Vor zwei Jahren wurde ein wahrer Schatz in der Diözesanbibliothek des Erzbistums München und Freising entdeckt: Mitschriften aus den Vorlesungen des berühmten deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel aus seiner Zeit in Heidelberg. Doch bevor diese inhaltlich untersucht werden können, müssen sie erst einmal restauriert werden.
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Fast 4.000 Seiten zum Restaurieren
Vorsichtig blättert Andrea Fellinger das Blatt Papier um, das vor ihr auf der Werkbank liegt. Mit einem feinen Pinsel streicht die Buchbinderin Klebstoff auf das beschädigte und in die Jahre gekommene Papier. "Man kann eigentlich gar nicht darin blättern, ohne dass etwas abfällt", erklärt sie. So bestehe die Gefahr, dass bei der Handschrift Buchstaben und Wörter verloren gingen.
Damit das nicht passiert, nimmt Fellinger hauchdünne Papierstreifen und verstärkt damit den bröckelnden Rand des Blattes. Seit mehreren Monaten sitzt sie schon an dem Projekt – sie hat fast 4.000 Seiten zu restaurieren.
Vorlesungsnachschriften von Hegel aus der Zeit in Heidelberg
In Heidelberg hat Hegel zwischen 1816 und 1818 gelehrt. Bislang weiß man wenig über diese Zeit. Die im erzbischöflichen Archiv entdeckten sechs Kollegienhefte, also sechs Vorlesungsnachschriften, "die vervollständigen jetzt das Bild über Hegels Heidelberger Vorlesungen", sagt der Philosoph und Hegelforscher Klaus Vieweg. "Wir haben jetzt alles, was er in Heidelberg öffentlich vorgetragen hat, zur Verfügung."
Ein wichtiger Fund, um Hegels Denken und seine Philosophie nachzuvollziehen. Denn viele Teile von Hegels Philosophie wurden nicht von Hegel selbst publiziert, erklärt Vieweg. Die Wissenschaft habe Mit- und Nachschriften von Vorlesungen von Hörern, Studenten und Hegel-Assistenten. "Und daraus", so Vieweg, "wurden später die Werke zusammengeführt, es sind also nicht die Originaltexte Hegels."
Wegen eines Schreibfehlers im Archiv verstaubt
Unter den gefundenen Mitschriften befindet sich unter anderem eine schon lange gesuchte Mitschrift einer Ästhetik-Vorlesung in Heidelberg, über die es bisher noch keine Unterlagen gab. Der Hegelforscher Klaus Vieweg selbst war es, der die Mitschriften 2022 in der Diözesanbibliothek des Erzbistums München und Freising entdeckt hat. Dort lagen sie fast 200 Jahre lang unbemerkt im Archiv, vermutlich ist ein Schreibfehler dafür verantwortlich.
"Im Findbuch des Archivs steht Phenom von Hayl, also Hayl – vermutlich ein Schreibfehler eines Mitarbeiters von vor 100 Jahren", erzählt Vieweg. Er freut sich über den Schreibfehler, denn "wenn dort Hegel stände, dann hätte ich das nicht gefunden".
Jahrhundertfund – "vergleichbar mit einer Partitur von Mozart"
Die Mitschriften stammen von seinem Assistenten, dem katholischen Religionsphilosophen Friedrich Wilhelm Carové. Ein wahrer Jahrhundertfund, sagt Vieweg: "Ich hab's mal in einem Interview mit dem Guardian mit dem Fund einer Partitur von Mozart oder einer Ballade von Schiller verglichen. Das hat ungefähr den Wert für die Philosophie."
Die Manuskripte werden nun in einem mehrjährigen wissenschaftlichen Projekt aufbereitet und sollen dann unter dem Titel "Carové Hegel"-Mitschriften veröffentlicht werden.
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