Bayern 2

     

10

Zwischen Alltagskram und wunderlichen Raritäten Ein Streifzug durch Tante-Emma-Läden

Tante-Emma-Läden umweht ein Hauch von Wehmut: Sie sind vom Aussterben bedroht – in Zeiten von Supermarktketten und Online-Anbietern. BR-Reporterin Anja Scheifinger hat in ihnen gestöbert und dabei einen Blick in vergangene Zeiten und die Zukunft geworfen.

Von: Anja Scheifinger

Stand: 19.02.2021 | Archiv

Eine Verabredung mit Engeln: Ich rufe die Besitzerinnen des Tante-Emma-Ladens in Engelthal an. Da weiß ich noch nicht, dass mein Anruf auf einem Telefon entgegengenommen wird, wie es sie in den 70er Jahren gegeben hat. Mit einer geringelten Schnur, angeschlossen an eine Buchse, mit grauem, schwerfälligen Gehäuse. Dieses Telefon wird mich am nächsten Tag in meine Kindheit katapultieren. Aber nicht nur das. Im Tante-Emma-Laden im mittelfränkischen Engelthal treffe ich die Seniorchefin, die ihrem Namen alle Ehre macht.

Eine "echte Emma"

"Ich bin auch noch eine Emma – schauen Sie auf den Kassenzettel. Ich bin eine echte!"

Emma Schunk, Gründerin eines Tante-Emma-Ladens

Emma Schunk hat mit ihrem Mann 1954 den Laden eröffnet. Drei Läden gab es da schon im Ort – sie waren der vierte.

"Die Leute waren nicht so anspruchsvoll wie jetzt. Es hat aber auch nicht so viele Sachen gegeben, das muss man auch sagen. Wer hat im Dezember eine Gurke gekauft? Die Leute hatten auch kein Geld nach dem Krieg. Wir haben auch Textil gehabt. Wolle und Faden, Knöpfe. Hausgebrauchssachen halt. Stoffe verkauft."

Emma Schunk, Gründerin eines Tante-Emma-Ladens

Unverpackte Lebensmittel: damals selbstverständlich, heute wieder modern

Die Bevölkerungszahl ist heute in etwa die gleiche wie in den 50er Jahren in Engelthal – von den vier Läden ist nur der eine übriggeblieben:

"Wie wir aufgemacht haben, war ja alles unverpackt. Ob das jetzt Salz war oder Nudeln – alles war offen."

Emma Schunk, Gründerin eines Tante-Emma-Ladens

Der Tante-Emma-Laden in Engelthal

Was damals selbstverständlich war, wird heute in Unverpacktläden wieder modern. Emma Schunk ist inzwischen 84 und hat sich zur Ruhe gesetzt. Sie wohnt aber immer noch im gleichen Haus, über dem Tante-Emma-Laden mit dem roten "SPAR"-Schild an der Tür und dem Logo mit dem grünen Baum. Die Supermarktkette "SPAR" gibt es längst nicht mehr – das Schild gehört aber zum nostalgischen Anstrich des Ladens wie die hohe Waage in Dreiecksform an der Frischetheke und die cremefarbene Kaffeemühle.

"Die Einrichtung ist genauso alt wie ich, 1960 geboren, das ist museumsreif, dessen bin ich mir bewusst."

Elisabeth Schunk, Betreiberin eines Tante-Emma-Ladens

Emmas Tochter Elisabeth Schunk führt den Laden heute. Auch manche Produkte winken nostalgisch aus der Vergangenheit herüber. Elisabeth Schunk kennt fast alle ihre Kunden mit Vornamen – und die kennen sie, seit sie klein war. Schließlich war der Laden damals so was wie ihr Kinderzimmer. Sie konnte nicht anders als ihn weiterzuführen.

"Ich kann mir nicht mal Rücklagen bilden für das, was ich mache. Dann frage ich mich natürlich, für was ich das mache. Natürlich: Ich bin da geboren, sogar in dem Haus geboren, bin da aufgewachsen, der Laden hat in meinem Leben immer schon eine große Rolle gespielt, auch als Kind. Es hat sich immer alles um den Laden gedreht. An mir ist der Laden hängengeblieben, weil ich auch hier hängengeblieben bin."

Elisabeth Schunk, Betreiberin eines Tante-Emma-Ladens

Kramen im Krämerladen

Mehr als vier Schritte kann man im Laden nicht gehen, ohne irgendwo anzustoßen. Erstaunlich, was auf so kleinem Raum von 30 Quadratmetern alles Platz hat: Chips, Klopapier, Postkarten. Sogar in Schubladen sind noch Dinge versteckt. Der Tante-Emma-Laden als Fundgrube. Kramen im Krämerladen. Vieles im Sortiment gibt es seit 1954 – und manches Neues ist hinzugekommen. Ein junger Landwirt aus dem Dorf nebenan kauft sich seine zwei Packungen Zigaretten – und fragt nach einer FFP2-Maske. Natürlich hat Elisabeth Schunk auch die im Angebot.

Zwischenhoch während des ersten Lockdowns

Die meisten Kunden sind inzwischen Rentner, sie kommen seit Jahrzehnten. Corona hat dem kleinen Laden ein Hoch beschert – ein kurzes Zwischenhoch im ersten Lockdown im Frühjahr.

