NSU-Prozess


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NSU-Prozess Befangenheitsanträge und kein Ende – Wie steht es um den NSU-Prozess?

Vor sechs Wochen hat die Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess ihr Plädoyer beendet und hohe Strafen für drei der fünf Angeklagten gefordert. Danach hat das Gericht nur noch einmal verhandelt und das auch nur für eine halbe Stunde. Seitdem gab es nur Befangenheitsanträge der Verteidigung. Von Thies Marsen

Von: Thies Marsen

Stand: 24.10.2017 | Archiv

Ein Schild mit der Aufschrift «Angeklagte Zschäpe» steht am 01.09.2017 auf der Anklagebank im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München (Bayern). | Bild: picture-alliance/dpa

Sechs Wochen ist es inzwischen her, dass die Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess ihr Plädoyer beendet und hohe Strafen für drei der fünf Angeklagten gefordert hat: Lebenslänglich für Beate Zschäpe, je zwölf Jahre für die mutmaßlichen Terrorhelfer Ralf Wohlleben und André E. Angesichts der hohen Strafandrohung wurde André E., der bis dahin auf freiem Fuß gewesen war, noch im Gerichtssaal in Gewahrsam genommen und sitzt nun in Untersuchungshaft.

Seitdem ist allerdings so gut wie nichts mehr passiert im Hochsicherheitssaal A 101 des Münchner Justizzentrums – hinter den Kulissen dafür umso mehr: Es hagelte Befangenheitsanträge gegen die Richter. Mindestens elf solcher Ablehnungsgesuche hat die Verteidigung in der Zwischenzeit gestellt – die genaue Zahl gibt das Oberlandesgericht nicht bekannt. Eine durchaus ungewöhnliche Situation, sagt ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam.

"Befangenheitsanträge während der Plädoyers kommen nicht so häufig vor wie am Anfang oder mitten im Prozess. Denn in der Regel macht das Gericht bei den Plädoyers ja nichts anderes, als den Prozessbeteiligten zuzuhören. Im NSU-Prozess war das nun in einem Punkt anders. Das Gericht hat nach dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft Untersuchungshaft für den Angeklagten André E. angeordnet. Damit gab es aus Sicht der Verteidigung neue Anknüpfungspunkte für Befangenheitsanträge. Ob es weitere solcher Anträge geben kann hängt also auch davon ab, ob es im weiteren Verlauf der Plädoyers erneut zu solchen speziellen Situationen kommt oder nicht."

Frank Bräutigam, ARD-Rechtsexperte

Befangenheitsanträge

Allerdings hat nicht nur die Verteidigung von André E. zahlreiche Befangenheitsanträge gestellt – sondern auch die von Ralf Wohlleben. Obwohl sich an dessen Situation durch die Plädoyers nichts geändert hat. Er sitzt schon seit bald sechs Jahren in U-Haft, Anträge, ihn aus der Haft zu entlassen, hat das Gericht immer wieder abgelehnt, weshalb er mit einer langen Haftstrafe rechnen muss. Trotzdem darf auch Wohlleben jederzeit einen Befangenheitsantrag stellen, betont der Sprecher des Oberlandesgerichts Florian Gliwitzky.

"Grundsätzlich hat jeder Verfahrensbeteiligte, Verteidigung und Nebenklage, das Recht, Befangenheitsanträge zu stellen. Voraussetzung ist, dass man auch einen Grund vorträgt und glaubhaft macht. (…), warum man der Auffassung ist, dass das Gericht  nicht unvoreingenommen dem Verfahrensbeteiligten gegenüber steht. (...)"

Florian Gliwitzky, Sprecher des Oberlandesgerichts

Gericht hat wenig Sanktionsmöglichkeiten

Gegen eine Verteidigung, die in einer Tour neue Befangenheitsanträge stellt, hat das Gericht allerdings wenig Sanktionsmöglichkeiten. Es kann die Anträge nur beschleunigt abweisen oder ablehnen – muss aber darauf achten, dabei keinen Fehler zu machen, der dann als Grund für eine Revision herhalten könnte. Wohllebens Verteidiger, darunter eine einstige NPD-Funktionärin und der ehemalige Chef der verbotenen Neonaziorganisation Wiking-Jugend, scheinen es jedoch genau darauf anzulegen: Den Senat zu Fehlern zu verleiten. Oder gar den Prozess so lange zu verzögern, bis er platzt.

Zwei Wohlleben-Verteidiger haben damit bereits gute Erfahrungen gemacht. Sie waren auch an dem Strafverfahren gegen Neonazis des sogenannten Aktionsbüros Mittelrhein vor dem Oberlandesgericht Koblenz beteiligt, das im Mai platzte: Die Verteidigung hatte das Verfahren so lange verzögert, bis der Richter die Pensionsgrenze erreicht hatte. Davon ist der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess, Manfred Götzl zwar noch ein paar Jahre entfernt, doch ein Prozess kann auch platzen, wenn er zu lange ausgesetzt wird, sagt ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam.

"Ein Strafprozess darf nicht zu lange unterbrochen werden, sonst muss er irgendwann von vorne beginnen. In der aktuellen Situation liegt die Höchstdauer für eine Unterbrechung im NSU-Prozess laut Gesetz bei drei Wochen. (…)"

Frank Bräutigam, ARD-Rechtsexperte

Diese Woche muss verhandelt werden

Noch hat das Oberlandesgericht nach BR-Informationen nicht über alle gestellten Befangenheitsanträge entschieden. Damit das NSU-Verfahren nicht platzt, muss diese Woche aber unbedingt verhandelt  werden. Und sei es auch nur, so wie vor drei Wochen geschehen, für eine halbe Stunde. Eigentlich stünden die Nebenklage-Plädoyers auf dem Programm – also die Schlussvorträge der Anwälte der NSU-Opfer und ihrer Angehörigen. Für sie sind die ständigen Verzögerungen besonders schwer erträglich.

Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer hofft denn auch, dass das Gericht die Befangenheitsanträge endlich beschleunigt behandelt. Scharmers Mandantinnen wollen heute trotz aller Unsicherheiten nach München kommen – Gamze und Elif Kubaşık, Tochter und Witwe des Dortmunder Mordopfers Mehmet Kubaşık. Sie wollen durch ihre Präsenz deutlich machen, worum es bei dem juristischen Hin und Her in München doch vor allem gehen sollte: Um zehnfachen Mord, um drei Bombenanschläge, um Neonazi-Terroristen und ihre Helfer.


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