abseits von seinem Brotberuf seinen kreativen Traum verwirklichen kann. Nicht, weil er darin das große Geschäft wittert, sondern weil er schöpferisch sein will. Wenn, sagen wir, aus einem Unternehmensberater auf einmal ein Eismacher wird. So wie beim Stenz Eis in Regensburg.

Kopfgeburten. Brainpainting im schwäbischen Oberschönenfeld

Jeder Mensch, der endlich kreativ werden will, kennt das: Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß hingesetzt. Jeder weiß, wie schwer der Anfang fallen kann. Im Kopf hat man vielleicht schon alles. Man muss es bloß machen, in eine dingliche Form bringen, es formulieren. Wie einfach wär's, wenn diese schweißtreibende Arbeit eine intelligente Maschine übernehmen könnte, die man bloß mit den eigenen Gedanken steuert. Man denkt etwas – und schon ist es da.

Künstliche Intelligenz ist gerade in aller Munde. Sie soll Prüfungen schreiben können. Oder Prosa. Über die Notwendigkeit und Qualität der Ergebnisse lässt sich bestens streiten. Ein frischer Impuls, ein Aufbruch ist es allemal. Dass für Veränderungen solche Denkanstöße notwendig sind, zeigt ein Projekt in der Schwäbischen Galerie im Museum Oberschönenfeld. Dort läuft gerade die Ausstellung Über Grenzen. Der Künstler Adi Hoesle fordert die Besucher auf, ihre bekannten Grenzen mit Hilfe eines Computers zu überschreiten und Gedanken in Farbe zu übersetzen. Noch bis 23. April ist Brainpainting in der Schwäbischen Galerie in Oberschönenfeld zu erleben. Zu der Ausstellung gibt es ein umfangreiches Begleitrpogramm.

Frühjahrsputz im Bienenstock. Frühjahrshonig aus Lengfurt in Mainfranken

Das Bedürfnis aktiv, kreativ zu werden, die Regsamkeit, die uns im Frühjahr überfällt, die hat man schon in der Antike mit der Emsigkeit der Bienen verglichen. Die Einwohner eines Bienenstaats, die Impen, Immen, Emsen, sind emsig im sprichwörtlichen Sinn. Auch wenn sie, um mit Hannah Arendt zu sprechen, vorrangig arbeiten und herstellen.

Bienen schwärmen aus.

Bienen werden jetzt nicht den Bienenstock neu erfinden. Und wenn, dann geht hier die schöpferische Arbeit der Evolution sehr langsam voran. Das schöpferische Handeln des Menschen hingegen kann die Welt revolutionieren, von einem Augenblick auf den andern verändern. Noch leben wir allerdings in Zeiten, in denen uns keine Künstliche Intelligenz die 90 Prozent Transpiration abnehmen kann, die nötig sind, damit 10 Prozent Inspiration die Welt, unser Leben umwälzen können. Noch müssen wir uns ein Beispiel an den Bienen nehmen und dürfen staunen darüber, wie weit sie's schon allein mit ihrem Fleiß bringen. Auch für sie geht es nun hinaus. Zunächst bloß für die Individuen, die einzelnen Arbeitsbienen, die die süße Grundlage dafür schaffen, dass das Volk groß und stark werden kann, bevor es dann im Mai, im hohen Frühjahr, zu schwärmen anfangen kann. Zum Beispiel die Bienen rund um Lengfurt am Main im Imkermeisterbetrieb Heiser.

Letztes Frühjahr? Hohenesters Mehlbeere am oberfränkischen Walberla

Wenn das Frühjahr anfängt, fängt alles an. Früher mal hat man das Alter eines Menschen nach seinen Lenzen gezählt. Sosehr wir uns handelnd, also kreativ, schöpferisch bemühen und uns vielleicht bis ins hohe Alter immer wieder neu erfinden, recht viel mehr als hundert Lenze können's bei uns Eintagsfliegen nicht werden. Andere Geschöpfe haben uns da viel voraus. Sie sind vielleicht weniger kreativ, verharren in der alltäglichen Arbeit des Sichernährens. Aber das tun sie ziemlich erfolgreich. Und manche von ihnen haben's zu richtigen Individuen gebracht.

