NSU-Prozess


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Tagebuch der Gerichtsreporter Von Überraschungen und journalistischen Regeln

Der für heute geplante zweite Termin im NSU-Prozess ist bekanntlich abgesagt, einen Eintrag ins Prozesstagebuch gibt's trotzdem. Denn medial geht der Prozess durchaus weiter, weiß Christoph Arnowski.

Stand: 07.05.2013 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

07 Mai

Dienstag, 07. Mai 2013

Als die Kollegen Eckhart Querner, Andreas Halbig, Thomas Schorr, Sebastian Kraft und ich am gestrigen Abend die Berichte über den ersten Prozesstag und seinen überraschenden Ausgang für die Hauptnachrichtensendungen im Ersten und im Bayerischen Fernsehen produzierten, konferierte unser Chef vom Dienst Karl Broderix bereits wieder mit den verschiedenen Redaktionen in München, Köln und Hamburg. Und schnell war klar: Auch ohne Prozess gibt es heute noch viel zu erklären.

Anwalt Daimagüler lobt Verschiebung

Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler

Bereits um kurz vor 7 Uhr bin ich also am Justizzentrum in der Nymphenburgerstraße. Unser Satellitenübertragungswagen ist sendebereit, Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler steigt fast zeitgleich aus dem Taxi. Als prominenter Vertreter der Nebenklage wird er gleich live ins ARD-Morgenmagazin geschaltet. Das Gespräch, in erster Linie ein Rückblick auf den gestrigen Tag. Für mein Kamerateam Gelegenheit, ein paar sogenannte Antextbilder zu drehen und dann den Juristen aus Berlin selbst zu interviewen.

Gestern Abend noch hatten andere Nebenklägeranwälte die Vertagung auf nächste Woche als "Schlag ins Gesicht der Angehörigen" scharf kritisiert und von einem "Skandal" gesprochen. Daimagüler dagegen attestiert heute dem Gericht Klugheit, Sorgfalt sei wichtiger als Schnelligkeit, nur so ließen sich unnötige Fehler vermeiden, die später als Revisionsgrund herangezogen werden könnten. Scharfe Kritik dagegen an den Zschäpe-Anwälten, die nur den Prozess verzögern wollten.

Wie nach einem Open-Air-Konzert

überquellender Mülleimer | Bild: BR/Veronika Beer

Was nach dem ersten Tag auch bleibt: jede Menge Müll.

Das sind starke O-Töne, die Zweifel, ob ich genug neues Material für die 12-Uhr-Ausgabe der Tagesschau zusammenbekomme, sind bereits jetzt verflogen. Zumal die Situation auch gute Bilder liefert. Der Vorplatz des Gerichts sieht aus wie nach einem Open-Air-Konzert, überall liegt Müll herum, der zu dieser frühen Stunde weggeräumt wird. Der Einstieg für den Bericht ist damit kein Problem: "Die Sicherheitszone um das Münchner  Justizzentrum ist fürs Erste aufgehoben, der Müll von gestern wird zusammengekehrt, doch die Diskussion um die überraschend lange Vertagung des NSU-Prozesses geht weiter."

In so einer Situation macht sich auch bezahlt, dass unser NSU-Team den Prozess gut vorbereitet hat. Bei den Hintergrundgesprächen mit allen Parteien, die am Verfahren teilnehmen, haben wir nicht nur viele Informationen gesammelt, sondern auch die Basis für vertrauensvolle Kontakte gelegt. Bereits gestern abend habe ich noch ein Interview mit Wolfgang Heer, einem der drei Verteidiger von Beate Zschäpe vereinbart.

Gelegenheit für Hintergrundgespräche

Um 10 Uhr ist er dazu bereit. Nach einem kurzen Frühstück im nächsten Café gehe ich wieder zurück zum Gericht. Und da zeigt sich wieder einmal, wie wichtig es ist, dass man als Reporter vor Ort ist und nicht in der Redaktion nur Agenturen liest. Der Sprecher der Bundesanwaltschaft Marcus Köhler kommt gerade über den Platz, wenig später erscheint auch Andrea Titz, seine Kollegin vom Oberlandesgericht, um Kollegen ein kurzes Interview zu geben. Gelegenheit für ausgiebige Hintergrundgespräche, die helfen werden, den weiteren Prozessverlauf noch besser einschätzen zu können, und die nirgends nachzulesen sind.

Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer (rechts)

Dann die endgültige Einwilligung von Wolfgang Heer für das Interview. Die Zschäpe-Verteidiger wollen in den Medien zurückhaltend agieren. Gestern haben sie natürlich mit jedem Journalisten  gesprochen, heute habe ich das Interview wohl exklusiv. Und wieder schießt mir wie schon so oft ein Gedanke durch den Kopf: "Soll ich eigentlich der Verteidigung einer mutmaßlichen Mörderin überhaupt Platz in der Berichterstattung einräumen?"

Zwei journalistische Grundsätze

Doch auch diesmal ist für mich die Antwort eindeutig: So sympathisch die Nebenkläger auch sind und so sehr wir uns alle fragen müssen, warum es so viele Ermittlungspannen bei der Aufdeckung der NSU-Mordserie gab, zwei journalistische Grundgesetze dürfen wir vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht außer Acht lassen.

Für uns ist anders als auf dem Boulevard Beate Zschäpe nicht die "Nazi-Braut", auch für sie hat zunächst die Unschuldsvermutung zu gelten, eine journalistische Vorverurteilung steht mir nicht zu. Und es gilt das Wort des großen Journalisten Hanns Joachim Friedrichs: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört." Das ist eigentlich immer wichtig, im NSU-Prozess aber ganz besonders.


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