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Gescheiterter erster Anlauf Der Aufstand der Unfähigen

Am 18. März 2003 stellte das Bundesverfassungsgericht das erste Verbotsverfahren gegen die NPD ein. Zur Prüfung der Frage, ob die NPD die Kriterien für ein Verbot erfüllte, kam es nicht. Eine Sperrminorität von drei Richtern sah in der staatlichen Unterwanderung der NPD durch V-Leute des Verfassungsschutzes ein Verfahrenshindernis. Was als "Aufstand der Anständigen" begonnen hatte, endete in einer Blamage der Antragsteller.

Stand: 20.12.2012

  • 1. August 2000
    Günther Beckstein (1.August 2000) | Bild: dapd

    Pressekonfernz mit Beckstein und Schily am 1. August 2000

    1. August 2000

    Vorreiter Beckstein

    Nach einer Reihe tatsächlicher und vermeintlicher rechtsextremistischer Anschläge und Übergriffe auf Ausländer wird der Ruf nach schärferen Gegenmaßnahmen lauter. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) fordert die Bundesregierung auf, einen Verbotsantrag gegen die NPD vorzubereiten.

  • 19. August 2000
    Gerhard Schröder (19.August 2000) | Bild: dapd

    Bundeskanzler Schröder am 19. August 2000

    19. August 2000

    Der Aufstand der Anständigen

    Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) persönlich stellt sich an die Spitze der Verbotsbefürworter. Er regt einen gemeinsamen Antrag von Bundestag und Bundesrat an. Zwei Wochen zuvor hatte er den "Aufstand der Anständigen" ausgerufen. In der Folge wurden Aktionspläne, Lichterketten und Demonstrationen gegen Rechtsextremismus initiiert.

  • 6. Oktober 2000
    Otto Schily (6.Oktober 2000) | Bild: dapd

    Bundesinnenminister Schily sieht Weg für ein NPD-Verbotsverfahren geebnet.

    6. Oktober 2000

    Kein Zurück mehr

    Nachdem Unterlagen des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz ausgewertet sind, sieht Bundesinnenminister Schily die Weichen für einen Verbotsantrag gestellt. Noch aber muss der SPD-Politiker Überzeugungsarbeit leisten. Es soll eine möglichst geschlossene Front der Verbotsbefürworter entstehen.

  • 26. Oktober 2000
    Hessen und Saarland stimmen dagegen (26.Oktober 2000) | Bild: dapd

    Hessens Ministerpräsident Koch schert aus.

    26. Oktober 2000

    Länder ziehen mit - bis auf zwei

    Die meisten Ministerpräsidenten der Länder befürworten das von Schily angeregte Vorgehen. Hessen und das Saarland stimmen dagegen, was bei den übrigen Ländern auf Enttäuschung stößt. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und Brandenburgs Regierungschef Manfred Stolpe (SPD) hatten sich bereits im Vorfeld klar für ein NPD-Verbot ausgesprochen.

  • 8. November 2000
    Beschluss zum Verbotsantrag (8.November 2000) | Bild: dapd

    Demonstration in Berlin für ein NPD-Verbot

    8. November 2000

    Beschlossene Sache

    Die Bundesregierung beschließt, einen Verbotsantrag zu stellen, zwei Tage später folgt der Bundesrat. Noch ist fraglich, ob sich der Bundestag als drittes Verfassungsorgan einem Verbotsverfahren anschließt. Denn nach der FDP werden auch bei den Grünen Zweifel daran laut, dass das von Schily zusammengestellte 500-Seiten-Geheimdossier für ein Verbot der NPD ausreicht.

  • 8. Dezember 2000
    Der baden-württembergische Wirtschaftsminister Walter Döring (l,FDP) und der FDP-Landtagsfraktionsvorsitzende Ernst Pfister erläutern am Donnerstag (02.11.2000) die Haltung der Liberalen zu einem NPD-Verbot. | Bild: picture-alliance/dpa

    FDP-Politiker Döring und Pfister erläutern die Ablehnung ihrer Partei.