Die Hohenester Mehlbeere zum Beispiel. Sie ist ein ziemlich einzigartiger Ureinwohner Bayerns. Der Baum ist verwandt mit der Vogelbeere und kommt weltweit bloß am Walberla, dem bekannten Ausflugsberg in der Fränkischen Schweiz, vor. Irgendwann am Ende der Eiszeit ist sie entstanden, hat mittlerweile schon rund 15.000 Lenze überstanden und steht dort bis heute: Der seltenste Baum der Welt ist ein Oberfranke. Hohenesters Mehlbeere - Sorbus hohenesteri - Bayerns UrEinwohner (bayerns-ureinwohner.de)

April macht, was er will. Mit Bauernregeln dem Sommer entgegen

Manchmal hilft alle vorgeschaltete Arbeit, alle Transpiration nix – die Inspiration mag einfach nicht kommen. Nichts da, was uns in den Kopf kommen, buchstäblich einfallen will. Weil nichts und niemand uns inspiriert, etwas einhaucht. Und dann, wenn wir's schon fast aufgegeben haben, dann kommt er durch Zufall, der Einfall. Was wären wir ohne das natürliche Chaos, das uns täglich inspiriert, was könnten wir erschaffen ohne das, was uns täglich zu-fällt, einfach so. Unfrei wären wir durch und durch. Durch und durch unkreative Sklaven unserer eigenen Pläne.

Derlei Einsichten kommen freilich erst ab einer gewissen Kulturstufe, in dem Maß, in dem uns unsere Kultur von der Natur, der alles entstammt, unabhängig macht. Auch der Naturschutz ist eine Kulturerscheinung. Früher einmal wär niemand auf die Idee gekommen, die Natur zu schützen. Da war es tägliche Erfahrung, dass man sich vor der Natur schützen musste. Und sei es nur dadurch, dass man in dem, was einem täglich zufällt, versucht, Regelmäßigkeiten zu entdecken, dem Chaos Ordnung abzuringen. Indem man Jahreszeiten einteilt, die rechten Zeiten zu säen und zu ernten und damit die Zeit entdeckt und versucht, das Wetter vorherzusagen. April, April, macht was er will ist zusammen mit unzähligen weniger bekannten Bauernregeln so eine Urform des Wetterberichts. Überhaupt: Die meisten Bauernweisheiten finden sich fürs Frühjahr, wo die Wetterlage große Auswirkungen auf die Ernte im Spätsommer und Herbst hat.

Hier sind die für Mittelfranken bewährten Bauernregeln:

Ein feuchter fauler März ist des Bauern Schmerz.
Gibt’s im März zu vielen Regen, bringt die Ernte wenig Segen.
Wenn der Frühling Wärme bringt, bis im Herbst die Grille singt.
Wohin das Wetter an Benedikt neigt, dahin auch der Sommer zeigt.
Wenn der April stößt rau ins Horn, so steht es gut um Heu und Korn.
Bringt der April viel Regen, so deutet es auf Segen.
Bläst der Aprilwind mit den Backen, gibt's genug zu grasen und hacken.
Trockener Mai - Wehgeschrei, feuchter Mai - kommt Glück herbei!
Ist der Mai kühl und nass, füllen sich Stadel und Fass.

... und zum Schluss

Ja, es steckt tief in uns drin, das Planen, der unbedingte Wunsch durch unser Handeln der schöpferischen, der göttlichen Ordnung nahezukommen. Oft kommt uns dabei der Zufall, ein Einfall zuhilfe, oft aber spielt er uns auch einen Streich, durchkreuzt unsere Pläne, richtet Chaos an, wo wir Ordnung haben wollten. Mit etwas Abstand dann können wir uns über unser ebenso eifriges wie erfolgloses Streben belustigen.

Wir sehen den Narren, den wir aus uns gemacht haben. Der Narr war schon in frühesten Zeiten der Wanderer zwischen den Welten, der ewige Trickster zwischen der göttlichen Ordnung des Anfangs und dem teuflischen Chaos, das der Diabolos, der große Durcheinanderschmeißer am Ende wieder anrichtet. In diesem Narren erkennt der Mensch sich selbst und den anderen Menschen. Haben Sie sich oder jemand schon mal zum Narren gemacht? Am ersten April haben Sie traditionell Gelegenheit dazu!


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