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Prätests zwischen Fortschritt und Selektion Alternativen zur Spätabtreibung

Alle Eltern wünschen sich ein gesundes Baby. Was aber wenn sich während der Schwangerschaft herausstellt, dass das Kind behindert ist: Spätabtreibung oder zur Welt bringen? Diese schwierige Entscheidung kann den Eltern niemand abnehmen. Fortschritte der Pränatal Diagnostik versprechen zwar eine Lösung. Ethische Konflikte bleiben trotzdem.  

Von: Jeanne Turczynski, Redaktion Susanne Betz

Stand: 19.11.2016

Embryo | Bild: colourbox.com

Paula heißt im wahren Leben anders. Die zierliche 38-jährige blonde Frau ist eigentlich selbstbewusst. Sie steht mitten im Leben, leitet erfolgreich ein Hotel und ist Mutter eines kleinen Sohnes.

Diagnose "behindertes Kind": Ein Schock für jedes Paar.

Doch letztes Jahr änderte sich alles für sie. Sie wurde zum zweiten Mal schwanger, und nach diversen Vorgeburtstests erhärtete sich der Verdacht auf Trisomie 21 bei ihrem Kind: Down-Syndrom.
Für Paula stand fest, dass sie dieses Kind nicht wollte. Da sie aber erst in der 15 Schwangerschaftswoche von der Behinderung erfuhr, ließ sie ihr Kind erst spät abtreiben. Ein körperlicher wie psychischer Albtraum. Seit 2012 ist in Deutschland ein Bluttest auf dem Markt, der die vorgeburtlichen Untersuchungen und Diagnosemöglichkeiten grundlegend verändert.

Flyer, die über Voruntersuchungen in der Schwangerschaft aufklären sollen

Der sogenannte Praenatest, braucht nur ein paar Tropfen Blut der Mutter um festzustellen, ob das ungeborene Kind eine Chromosomenveränderung hat – oder nicht. Getestet wird momentan auf Trisomie 13, 18 und 21 – das sogenannte Down-Syndrom. Bei einer neuen Schwangerschaft würde Paula diesen Test machen lassen:

"In der neunten Woche wäre es nur eine Ausschabung. Ich will nicht nochmal soweit kommen und dann entscheiden müssen."

Paula, die bereits eine Spätabtreibung hinter sich hat.

Bessere Vorgeburtsmedizin

Humangenetikerin Elke Holinski-Feder

Fest steht: Die Zahl der Spätabtreibungen steigt seit Jahren.

Die Münchner Humangenetikerin Elke Holinski-Feder führt das auf zunehmend bessere Untersuchungsmethoden der Pränataldiagnostik, also der Vorgeburtsmedizin zurück. Die können immer besser erkennen, ob ein Kind unheilbar krank sein wird, in der Fachsprache eine infauste Prognose bekommt.

"Früher haben die Patienten ihre Diagnosen oft erst spät erfahren, die Krankheit war fortgeschritten die Möglichkeit der Heilung gering. Heute kann man Krankheitsrisiken zumindest für genetische Erkrankungen oft schon vorher erkennen, das ist in der Pränatalmedizin nicht anders."

Prof. Elke Holinski-Feder, Humangenetikerin

Oftmals keine umfassende Beratung

Medizinethiker Giovanni Maio

Bei Elke Holinski-Feder werden Frauen und Paare umfassend beraten. In vielen anderen Fällen ist das nicht so. Giovanni Maio ist Medizinethiker in Freiburg und einer der stärksten Kritiker unseres Gesundheitssystems. Rechtlich gesehen müssen drei Tage zwischen der Diagnose des Ungeborenen und einem Spätabbruch liegen. Viel zu kurz, sagt der Ethiker.

"Wir sind so ein reiches Land und wir lassen die Menschen, die sich in der Not befinden, so allein. Weil wir dieses Beratungsangebot nicht wirklich machen, sondern eher die Frauen durchschleusen durch Kurzgespräch, das ist das Grundproblem."

Prof. Giovanni Maio, Medizinethiker von der Universität Freiburg

Kritiker wie Giovanni Maio befürchten: Wenn der Praenatest, Kassenleistung wird, dann werden weniger Kinder mit einer Behinderung auf die Welt kommen. Schon jetzt gibt es kaum noch Kinder mit Down-Syndrom. Die Selektion wird zweifellos zunehmen.

Die B5 Reportage

Alternativen zur Spätabtreibung – Preatests zwischen medizinischem Fortschritt und Selektion

Reportage am Sonntag, 20.11.2016, 14:35 und 21:35, B5 aktuell



Autorin: Jeanne Turczynski
Redaktion: Susanne Betz


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