    8. Dezember 2000

    Bundestag zieht mit - ohne FDP

    Als drittes Verfassungsorgan schließt sich der Bundestag an - mit den Stimmen von SPD, Grünen und PDS. Die FDP stimmt fast geschlossen gegen einen Verbotsantrag. Die Unionsfraktion hält nach Worten ihres Vizechefs Wolfgang Bosbach einen eigenen Antrag des Parlaments "weder rechtlich geboten noch politisch sinnvoll". FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle begründet die Ablehnung seiner Partei mit den fraglichen Erfolgsaussichten eines solchen Antrags. Selbst ein positiver Ausgang des Verbotsverfahren würde das eigentliche Problem nicht lösen.

  • 30. Januar 2001
    Ein Bundesgrenzschützer trägt am späten Dienstagabend (30.01.2001) einen Karton mit Akten, welcher Unterlagen des Verbotsantrags der Bundesregierung gegen die rechtsextremistische NPD enthält, von einem Wagen ins Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Verbotsanträge von Bundestag und Bundesrat werden in Kürze erwartet. | Bild: picture-alliance/dpa

    Bundesgrenzschützer liefert Beweismaterial in Karlsruhe ab.

    30. Januar 2001

    Symbolträchtiges Datum

    An einem symbolträchtigen Datum - dem Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten - reicht die Bundesregierung ihren Verbotsantrag ein. Bundestag und Bundesrat folgen Ende März. Die Wucht gleich dreier Anträge ist beeindruckend. Ob man damit den Erfolg erzwingen kann?

  • 4. Oktober 2001
    Luftbild des Gebäudes der Bundesverfassungsgerichtes (BVG) in Karlsruhe, aufgenommen am 13.8.2001. Das höchste deutsche Gericht feierte im Juli 2001 sein 50-jähriges Bestehen. | Bild: picture-alliance/dpa

    Luftbild des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) in Karlsruhe aus dem Jahr 2001

    4. Oktober 2001

    Das Verfahren beginnt

    Die Anträge nehmen die erste juristische Hürde. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet sie weder als unzulässig noch als offensichtlich unbegründet. Damit kann das Verfahren zum Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht beginnen - und der Weg für die inhaltliche Prüfung der Verfassungswidrigkeit der rechtsextremistischen Partei ist frei.

  • 7. Dezember 2001
    NPD-Mitglied mit Sonnenbrille | Bild: picture-alliance/dpa

    Im Fokus: die NPD-Verbindungen zur Neonazi-Szene

    7. Dezember 2001

    Die ersten Verhandlungstermine

    Das Gericht setzt fünf Verhandlungstermine für den Februar 2002 an und lädt 14 "Auskunftspersonen", überwiegend Funktionsträger der NPD und hochrangige Neonazis. Der "Spiegel" meldet, das Gericht interessiere sich besonders für die Kooperation der Partei mit so genannten Freien Kameradschaften und für die NPD propagierten Konzepte der "Schlacht um die Straße" und der "befreiten Zonen".

  • 22. Januar 2002
    Abwehrend gestikuliert der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens (SPD) am 23.1.2002 während einer Sitzung des Innenausschusses im Düsseldorfer Landtag. Behrens hat jede Verantwortung für die V-Mann-Panne im Verbotsverfahren gegen die NPD zurückgewiesen. Der nordrhein- westfälische Verfassungsschutz habe rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht, dass im Verbotsantrag gegen die NPD Äußerungen eines früheren V-Mannes verwendet werden sollten. Das Bundesverfassungsgericht hatte am 22.1.2002 überraschend die mündliche Verhandlung über das NPD-Verbot ausgesetzt, weil ihm nicht bekannt war, dass eine der geladenen Auskunftspersonen ein ehemaliger Informant des Verfassungsschutzes war.  | Bild: picture-alliance/dpa

    Nordrhein-Westfalens Innenminister Behrens wehrt sich.

    22. Januar 2002

    Vorbote des Scheiterns

    Wegen einer Informationspanne sagt das Gericht die Februar-Termine zur mündlichen Verhandlung wieder ab. Einer der geladenen NPD-Funktionäre hatte sich als V-Mann des Verfassungsschutzes entpuppt. In der Folge werden weitere V-Leute enttarnt. Um deren Rolle und die Fortsetzung des Verbotsverfahrens entzündet sich eine parteipolitische Diskussion. Das Bild zeigt den damaligen nordrhein-westfälischen Innenminister Fritz Behrens (SPD) am 23. Januar 2002. Er weist jede Verantwortung für die V-Mann-Panne zurück.