"Ich hab's fast nicht geschafft: Die Leute waren im Hof Schlange gestanden, die waren dankbar. Schön, dass Du da bist, die haben sich gefreut. Ich hatte so ein inneres Gefühl: Ich hab mich fast wichtig gefunden. Ich hab gerödelt und gschaut, was geht. Obst, Gemüse, ich wollte, dass es läuft. Aber dann war's so: Die Schranken sind aufgegangen und bei mir ist's fast so gewesen wie zuvor."

Elisabeth Schunk, Betreiberin eines Tante-Emma-Ladens

Jetzt, im zweiten Lockdown, fahren viele Leute trotz allem in den nächsten großen Supermarkt nach Hersbruck, 15 Kilometer entfernt. Die meisten Engelthaler machen ihren Großeinkauf dort. Und sagen den Schunks das auch so ins Gesicht. Das empfinden Elisabeth und ihre Mutter Emma als Demütigung.

"Manche Kunden kommen rein: Ich hab das in Hersbruck vergessen – hast du eine Sahne, hast du des? Da ist man gut genug, dass man da ist. Aber sonst brauchen sie nix."

Emma Schunk, Gründerin eines Tante-Emma-Ladens

Ein Engel in Engelthal

Elisabeth hilft einem Kunden, eine passende Geburtstagskarte auszusuchen und trägt einem anderen den Wasserkasten vor die Tür. Zu jedem Einkauf gibt es ein paar persönliche Worte extra. Ich verabschiede mich mit einer Tafel Schokolade und einer Flasche Milch – und einem Päckchen Zwieback, das mich so in meine Kindheit versetzt. Und dann will ich heimfahren – aber der Motor springt nicht an. Ich hatte versehentlich die Scheinwerfer angelassen. Elisabeth Schunk geht mit mir zum Nachbarn, der mit seinem Trecker aushilft. Es dauert fast eine Stunde, bis das Auto wieder läuft. Elisabeth Schunk bleibt, bis ich davonfahre. Ein Engel in Engelthal.

Preisvergleich

Eine Packung Zwieback, bei einer Supermarktkette: 99 Cent für 225 Gramm. Im Tante-Emma-Laden: ca. 1,80 Euro. Unbezahlbar: Den Wasserkasten vor die Tür gestellt bekommen. Und überhaupt: Hilfe in allen Lebenslagen.

Ein Buch über Tante-Emma-Läden

Der Erlanger Schriftsteller Tommy Goerz kauft so gerne in Tante-Emma-Läden ein, dass er ihnen ein ganzes Buch gewidmet hat. Auch ihn versetzen die Besuche dort zurück in die Kindheit.

"Seit ich denken kann bin ich ein Fan dieser Tante-Emma-Läden. Meine Patin hatte selber einen, wo ich dann oftmals in den Ferien war und mit großen Augen drin gestanden hab, bis sie mich rausgejagt hat. Die hat viele Spielwaren gehabt, deswegen. Man hat immer was geschenkt gekriegt, es gab tolle Sachen, die unerreichbar waren."

Tommy Goerz, Schriftsteller

Wer ist eigentlich diese "Emma"?

Der Name Tante-Emma-Laden kommt wohl aus der Nachkriegszeit. Emma war ein geläufiger Name, vor allem unter Dienstboten. Und auch wenn Goerz´ Buch "Tante Emma lebt" heißt, umweht die meisten dieser Läden der melancholische Hauch der vom Aussterben Bedrohten. Von der Idee, das Buch zu schreiben, bis zur Umsetzung ein Jahr später sind einige der Krämerladen bereits verschwunden, die er ins Auge gefasst hatte – innerhalb eines Jahres.

"Dann ist man in einem Dorf und fragt: Habt ihr irgendwo einen Laden? Nein, da haben wir nix. Ja wo fahrt ihr dann hin zum Einkaufen? Na da und da, 10, 15 Kilometer. Dann hab ich gefragt: Was macht ihr mal, wenn ihr alt seit? Schulterzucken. Das ist auch das, was viele gesagt haben, die zugemacht haben: Es kommen ja eh bloß die Alten, die werden auch immer weniger, wir sind jetzt auch schon 70 – und jetzt haben wir halt zugemacht."

Tommy Goerz, Schriftsteller

Elisabeth Schunk in Engelthal hat – bis auf an Freitagen – nur noch vormittags offen. Gäbe es die Backwaren nicht, die ihr ein naher Bäcker mittwochs und samstags vorbeibringt, könnte sie sich kaum über Wasser halten. Wenn sie in ein paar Jahren in Rente geht, wird es in Engelthal keine Einkaufsmöglichkeit mehr geben.

Zahl der Lebensmittelläden nimmt ab

Insgesamt nimmt die Anzahl aller Lebensmittelgeschäfte ab – auch die der kleineren mit unter 400 Quadratmetern Fläche: Von bayernweit über 11.000 im Jahr 2010 zu circa 8.500 heute. Stattdessen werden größere Einkaufszentren am Ortsrand angefahren: Größer suggeriert billiger und in eine Kofferraumladung passt alles rein, was es für die Woche braucht. Ob sie kurz vorm endgültigen Schließen sind oder einen Nachfolger gefunden haben, die Tantes Emmas dieser Welt eint: Ihr Job ist ihr Leben – sie geben in allem mehr: Mehr Wochenstunden, mehr Service, mehr Ohr für den Kunden.


10