NSU-Prozess


15

Prozess, 402. Verhandlungstag NSU: Schwere Vorwürfe gegen Nürnberger Polizei

Nebenklageanwältin Seda Basay erhebt massive Vorwürfe gegen die Ermittler im Fall Enver Simsek. Es habe schwere Ermittlungsfehler gegeben - in den Augen der Polizei musste das Opfer selbst schuld sein an seinem Tod.

Von: Lisa Weiß

Stand: 09.01.2018 | Archiv

Foto des ermordeten Blumenhändlers Enver Simsek | Bild: Bayerischer Rundfunk

Es ist still im Saal A 101 des Münchner Oberlandesgerichtes als Rechtsanwältin Seda Basay mit ruhiger und eindringlicher Stimme schildert, wie am 9. September 2000 neun Schüsse auf den Blumenhändler Enver Simsek abgeben werden. Fünf Schüsse treffen ihn in den Kopf. Der damals 38 jährige stirbt nicht sofort. Die beiden Täter fotografieren ihr Opfer und lassen den Schwerverletzten in seinem Lieferwagen liegen. Simsek stirbt erst zwei Tage später an seinen Verletzungen.

Das Foto des Opfers

Ob er mitbekommen hat, dass die Täter ein Foto von ihm gemacht haben, fragt Seda Basay, die die Familie des ersten Mordopfers der Rechtsterroristen als Nebenklägerin im NSU-Prozess vertritt. Das Foto des Sterbenden findet sich elf Jahre später in dem zynischen Bekennervideo des NSU.

Heute geht die Bundesanwaltschaft davon aus,  dass die Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Simsek erschossen und Beate Zschäpe die Taten mittrug. Enver Simsek war das erste Opfer der rassistischen Ceska-Mordserie des NSU. Obwohl acht weitere türkisch- bzw. griechisch-stämmige Geschäftsleute nach ihm mit derselben Waffe erschossen wurden, ermittelte die Polizei nie in Richtung eines rassistischen Motivs, sagt Basay.

Hartnäckig an den Tätern vorbei ermittelt

Mal soll Enver Simsek eine Geliebte gehabt haben, dann suchten die Ermittler Verbindungen zum Drogenmilieu oder glaubten an eine Schutzgelderpressung. Nur auf Rassismus als Motiv für den Mord kamen die Ermittler nicht - und das über ein Jahrzehnt lang.

Enver Simseks Sohn Abdulkerim sagte im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, als es weitere Opfer gab, sei der Familie klar gewesen, dass die rechte Szene dahinterstecke:

"Wir hatten erwartet, dass die Polizei in der Richtung auch ermittelt, aber es geschah nichts. Immer wurde behauptet, dass mein Vater ein Krimineller sei, dass wir schuld seien und das ging elf Jahre lang."

Abdulkerim Simsek, Sohn von Enver Simsek gegenüber dem BR

Laut Simsek war es eine Erleichterung, als rauskam, dass der NSU hinter dem Mord an seinen Vater steckte.

"Nach elf Jahren konnte wir wirklich sagen, wir waren Opfer. Mein Vater ist unschuldig, er wurde ermordet, nur weil er Türke ist."

  Abdulkerim Simsek, Sohn von Enver Simsek gegenüber dem BR

Das Leid der Ehefrau

Als Nebenklage-Anwältin Seda Basay die Ermittlungsfehler nach dem Mord an dem Blumenhändler in Nürnberg aufzählte, sprach sie vom Verdacht gegen ein unbeteiligtes farbiges Paar - deren Auto in den Akten als "Negerfahrzeug" bezeichnet wurde.

Sie sprach auch von der ersten Vernehmung von Enver Simseks Frau, während ihr Ehemann im Krankenhaus im Sterben lag. Von unangemessenen Fragen, falschen Verdächtigungen, die die ganze Familie belasteten - ohne konkrete Anhaltspunkte. Das Problem sei nicht gewesen, dass die Polizei im Umfeld der Familie ermittelt habe, sagte Basay. Sondern, dass sie einfach nicht damit aufgehört habe. Und: Dass die Ermittler sich nie bei der Familie entschuldigt hätten.

Plädoyer unterbrochen

Wegen starker Rückenschmerzen des Angeklagten Ralf Wohlleben musste der Prozess dann unterbrochen werden. Das heißt, Seda Basay soll morgen ihr Plädoyer weiterführen. Auch der Sohn des Ermordeten will sprechen - und danach dürften die Plädoyers der Nebenkläger langsam zum Ende kommen. Trotz der heutigen Verzögerung.

Morgen will auch auch Abdulkerim Simsek das Wort ergreifen. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk sagte er:

"Mein Vater war ein Mensch, es geht um viele Menschen, die umgebracht worden sind. Ich will darstellen, was für Konsequenzen das hat. Was ich gefühlt habe."

Abdulkerim Simsek, Sohn von Enver Simsek gegenüber dem BR


15