  • 8. Februar 2002
    Ein Aktenordener mit der Aufschrift "sonstige V-Leute" liegt auf einem Tisch | Bild: picture-alliance/dpa

    Neue Unterlagen sollen das Verfahren retten.

    8. Februar 2002

    Kotau und Salamitaktik

    Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung räumen gegenüber dem Gericht die Existenz von zunächst sechs, einige Tage später von weiteren vier V-Leuten ein. Verzweifelt versuchen die Antragsteller, das Verfahren zu retten. Sie verfassen einen Schriftsatz, das den V-Mann-Einsatz in der NPD rechtfertigt. Zugegeben wird aber nur, was ohnehin bekannt war.

  • 7. Mai 2002
    Die Bundesverfassungsrichter um Präsident Vosskuhle versammeln sich am Richtertisch | Bild: picture-alliance/dpa

    Skeptische Richter

    7. Mai 2002

    Gericht hakt nach

    Das Bundesverfassungsgericht fordert eine umfassende Aufklärung und setzt einen Erörterungstermin für den 8. Oktober 2002 an. Das Problem: V-Leute - nicht zu verwechseln mit verdeckten Ermittlern - sind Extremisten, die gegen Geld Informationen an den Verfassungsschutz liefern. Als Gewährsleute für eine bestimmte politische Ideologie kommen sie nur mehr bedingt in Frage. Denn es ist nicht klar, ob sie - zumal in den Führungsetagen - aus Überzeugung handeln, oder vielmehr das propagieren, was der Verfassungssschutz mutmaßlich hören will.

  • 26. Juli 2002
    Bundesamt für Verfassungsschutz | Bild: dapd/ Roberto Pfeil

    Der Verfassungsschutz führte zahlreiche NPD-Funktionäre als V-Leute.

    26. Juli 2002

    Die Wahrheit kommt ans Licht

    Langsam wird das ganze Ausmaß der V-Mann-Affäre klar: Die Antragsteller teilen mit, dass in den Bundes- und Landesvorständen der NPD etwa jeder siebte im Sold des Verfassungsschutzes stand. Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung schlagen dem Gericht vor, alles offenzulegen - vorausgesetzt, die Öffentlichkeit und die NPD erfahren davon nichts. Andernfalls seien die V-Leute in Gefahr und die Arbeit des Verfassungsschutzes beeinträchtigt.

  • 30. August 2002
    Der Mitbegründer der linksterroristischen Rote Armee Fraktion (RAF) und nun im rechten Lager aktive Berliner Anwalt Horst Mahler zeigt am 20.4.2001 im Gebäude des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts einen Teil der 388 Seiten umfassenden Stellungnahme der NPD zum Verbotsantrag der Bundesregierung; rechts der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt. Anschließend gaben Mahler und Voigt den Schriftsatz an der Gerichtspforte ab. Zu ihrer Verfahrensstrategie wollen sich die NPD-Vertreter am 23.4. in Berlin äußern. Das Bundesverfassungsgericht hatte der Partei bis zum 23. April Zeit gegeben, um auf den Ende Januar 2001 eingereichten Regierungsantrag zu entgegnen. Zu den Ende März eingegangenen Verbotsanträgen von Bundesrat und Bundestag darf die Partei bis zum 1. Juni Stellung nehmen. | Bild: picture-alliance/dpa

    Horst Mahler - Rechtsextremist und Anwalt der NPD

    30. August 2002

    Verschwörer wähnt Verschwörung

    Horst Mahler, der Prozessbevollmächtigte der NPD, wähnt eine Verschwörung der Geheimdienste hinter dem Verfahren. Mahler, zum Rechtsextremisten gewendetes Ex-RAF-Mitglied, vertritt die Partei in dem Verfahren. Seine Stellungnahmen zu den einzelnen Anträgen zeugen von einer völkischen Gesinnung und wären unter anderen Umständen Grund genug gewesen für ein Verbot.

