NSU-Prozess


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289. Verhandlungstag, 15.6.2016 Richter Götzl spricht Klartext

Der NSU-Prozess ist kein Untersuchungsausschuss. In bisher nicht dagewesener Klarheit hat der Vorsitzende Richter Manfred Götzl an diesem 289. Verhandlungstag dargelegt, was sein Staatsschutzsenat als aufklärungspflichtig erachtet und was nicht.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 15.06.2016 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

15 Juni

Mittwoch, 15. Juni 2016

Von Anfang an haben viele Opferanwälte der Nebenklage deutlich gemacht, dass der NSU-Prozess nach ihrer Überzeugung mehr leisten muss, als die persönliche Schuld der fünf Angeklagten zu klären. Sie wollen mehr wissen: Welche Fehler haben staatliche Stellen vor und während des Tatgeschehens gemacht? Hat der Verfassungsschutz eine Mitschuld? Wer hat Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe vor und nach deren Untertauchen 1998 unterstützt? Wie waren die Rechtsextremisten in diesem langen Zeitraum bis 2011 in Deutschland organisiert?

Die Suche nach Antworten auf diese Fragen hat erheblich dazu beigetragen, dass der NSU-Prozess nun schon viel länger dauert als anfangs angenommen. Kritiker haben schon länger darauf hingewiesen, dass solche Fragen eigentlich in den verschiedenen Untersuchungsausschüssen erörtert werden müssten, weil vieles von dem entweder strafrechtlich verjährt sei oder für die Beurteilung der Schuld der Angeklagten unerheblich.

Heute bezog der Richter eindeutig Stellung

Bei der Ablehnung einiger Beweisanträge der Nebenkläger ließ Götzl bereits erkennen, dass eine allgemeine Aufklärung nicht Aufgabe des Prozesses ist. Heute legte er noch einmal nach. Punkt für Punkt erläuterte er im Zusammenhang mit drei bereits abgelehnten Beweisanträgen von Nebenklägern, warum es dabei bleibe. Und das, obwohl diese in ausführlichen Gegendarstellungen dargelegt hatten, weshalb sie die Sache anders sehen und auf weiterer Aufklärung beharren.

Götzl hätte es sich leicht machen und einfach noch einmal auf die bereits ergangenen Gerichtsbeschlüsse verweisen können. Doch genau das tat er nicht. Sondern er nahm sich eine Stunde Zeit, um zu erläutern, was seiner Überzeugung Aufgabe des Gerichts sei und was nicht.

Götzl sieht keine Hinweise für staatliche Mitverantwortung

Einer der Kernsätze lautete dabei: Das ist unerheblich für die Beurteilung der persönlichen Schuld. Auch müsse nicht jedes "Detail der Vorgeschichte" aufgeklärt werden. Die Nebenklage habe "nicht das Recht" unabhängig von der persönlichen Schuld "die Mitverantwortung des Staates" aufzuklären. Das sei nur geboten, wenn der Staat  einen konkreten Einfluss auf Angeklagte und Taten gehabt hätte.

Auch der immer wieder vorgetragenen These, die Verfassungsschutzbehörden wüssten mehr, als ihre Mitarbeiter als Zeugen ausgesagt hätten, erteilte Götzl mehrfach eine Absage, genauso wie der Mutmaßung, die Geheimdienste hätten bewusst nicht eingegriffen und so zumindest Teile der Mordserie überhaupt erst ermöglicht.

Gericht will offenbar bald zum Ende kommen

Zudem betonte der Vorsitzende, dass der Senat stets abwägen müsse, was einem raschen Fortgang des Verfahrens diene. Mit anderen Worten: Es ist jetzt lange genug Beweis erhoben worden. Alle wichtigen Fragen scheinen für das Gericht geklärt. Der NSU-Prozess ist aus seiner Sicht kein Ersatz für einen Untersuchungsausschuss, sondern ein Strafverfahren, in dem es vor allem darum geht, über die Angeklagten zu urteilen. So umfassend und klar hat das Götzl in diesem Prozess noch nie ausgesprochen.


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