  • 8. Oktober 2002
    Otto Schily bei einer Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht | Bild: picture-alliance/dpa

    Otto Schily bei einer Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht

    8. Oktober 2002

    Rede und Antwort

    In der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht versichern Bundesinnenminister Schily und sein bayerischer Kollege Beckstein, was ohnehin klar ist: Der Verfassungsschutz habe keine V-Leute in die NPD eingeschleust. Die Informanten seien "Fleisch vom Fleische der NPD". Eine Einflussnahme des Staates auf die rechtsextreme Partei mit Hilfe von V-Leuten bestreitet Schily. Die NPD sei nicht von den Behörden "fremdgesteuert" worden.

  • 18. Oktober 2002
    Bundesrat | Bild: picture-alliance/dpa

    Die Länderkammer versucht, ein Scheitern des Verfahrens abzuwenden.

    18. Oktober 2002

    Beschwichtigungen

    Der Bundesrat versucht, die Richter zu beschwichtigen. Es werde kein Mitglied des Bundesvorstandes der NPD als V-Mann geführt, teilt die Länderkammer in Berlin mit. Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag hätten dies in einem Schriftsatz ergänzend klargestellt. Die NPD hält demgegenüber an der These fest, dass der Verfassungsschutz die Partei unterwandert und sich seine Beweise für das Verbotsverfahren mit Hilfe der V-Leute "wunschgerecht geschaffen" habe.

  • 26. Februar 2003
    NPD Flyer liegt auf einem Tisch im Gerichtssaal | Bild: picture-alliance/dpa

    NPD-Programm im Gericht: Zu einer Verhandlung darüber sollte es nicht kommen.

    26. Februar 2003

    Ankündigung eines Schicksalstags

    Das Gericht legt als Termin für die Bekanntgabe einer Entscheidung den 18. März 2003 fest. Spätestens jetzt dürfte den Antragstellern dämmern, dass das Verfahren nicht mehr zu retten sein würde. Dass die Richter eine Fortsetzung des Prozesses verkünden würden, gilt auch bei den kühnsten Optimisten als eher unwahrscheinlich.

  • 13. März 2003
    Bundesverfassungsgericht | Bild: picture-alliance/dpa

    Das Bundesverfassungsgericht lässt nicht mehr mit sich reden.

    13. März 2003

    Der Zug ist abgefahren

    Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung wollen die Hoffnung noch nicht aufgeben. Das Bundesverfassungsgericht weist die Forderung der Antragsteller zurück, noch einmal zur "V-Mann-Affäre" Stellung nehmen zu können. Die Entscheidung ist gefallen - nicht im Sinne der Verfassungsorgane. Die rot-grüne Koalition in Berlin rechnet nun fest mit einer Einstellung des Verfahrens. "Es wird eine negative Entscheidung sein", heißt es in Koalitionskreisen. In dieser Einschätzung sei man sich einig.

  • 18. März 2003
    Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, v.l. Lerke Osterloh, Bertold Sommer, Hans-Joachim Jentsch, Winfried Hassemer (Vorsitz), Udo Di Fabio und Siegfried Broß und Rudolf Mellinghoff, verkündet am 18.3.2003 das Urteil über den Fortgang des NPD-Verbotsverfahrens. Laut dem Urteil wird das Verfahren eingestellt. dpa_4135517 | Bild: picture-alliance/dpa

    Der zweite Senat verkündet die Einstellung des Verfahrens. (Quelle: dapd)

    18. März 2003

    Das war's

    Nachdem eine Sperrminorität von drei Richtern die V-Mann-Affäre als Hindernis für den weiteren Prozessverlauf eingeschätzt hat, stellt das Bundesverfassungsgericht den NPD-Prozess ein. In der Entscheidung heißt es, es sei mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren unvereinbar, wenn die betroffene politische Partei "unmittelbar vor und während der Durchführung" eines solchen Verfahrens "durch V-Leute staatlicher Behörden, die als Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands fungieren", beobachtet wird. Daran muss sich das neue NPD-Verfahren messen lassen.


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